Erste Fahrt mit neuer E-Klasse - endlich vollendet

  25 Juli 2023    Gelesen: 733
  Erste Fahrt mit neuer E-Klasse - endlich vollendet

Und wieder schickt Mercedes eine neue Businessklasse-Generation an den Start: die E-Klasse. Doch um welche Generation handelt es sich eigentlich? Das ist eine zutiefst philosophische Frage. Warum das so ist und wie der Neuling fährt, erzählt ntv.de.

Wie die Zeit rast. Gerade noch wurde die brandneue E-Klasse der Baureihe 214 im Studio vorgestellt, nur zur Ansicht quasi, ohne Möglichkeit der Probefahrt. Und schwups, schon präsentiert Mercedes die fahrbaren Serienversionen. Nur welche davon nehmen, die Frage stellt sich angesichts der Flut an Varianten, die die Schwaben nach Wien gekarrt haben.

Wie wäre es, einfach mal klein anzufangen? Autohersteller sind zwar nicht dafür bekannt, gerne Basismodelle mitzunehmen auf Präsentationstour. Aber wer sagt es denn, Mercedes hat doch tatsächlich einen E 200 hier in der Flotte. Und jetzt bitte ins Datenblatt schauen und die Leistungswerte mal auf der Zunge zergehen lassen: 204 PS bringt diese Einsteiger-Businessklasse und wird auch noch von einem 23 PS starken Elektromotor (Boost) unterstützt. Eigentlich Wahnsinn, oder? So viel Leistung hatte in den Neunzigerjahren - und das ist gefühlt keineswegs so lange her - nicht einmal der distinguierte 300 E der Baureihe W124 mit feinem Reihensechszylinder.

Der Vierzylinder ist stark wie nie

Heute entstammt dieser Output freilich einem Zweiliter mit bloß vier Zylindern. Und überhaupt, dieser Top-Vierzylinder kann sogar viel stärker daherkommen, aber darüber wird noch zu sprechen sein. Jetzt also E 200. Mit dem bereits angesprochenen Superscreen. Der ist nicht ganz so ausladend wie der in anderen Baureihen zum Einsatz kommende Hyperscreen, aber immer noch gewaltig genug, um die abgedrehtesten Infotainment-Nerds in ihren Bann zu ziehen. Beispielsweise mit der Möglichkeit, dass Personen auf dem Beifahrersitz während der Fahrt Videoinhalte konsumieren können und überhaupt mit Apps wie Tiktok oder Zoom hantieren dürfen (die Kamera dafür sitzt auf Wunsch auf der Armaturentafel). Wichtig ist darüber hinaus aber, dass Dinge wie Navi und Audiofunktionen recht intuitiv bedient werden können. Und natürlich muss das Ausschalten der Spurvibration zackig gelingen. Höchstens drei Touch-Gesten reichen dazu. Oder man bemüht die deutlich in der Leistung gesteigerte Sprachbedienung.

Wunderbar, dann kann es also losgehen. Fahrstufe per Lenksäulenhebel einlegen - klappt ebenso intuitiv. Und das Grundmodell der E-Klasse rollt an. Ein bisschen angasen auf der Landstraße Richtung Ungarn geht auch klar, hier ist es schließlich menschenleer. Und kommt das Gefühl mangelnder Power auf? Aber nicht doch. Man könnte jetzt das Motorgeräusch monieren. Na ja, kultiviert läuft der Direkteinspritzer alias M 254 aber schon, da kann man nicht meckern. Der E 200 ist wirklich fein, mit ihm kann man sich anfreunden. Und auch der Sprint auf 100 km/h kann sich sehen lassen mit 7,5 Sekunden ebenso wie die Topspeed von 240 Sachen. Entsprechend druckvoll geht es auch unter Verwendung des Kickdowns nach vorn.

