Die Gaspipeline Nord Stream 1 ist seit Anfang Juli abgeschaltet. Eigentlich nur wegen der jährlichen Wartungsarbeiten. Aber Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und viele andere befürchten, dass Russland nach der Wartung den Gashahn nicht wieder aufdreht. "Was wir in der Vergangenheit gesehen haben, ist, dass technische Gründe vorgeschoben werden, um quasi eine politische Wartung vorzunehmen. Da es einmal passiert ist, kann es natürlich wieder passieren", so Habeck. Insidern zufolge will Russland am Donnerstag wieder Gas durch die Leitung schicken, allerdings weiterhin reduzierte Mengen.
Schon vorher hatte Moskau die Gaslieferung über Nord Stream 1 gedrosselt. Die Auslastung lag zuletzt nur bei etwa 40 Prozent des Maximums. Russland hatte das mit technischen Problemen begründet. Laut Betreiber Gazprom fehlte eine Turbine von Siemens Energy. Sie ist aber mittlerweile in Kanada repariert worden und soll bereits in Deutschland angekommen sein.
Deutschland ist auf Gasimporte aus dem Ausland angewiesen. Es gibt hierzulande kaum Erdgas. Nur rund fünf Prozent des Verbrauchs fördert die Bundesrepublik selbst.
Gas aus Norwegen, Belgien und den Niederlanden
Russland ist Deutschlands wichtigster Gaslieferant. Über die Hälfte des Gases - 55 Prozent - kam vergangenes Jahr von dort. Das meiste davon wurde bisher durch Nord Stream 1 bis nach Lubmin bei Greifswald gepumpt.
Neben Nord Stream 1 kam russisches Gas bisher noch durch zwei andere Pipelines: Die Transgas-Pipeline verläuft durch die Ukraine bis nach Waidhaus in Bayern. Aber auch hier hat Russland die Liefermengen inzwischen um zwei Drittel gedrosselt. Die Jamal-Pipeline, die normalerweise Gas über Polen bis nach Mallnow in Brandenburg gepumpt hat, liegt derzeit komplett still.
Erdgas aus Europa ist für Deutschland also derzeit wichtiger denn je. Norwegen ist nach Russland der zweitgrößte Erdgas-Lieferant. Etwa 30 Prozent kamen 2021 über drei Pipelines nach Deutschland. Und das Land hat versprochen, noch mehr zu liefern. Wichtige Gasliefer-Länder sind außerdem die Niederlande und Belgien. "Wir würden überhaupt nicht vorankommen, wenn wir in dieser Situation nicht auf Frankreich, auf Belgien, auf die Niederlande und auf Norwegen zurückgreifen könnten, die uns ja unterstützen", hatte Habeck Ende Juni gesagt. Zudem erhöhe Algerien seine Gas-Liefermengen nach Italien. Der Gasmarkt sei sehr stark europäisch reguliert und organisiert, erklärte der Wirtschaftsminister.
Deutschland unterstützt Pipeline-Projekt in Spanien
Deutschland braucht mehr Gas, damit das Land warm durch den Winter kommt. Aktuell sind die deutschen Gasspeicher nur zu rund 65 Prozent gefüllt. Deshalb werden neue Gaslieferanten gesucht.
Spanien zum Beispiel könnte in Zukunft dazugehören. Das Land bekommt durch zwei Pipelines Erdgas aus Algerien in Nordafrika. Außerdem besitzt Spanien Flüssiggas-Terminals und die dazugehörigen Speicher. Momentan sei es aber nicht so einfach, spanisches Gas zu beziehen, sagt Chefvolkswirt Thomas Gitzel von der VP Bank bei ntv. "Die EU müsste rasch für ein gesamteuropäisches Pipeline-Netz sorgen."
Damit das Gas nach Deutschland kommt, braucht es Pipelines. Bisher gibt es nur zwei kleine Erdgasleitungen bis nach Frankreich, die aber lange nicht ausreichen. Diskutiert wird jetzt, eine halbfertige Pipeline weiterzubauen, das sogenannte Midcat-Projekt, das seit 2019 auf Eis liegt. Die Erdgaspipeline soll von Barcelona nach Südfrankreich führen, ist aber bisher nur auf spanischer Seite fertig. Deutschland unterstützt das Projekt. Spanien fordert, dass der Bau der Pipeline von Brüssel finanziert wird.
