Der scheidende ukrainische Botschafter Andrij Melnyk lässt keine Anzeichen erkennen, seine letzten Wochen in Berlin ruhig ausklingen lassen zu wollen. "Diese katastrophale Verweigerungspolitik der SPD und der Ampel, die Ukraine ausgerechnet in diesem kritischen Moment militärisch im Stich zu lassen, wird verheerende Folgen für die Zukunft haben", poltert Melnyk auf Twitter. Der Botschafter bezieht sich auf die Debatte um die Lieferung deutscher Kampfpanzer. Politiker der Grünen und der FDP sprechen sich dafür aus, die SPD hingegen zögert, mal wieder. Aber lässt Deutschland die Ukraine wirklich militärisch im Stich?
Auch wenn andere Länder sowohl in absoluten Zahlen als auch im Vergleich zu ihrer Wirtschaftskraft deutlich mehr liefern, ist die deutsche Unterstützung für die Ukraine nicht unerheblich. Eine von der Bundesregierung veröffentlichte Übersicht listet detailliert alle Militärhilfen seit Jahresbeginn auf. Diese breite Palette beinhaltet Bestände der Bundeswehr sowie der deutschen Industrie, finanziert aus dem zwei Milliarden Euro umfassenden Topf der sogenannten Ertüchtigungshilfe. Darunter fallen auch schwere Waffen, allem voran 24 Flakpanzer vom Typ Gepard. Diese stammen aus Altbeständen der Rüstungsschmiede Krauss-Maffei-Wegmann und werden inzwischen an der Front eingesetzt. Sechs weitere sollen folgen.
Im Mai sagte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba der "Welt", die Ukraine habe die Flugabwehrpanzer gar nicht angefragt: "Es stimmt, dass wir nicht um den Gepard gebeten hatten, ausschlaggebend für die Bundesregierung scheint eher gewesen zu sein, uns etwas zu geben, was sie selbst nicht braucht", so Kuleba. "Die Gepards sind eine sehr gute Flugabwehr für die Front, die Drohnen und Angriffsflugzeuge aus der Nähe abschließen können. Das schränkt die Luftmöglichkeiten Russlands deutlich ein", sagte der ukrainische Militärexperte Oleksandr Mussijenko ntv.de.
Schmyhal: Haubitzen haben sich bewährt
Zudem hat Deutschland zehn Panzerhaubitzen 2000 aus Bundeswehrbeständen geliefert. Die selbstfahrenden Geschütze gelten als modern und hocheffektiv. Der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal hob Anfang September die Bedeutung der Panzerhaubitzen sowie der Raketenwerfer Mars II hervor, von denen Deutschland drei zur Verfügung gestellt hat. Diese hätten sich "auf dem Schlachtfeld bewährt", sagte er bei einem Besuch in Berlin. Er hoffe auf weitere Lieferungen - geplant sind derzeit keine.
Bereits in der Ukraine befinden sich 2700 Fliegerfäuste vom Typ Strela, 500 Stinger-Fliegerabwehrraketen und drei Bergepanzer. Seit langem auf der ukrainischen Wunschliste stehen die Aufklärungssysteme Cobra - ein Exemplar hat Deutschland kürzlich geliefert. Die ukrainischen Truppen können damit gegnerische Artilleriestandorte lokalisieren und sich so mitunter einen deutlichen Gefechtsvorteil verschaffen. Die angekündigte Lieferung des Luftabwehrsystems Iris-T steht dagegen noch aus. Diese wären für die Ukraine jedoch wichtig, um die russischen Raketenangriffe abzuwehren, sagte der ukrainische Sicherheitsexperte Vasyl Mykhailyshyn ntv.
Der österreichische Oberst Markus Reisner weist zudem darauf hin, dass eine funktionierende Fliegerabwehr es möglich machen würde, den Schutz des Hinterlandes zu gewährleisten. "Der ist wichtig, um sicherstellen zu können, dass Versorgungsdepots, Treibstoffdepots und Infrastruktur nachhaltig gegen die russischen Angriffe geschützt werden."
Auch humanitäre Hilfe aus Berlin
Abseits schwerer Waffen genehmigte die Bundesregierung bislang mehrere Millionen Schuss Munition, hunderttausend Handgranaten sowie verschiedene Drohnenabwehrsysteme und Fahrzeuge. Dazu kommen ganz profane Dinge wie Helme, Kleidung oder Essensrationen. Einen großen Beitrag leistet Deutschland in der medizinischen Versorgung: Krankenhausbetten, Medizin und ein Feldlazarett gingen an die Front. Insgesamt beträgt der Gesamtwert der Lieferungen seit Jahresbeginn mehr als 730 Millionen Euro. Für das Material aus Bundeswehrbeständen wird dabei der jeweilige Zeitwert berechnet, der mitunter deutlich unter dem Anschaffungswert liegt.
Für ein Land, das weiterhin unter Dauerfeuer einer Invasionsarmee steht, ist das jedoch nicht genug. Seit Wochen bittet Kiew um schwere Waffen, insbesondere um den deutschen Kampfpanzer Leopard 2 und Schützenpanzer vom Typ Marder. Diese seien angesichts des russischen Angriffskrieges nötig, "um Menschen zu befreien und sie vor dem Genozid zu bewahren", schreibt Außenminister Kuleba auf Twitter. Bundeskanzler Olaf Scholz warnt zwar vor "Alleingängen", der Druck auf das Kanzleramt in dieser Frage steigt jedoch stetig. Diesen noch weiter zu erhöhen, dürfte Botschafter Melnyk in seinen letzten Berliner Wochen als seine Hauptaufgabe ansehen.
Quelle: ntv.de
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