Es gibt vier Plug-in-Hybride im W214

Aber jetzt wird gewechselt, und zwar auf eine andere Vierzylinder-Variante. Eine, die 252 PS leistet und noch weitere 129 PS Elektro-Schützenhilfe bekommt. Wie sie heißt? E 400 e 4Matic - das wäre früher mal ein Achtzylinder gewesen. Der Vierhunderter soll die Herzen der Antriebsfans mit der Systemleistung von 381 PS erobern. Puh. Wirklich? Es gibt ja auch noch den E 450 4Matic mit der gleichen Leistung. Das schreit doch geradezu nach einem Vergleich. Aber jetzt der Reihe nach. Der Plug-in-Hybrid gibt Häuslebesitzer mit Photovoltaik auf dem Dach immerhin die Möglichkeit, dank 25,4 kWh-Akku mit kostenloser Energie zu fahren. Also, wenn die Photovoltaik-Anlage sowieso angeschafft worden wäre. Ebenfalls ein philosophisches Thema. Aber gut, bis zu 109 Kilometer rein elektrische Fahrt pro Akkuladung sind drin. Ja, das geht wirklich.

Und dann nämlich lautlos ohne jegliche Vibrationen. Das kann auch ein Reihensechszylinder nicht. Aber macht das Spaß? In der City ist es zumindest völlig in Ordnung und selbst auf Überlandstrecken ganz gut machbar. Aber wenn es, wie vom Werk versprochen, innerhalb von 5,3 Sekunden auf 100 km/h gehen soll, müssen natürlich die vereinten Kräfte ans Werk. Und dann marschiert der 2,3-Tonnen-Bursche ordentlich - bis zur abgeregelten Höchstgeschwindigkeit von 250 km/h.

Aber jetzt schnell das Cockpit wechseln, ab in den E 450 4Matic. Innehalten, Motor starten und genießen. Oh nein, liebe Mercedes-Leute, ihr wisst hoffentlich schon, dass der W214 erst mit diesem Motor zum vollendeten Hochgenuss wird. Was für ein seidiger Antrieb in Kombination mit dem Neungang-Wandler. Plötzlich fügt sich das Puzzle aus sahniger Maschine, geschmeidigem Getriebe, sanfter Luftfederung und den ultrakomfortablen Fauteuils plötzlich zu einem schlüssigen Bild zusammen. Und dann ist der Vierfuffziger auch noch pfeilschnell, erstürmt die 100-km/h-Marke binnen 4,5 Sekunden. Den sehen die meisten Verkehrsteilnehmer wohl nur von hinten, was wiederum den Vorteil hat, die aus LED geformten illuminierten Mercedes-Sternchen in den Rückleuchten bestaunen zu können. Ich würde mich ja übrigens auch gerne mal im Fond chauffieren lassen, wo jetzt noch mehr Beinfreiheit herrscht dank 2,2 Zentimeter Radstand-Plus. Aber geschenkt, nicht hier und heute.

Diese E-Klasse könnte die letzte klassische sein

Wie war das noch einmal? Wenn es besonders schön ist, soll man aufhören. Angeblich will Mercedes ja auch mit der klassischen E-Klasse aufhören. Der W214 soll der letzte neue Mercedes der oberen Mittelklasse auf Verbrenner-Plattform sein. Und auch das hier ausgestellte T-Modell soll das letzte sein. So gesehen wäre das Kapitel vollendet. Ich sage jedoch: abwarten. Sind ja noch sieben Jahre hin bis zum proklamierten Verbrenner-Ausstieg von Mercedes. Und für dieses Fahrevent empfehle ich den sanften Ausklang. Vielleicht mit einem "Brot-und-Butter-Modell" der E-Klasse namens E 220d. Die Anführungszeichen deshalb, weil der analog zum Benziner ebenfalls zwei Liter große und äußerst kultiviert werkelnde Diesel auch schon 197 plus 23 PS leistet.

Übrigens hält Mercedes weiterhin am 313 PS starken Diesel-Hybrid fest mit einem Akku, der genauso viel Strom aufnimmt wie die Batterie des Benzin-Hybrid (und es lassen sich beide auf Wunsch mit 55 kW Gleichstrom laden). Ob sich das lohnt, muss jeder selbst abwägen. Immerhin kommt der sparsame Vierzylinder-Diesel schon verbrennerisch mit asketischen 5,5 Litern je 100 Kilometern aus im gemittelten WLTP-Verbrauch. Und er rennt kaum weniger phlegmatisch als der Basis-Benziner, beschleunigt innerhalb von 7,6 Sekunden auf 100 km/h und macht 238 km/h in der Spitze.

