Eine Branche muckt auf

  18 April 2016    Gelesen: 742
Eine Branche muckt auf
Microsoft, Apple, WhatsApp und andere wehren sich neuerdings mit allen Mitteln gegen die Begehrlichkeiten der US-Behörden. Warum so erbittert und warum gerade jetzt?
Apple wehrt sich mit scharfen Attacken gegen das FBI und die Regierung, Microsoft verklagt das Justizministerium, WhatsApp ärgert Strafverfolger durch die Einführung von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung – in den USA findet seit einiger Zeit ein Machtkampf zwischen Silicon Valley und Capitol Hill statt. Dass er ausgerechnet jetzt zu eskalieren scheint, hat viele Gründe.

Den Konflikt als Spätfolge der Snowden-Enthüllungen anzusehen, wäre jedenfalls zu kurz gegriffen. Was der Geheimdienst-Whistleblower zusammen mit Journalisten über das Ausmaß der globalen Kommunikationsüberwachung, die technischen Fähigkeiten der NSA und ihrer Verbündeten sowie die bisweilen armselige parlamentarische Kontrolle der Dienste veröffentlicht hat, spielt aber natürlich eine Rolle.

Seit die Snowden-Dokumente das erste NSA-Geheimprogramm – intern Prism genannt – enthüllten, steht die Internetwirtschaft unter verschärfter Beobachtung der Öffentlichkeit. Unternehmen werden kritisiert, wenn sie als willfährige Helfer der US-Regierung erscheinen, wenn sie sich gegen ausufernde Überwachungsanordnungen nicht entschlossen genug vor Gericht wehren oder wenn sie Opfer von staatlichen Hackerangriffen werden. Das ist kurzfristig schlecht fürs Image und langfristig eine ernsthafte Bedrohung für die Geschäftsmodelle.

Selbstbedienungsläden für die US-Regierung

Denn die funktionieren nicht ohne Vertrauen: Wer Microsofts Cloud – einen der wichtigsten Geschäftszweige des Unternehmens – als Selbstbedienungsladen der US-Behörden wahrnimmt, sucht sich lieber eine Schweiz für seine Daten. Wer iPhones für 750-Euro-Wanzen hält, kann ebenso gut zum halb so teuren Androidmodell aus China greifen. Wer den Eindruck hat, seine WhatsApp-Nachrichten könnten die Bettlektüre des NSA oder des BND sein, nutzt lieber einen der Open-Source-Messenger.

Je mehr Menschen und Geräte vernetzt werden, besonders durch den globalen Ausbau der Internetinfrastruktur und das Internet der Dinge, desto wichtiger wird es für Unternehmen, vertrauenswürdig zu erscheinen. Vertrauen aber müssen sie sich erkämpfen.

Öffentlichkeitswirksame Streits mit der eigenen Regierung sind dafür eine passende Bühne. In den USA können sie sogar mal gewinnen. In Ländern, in denen die Regierung mehr Einfluss auf Justiz und Medien hat und in denen Unternehmen bei mangelnder Kooperation einfach dichtgemacht werden können, fällt die Gegenwehr viel schwächer aus, wenn es sie überhaupt gibt.

Gesetze von 1789, 1981 und 1994 gegen die Technik von heute

Protest kann man nicht ohne PR schreiben. Dass es zwischen der US-West- und Ostküste mitnichten einen unüberwindbaren Graben gibt, zeigt die fortwährende Kooperation beider Seiten auf anderen Ebenen. Aber ebenso wenig, wie Snowden der Grund für die Auseinandersetzungen zwischen Technikbranche und Regierung ist, lässt sich das Ziel auf bloße PR reduzieren.

Vielmehr haben die Unternehmen erkannt, wie wenig die Gesetzeslage in den USA zu den technischen Möglichkeiten passt. Und zwar sowohl zur Datensicherheits- wie auch zur Überwachungstechnik. Drei Beispiele:

Das FBI hält den All Writs Act von 1789 für geeignet, um ihn auf heutige Verschlüsselungstechnik anzuwenden.

Zuvor hatte die US-Bundespolizei versucht, den Geltungsbereich des Communications Assistance for Law Enforcement Act (Calea) von 1994 immer weiter auszudehnen. Was 1994 vom Kongress verabschiedet wurde, um das Abhören von Telefonen zu ermöglichen, wurde 2006 von der Handelskommission FCC und einem Gericht in Washington – nicht aber dem Kongress – auf Internetprovider ausgeweitet. Seit 2013 versucht das FBI, auch Dienstanbieter wie WhatsApp, Facebook, Apple und Google in Calea einzubeziehen, bisher bekommt es dafür aber wenig Unterstützung.

Die präsidiale Verfügung 12333 von 1981 wird bis heute von den US-Geheimdiensten als Legitimation zum Abhören von Nicht-US-Bürgern benutzt.

Es sind Gesetze aus einer Zeit, in der die heutige Informationsgesellschaft nicht absehbar war. Ebenso wenig wie die technischen Abhörmöglichkeiten vom Meeresboden bis in den Weltraum. Und auch die Fantasie, mit der insbesondere Geheimdienste die Gesetze für ihre Zwecke zurechtinterpretieren, hätte die Verfasser dieser Gesetze wohl überrascht.

Dass sich große Unternehmen nun gegen die kreative Auslegung der veralteten Gesetze wehren, ist also kein Wunder. Ihre Updatezyklen sind sechs Monate lang, während die Rechtsgrundlage sich jahrzehntelang kaum verändert. Je weiter der technische Fortschritt geht, desto größer wird das Missverhältnis, desto mehr müssen Wirtschaft und Verbraucher den Eindruck bekommen, zum Spielball der Behörden und Gerichte zu werden. Für die Unternehmen ist dabei besonders ärgerlich, dass auch ihre ausländischen Kunden in den Einflussbereich der US-Regierung fallen, nur weil sie US-Technik nutzen. Ein Verkaufsargument ist das nicht gerade. Im Silicon Valley könnte sich die Sorge ausbreiten, dass die USA den Ruf bekommen, den China und Russland längst haben.

Die Lösung, das glaubt auch die Branche, liegt im Kongress. Die Volksvertreter müssen zeitgemäße Gesetze beschließen, damit die Wettbewerbsfaktoren Datensicherheit und Datenschutz nicht länger in den Händen von Richtern liegen, die offen zugeben, keine Ahnung von Technik zu haben.

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