Angedacht ist auch eine zweite Pipeline - von Spanien nach Italien. Beide Pipelines zu bauen, dauert aber laut Experten noch mindestens zwei Jahre.
Gaslieferungen aus den USA fallen weg
Auch außerhalb Europas suchen Deutschland und die europäischen Länder nach Gaslieferanten. Mehr Gas soll in Zukunft aus Aserbaidschan kommen. In den kommenden fünf Jahren sollen sich die Lieferungen in die EU verdoppeln. Die ehemalige Sowjetrepublik grenzt an Russland - und hat zu Moskau noch enge Verbindungen.
Außerdem soll Gas aus Israel fließen. Das Erdgas soll in Ägypten verflüssigt werden, und dann mit Schiffen zu Flüssiggas-Terminals in Europa gebracht werden. Eingeplant für nächstes Jahr sind rund zehn Milliarden Kubikmeter Gas. Eine direkte Pipeline von Israel nach Europa gibt es noch nicht. Seit Jahren ist aber eine Leitung geplant, über Zypern bis nach Griechenland.
Auch die USA wollten eigentlich noch dieses Jahr 15 Milliarden Kubikmeter Flüssiggas nach Europa liefern. Allerdings fallen die Lieferungen vorerst aus. In einem texanischen Flüssiggas-Terminal hatte es Anfang Juni eine Explosion gegeben. Ersatz ist nicht so schnell in Sicht.
Zudem könnte Afrika einer der neuen Partner in Sachen Gas werden. Bundeskanzler Olaf Scholz hat bei seiner Afrikareise Interesse angemeldet und vom Senegal positives Feedback bekommen. Der westafrikanische Staat hat große Gasvorkommen und will ab Herbst 2023 Flüssiggas, also LNG, exportieren. Es will aber nur an die Länder Gas liefern, die sich bei der Erschließung der Gasvorkommen engagieren. Scholz hat dem Senegal angeboten, bei der Gasförderung zu helfen. Es geht um die Erschließung eines Gasfelds vor der westafrikanischen Küste. Schon jetzt kommen immerhin rund 18 Prozent des Gases für Europa vom afrikanischen Kontinent, aus Libyen oder Algerien.
Vertrag mit Katar? "Von einem Autokraten zum nächsten"
Ausgemacht ist schon, dass Katar - einer der größten Gaszulieferer weltweit - Flüssiggas an Deutschland liefern soll. Das aber erst in zwei Jahren, ab 2024. Wie viel geliefert wird, ist noch nicht klar.
Verträge mit einem Land zu schließen, das Menschenrechte verletzt und Bürgerrechte einschränkt, hatte für viel Kritik gesorgt. "Man kommt hier vom Regen in die Traufe, von einem Autokraten zum nächsten", so die Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung bei ntv.
Noch kommt Flüssiggas allerdings in Deutschland gar nicht direkt an, da es keine eigenen Terminals dafür gibt. Das flüssige Gas wird mit Tankwagen aus anderen europäischen Ländern wie Frankreich oder den Niederlanden nach Deutschland gebracht.
LNG-Terminals starten in Deutschland
Die USA sind der größte Exporteur von Flüssiggas weltweit. Ein Drittel liefert Washington nach Europa. Immer mehr Erdgas wird in den USA per Fracking gewonnen. Eine umstrittene Methode, die in Deutschland verboten ist.
Noch in diesem Jahr sollen drei LNG-Terminals in Deutschland an den Start gehen, in Wilhelmshaven, Brunsbüttel und Lubmin. Weitere sind geplant. "Wenn wir wirklich strukturell wegkommen wollen von russischem Gas, brauchen wir Flüssiggas", meint Malte Küper, Energieexperte vom Institut der deutschen Wirtschaft bei ntv. Denn die Potenziale für Gasbezüge via Pipelines aus Norwegen und den Niederlanden seien begrenzt. Deshalb müsse man in großem Stil auf Flüssiggas setzen.
Die Bundesregierung muss Tempo machen, beim Bau von LNG-Terminals. Und dringend neue Partner finden. Denn Ende 2024 will Deutschland komplett ohne russisches Gas auskommen. Höchstwahrscheinlich hat Russland bis dahin ohnehin schon längst den Gashahn zugedreht.
Quelle: ntv.de
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