Peking hat sein Versprechen in Hongkong gebrochen

  01 Juli 2022    Gelesen: 604
 Peking hat sein Versprechen in Hongkong gebrochen

25 Jahre nach der Rückgabe Hongkongs am 1. Juli 1997 an die Volksrepublik China ist die Zukunft der Stadt Peking-rot statt international gefärbt. Der neue Regierungschef John Lee setzt auf ein Kabinett, das keinen Zweifel lässt: Die Metropole wird endgültig auf das zugesagte "hohe Maß an Autonomie" verzichten.

Ein Vierteljahrhundert liegt zwischen Vision und Wirklichkeit. Zum 25. Jahrestag der Rückgabe Hongkongs von Großbritannien an die Volksrepublik China an diesem Freitag stehen die demokratischen Kräfte der Metropole vor dem Scherbenhaufen ihrer politischen Ziele. Statt freier Wahlen ihres Regierungschefs und Parlaments, wie einst erhofft, bekommen die rund 7,5 Millionen Einwohner zum Jubiläumstag eine Peking-hörige Führungsriege vor die Nase gesetzt.

Exemplarisch dafür steht die Präsenz von Chinas Staatspräsident Xi Jinping, der im Rahmen eines zweitägigen Besuchs am Donnerstag per Zug zu den 25-Jahr-Feierlichkeiten anreiste. Xi will sich die erfolgreiche Niederschlagung der demokratischen Opposition in Hongkong offenbar als persönlichen Triumph ans Revers heften. "Nach dem Wind und dem Regen ist Hongkong aus der Asche auferstanden", kommentierte Xi kurz nach seiner Ankunft.

Die Massenproteste von 2019 gegen ein Auslieferungsgesetz hatte die Hongkonger Polizei mit der Rückendeckung Pekings brutal niedergeknüppelt. Es war das vorerst letzte Aufflackern eines Kampfes demokratisch erzogener Bürgerinnen und Bürger gegen die autoritäre Übernahme durch die chinesische Zentralregierung. Es folgte eine politische Säuberung der Stadt, die durch die Einführung eines Sicherheitsgesetzes 2020 rechtlich gestützt wurde. Das Gesetz ermöglicht es den Behörden, jeglichen Dissens oppositioneller Kräfte zu kriminalisieren.

Horrorszenario John Lee

Hongkong bedeutet für Xi eine wichtige Trophäe, um sich zusätzliche Rückdeckung in der Kommunistischen Partei zu sichern. Im Herbst will der Präsident seinen Plan für die Fortsetzung seiner Amtszeit als chinesischer Staatschef vollenden. Dass es ihm gelungen ist, eine jahrelang rebellische Gesellschaft in Hongkong gefügig zu machen, ist ein wertvolles Argument, um die Begrenzung seiner Amtszeit aufzuheben.

Das Jubiläum am 1. Juli kollidiert mit dem Amtsantritt des ehemaligen Polizeichefs John Lee als neuem Regierungschef. Die Personalie symbolisiert den Höhepunkt der Horrorszenarien all jener, die vor 25 Jahren noch fest an das chinesische Versprechen "ein Land, zwei Systeme" geglaubt haben. Denn die Überzeugung, am Rockzipfel der autoritären Volksrepublik ein liberales politisches System aufrechterhalten und das zugesagte "hohe Maß an Autonomie" bewahren zu können, erwies sich als Illusion.

Großbritanniens letzter Kolonial-Statthalter, Chris Patten, gestand in der vergangenen Woche, dass auch er falsch gelegen habe. Patten sagte der Nachrichtenagentur AP: "Ich hatte an die Möglichkeit geglaubt, dass China sein Wort halten werde. Es tut mir leid, dass es das nicht getan hat." Der Rückgabevertrag nach 155-jähriger britischer Herrschaft, von den Opiumkriegen bis 1997, hatte der Stadt ein "hohe Maß an Autonomie" über die Dauer von 50 Jahren zugesagt.

Herrschaft der Sicherheitskräfte

Nicht einmal die Hälfte der Zeit bewahrte die Volksrepublik den Schein, sich an die Abmachung halten zu wollen. Schrittweise höhlte Peking die Autonomie in den vergangenen Jahren aus, stets begleitet von Protesten und Demonstrationen, bis am Ende nichts mehr übrigblieb, was die Bezeichnung "demokratisch" verdient hätte.