Zur Abwechslung geht es mit dem 4,95 Meter langen Tourer (das sind in etwa die Abmessungen der ersten Mercedes S-Klasse W116) über die Autobahn in die Stadt. Auf der schnurgeraden Fahrbahn kann die Hinterachslenkung (4,5 Grad) zwar wenig ausrichten, aber der automatische Spurwechsel, ausgelöst durch simples Blinken, funktioniert jedenfalls. Konnte übrigens schon der Vorgänger W213, aber noch nicht so flüssig.

Und jetzt vorab schon einmal ein dickes Sorry, dass vor lauter Fahrerei der verschiedenen Versionen die ganzen feinen elektronischen Neuerungen der E-Klasse nicht hinreichend ausführlich besprochen werden können. Beispielsweise die Funktion, dass die E-Klasse mit ihren lernbaren Routinen bestimmte Features selbst aktiviert. Irgendwann schaltet der Wagen also automatisch die Sitzheizung beispielsweise ab 7 Grad Celsius ein, falls man das vorher immer fleißig getan hat. Und klar kann man sich auf Wunsch mit 4D-Sound aus 21 Lautsprecherboxen beschallen lassen (dann vibrieren sogar die Sitze gezielt) inklusive Dolby-Atmos-Standard. Und der Schlüssel, also die Zugangsberechtigung, liegt auf Wunsch auf dem Smartphone. Darüber hinaus funktioniert das automatisierte Einparken jetzt schneller.

Mercedes-Businessklasse macht auch ohne Elektronik Spaß

Über genaue Preise schweigt Mercedes noch, aber da beim Vorgänger nichts unter 51.000 Euro ging, dürfte auch die neue E-Klasse kein günstiges Vergnügen werden und vermutlich noch ein bisschen teurer als der Vorgänger.

Zum "Nachtisch" gönne ich mir aber noch einen kleinen Rückblick, wie E-Klasse früher fuhr. Beziehungsweise die kleine Mercedes-Baureihe - die Bezeichnung "E-Klasse" kam schließlich erst mit der letzten Ausbaustufe des W124 auf. So gesehen wäre die Baureihe 214 die sechste Generation. Doch wie weit kann man generell zurückgehen? Bis zum Mercedes 170 der Baureihe W15 (ab 1931) oder bis zu den Benz-Modellen? Da wäre beispielsweise der Benz 21/50 PS, lieferbar ab dem Jahr 1914, zu nennen. Egal, jetzt wird es philosophisch (ab wann spricht man von legitimen Vorgängern?).

Ich schnappe mir einen Mercedes 200 der Baureihe 110 (die berühmte Flosse) aus den Mittsechzigern, um hautnah zu erleben, wie gemächlich damals die Zeit vergangen sein muss im Alltag ohne jegliche Elektronik, ohne Computer. Aber der damals schon stattliche Viertürer mit 4,73 Metern und 95 PS hatte optional sogar eine Viergang-Automatik mit sogenannter hydraulischer Kupplung. Fährt sich eigentlich wie eine moderne Automatik, nur die Schaltrucke sind dezent spürbar. Und der damals wie heute zwei Liter große Vierzylinder äußert sich in einer seiner Urformen deutlich lauter als heute. Außerdem erspürt man mit dem gemütlichen Zweihunderter förmlich Steigungen, bevor sie überhaupt zu sehen sind.

Um die 15 Sekunden benötigt der 1,3-Tonner bis 100 km/h und rennt 160 Sachen. Aber das Fahren macht trotzdem Spaß auch ohne Superscreen und Assistenz. Stattdessen offenbart der Blick auf das vertikale Kombiinstrument, wie der Bandtachometer allmählich immer mehr Tempo anzeigt. Ach ja, und der ganze Infotainment-Gehalt manifestiert sich in einer Öldruckanzeige. Auch nicht schlecht. Obwohl der W214 der deutlich komfortablere (und bessere) Alltagswagen ist, erntet der W110 natürlich deutlich mehr Blicke von den Passanten. Und der Fahrspaß-Faktor? Jetzt wird's wieder philosophisch.

Quelle: ntv.de


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