John Lee ist der Wunschkandidat der Pekinger Zentrale. Dieser ist es mithilfe einer umstrittenen Wahlrechtsreform gelungen, Volkes Wille an den Urnen zu marginalisieren und verbliebenen Widerstand durch das Sicherheitsgesetz im Keim zu ersticken. Die chinesische Regierung wolle für Hongkong eine Herrschaft der Sicherheitskräfte und benötige jemanden, der diese Sicherheitskräfte im Griff hat, hatte der Ex-Parlamentarier Ted Hui im Gespräch mit ntv.de gesagt. Lee sei eine emotionslose Maschine. "Er ist genau das, was Peking benötigt", so Hui.

Auch Image und Geschichte werden gesäubert

Der neue oberste Statthalter Pekinger Interessen definiert die Entwicklung Hongkongs als Erfolgsgeschichte, die es nun in der Welt "richtig darzustellen" gelte. Der 64-Jährige beklagt Panikmache und politische Manöver aus dem Ausland, deren Ziel es sei, schlecht zu reden, was Hongkong erreicht habe. Lee verspricht Fortschritt und Stabilität. Welchen Charakter dieser Fortschritt haben dürfte, zeigt jedoch die Zusammensetzung des künftigen Kabinetts.

Ein Beispiel ist Bildungsministerin Choi Yuk Lin. Schon 2012 wollte Choi dem Bildungswesen ihren Stempel aufdrücken, als sie die Lehrinhalte an Hongkonger Schulen "reformieren" wollte. In ihrer Vorlage wurde die Kommunistische Partei Chinas als eine "vereint herrschende Gruppe" etikettiert, die selbstlos handle. Schulbücher sollten nach ihrer Vorstellung Mehr-Parteien-Systeme als Wurzel für Chaos und Unruhe darstellen, und das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens als einschneidendes Ereignis der jüngeren chinesischen Geschichte aus der Erinnerung verbannt werden.

Selbst Kantonesisch sollte verschwinden

"Wir können davon ausgehen, dass Choi eine Agenda der ’nationalen Bildung‘ vorantreiben wird, die der Jugend Hongkongs beibringt, was es bedeutet, 'moralische Qualitäten zu entwickeln', und ’nationale Identität‘ zu fördern", kommentierte Lokman Tsui vom Citizenlab der Universität Toronto, der unter anderem zu Menschenrechtsentwicklungen in Hongkong forscht.

Auch hatte Choi vor einigen Jahren schon einmal ins Spiel gebracht, die kantonesische Muttersprache der Hongkonger im Bildungswesen durch Mandarin zu ersetzen. Nach einem Aufschrei in der Bevölkerung sprach die Regierung schließlich von einem Missverständnis. "Wir missverstehen, was am 4. Juni 1989 geschehen ist. Wir missverstehen, was in Xinjiang vor sich geht. Wir missverstehen die Kommunistische Partei. Würden wir sie verstehen, würden wir begreifen, dass die Absichten der KP rein und gut sind", so der gebürtige Hongkonger Tsui sarkastisch. Chois Mission sei es, Hongkong dieses Verständnis als Bildungsministerin zu vermitteln.

Hongkong steht vor einer ungewissen Zukunft

Einen Fingerzeig gibt auch die Ernennung von Sun Dong als neuen Minister für Innovationen, Technologie und Industrie. Sun hatte sich der Kritik chinesischer Staatsmedien an der University Grants Commission (UGC) angeschlossen. Das unabhängige Gremium, das sich aus Experten aus aller Welt zusammensetzt, nimmt Einfluss auf die Finanzierung von Forschungsprojekten Hongkonger Universitäten und Einrichtungen. Der ausländische Einfluss auf die UGC sei "ein Überbleibsel der Briten", sagte Sun. Die Aussichten für den Forschungsstandort Hongkong trüben sich.

Und so blickt die Stadt auch auf eine ungewisse Zukunft, was ihren Stellenwert als Handels- und Finanzzentrum der Welt angeht. Eine Umfrage im März hatte ergeben, dass viele westliche Unternehmen ihr Personal oder zumindest Teile davon aus Hongkong abziehen wollen. Denn es wird immer schwieriger, nicht nur geeignetes Personal zu finden, das in Hongkong leben möchte. Auch Talente vor Ort werden zunehmend rar, weil Zehntausende gebürtige Hongkonger die Stadt im Zuge der politischen Säuberung verlassen haben. Eine Perspektive, bald in ihre Heimat zurückzugehen, sehen die meisten nicht. Zumindest bleibt ihnen die triumphale Inszenierung am 1. Juli durch die KP im Exil erspart.

Quelle: ntv.de


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