Im Frühjahr hat Mercedes sein Flaggschiff des klassischen Limousinenbaus, also die gute alte S-Klasse, ein wenig modernisiert. Wirklich nötig hatte die 2020 vorgestellte Oberklasse die Aufarbeitung nicht und so blieben die Verbesserungen auch weitgehend digitaler Natur oder dienten der Optimierung von Details oder der Ausstattung. Zum Test traf ein S 450 D 4matic in Langversion ein, mit Manufakturausstattung und eigentlich allem, was die Preisliste hergibt.
Wobei genau da schon eine Herausforderung entsteht. Denn eine klassische Preisliste gibt es nicht mehr. Man kann konfigurieren, was die Mercedes-Seite so hergibt. Wir haben ermittelt, dass unser Testwagen einen Basispreis von rund 124.000 Euro hat und mit allem, was an Extras an Bord war, wahrscheinlich knapp an der 2 vorn auf der Rechnung vorbeischrammte.
Hellblauer Lack, fast weißes Leder
Mercedes ist zu Recht stolz auf die erweiterten Manufaktur-Umfänge, die der zahlungskräftige Kunde buchen kann. Darunter beispielsweise ein "vintage blue" genannter hellblauer Lackton, der tatsächlich an Mercedes-Modelle der 1960er Jahre erinnert. Das zugehörige Leder innen ist fast weiß, sieht sehr edel aus und soll trotzdem auch die Besetzung mit Jeans auf Dauer nicht durch Verfärbungen quittieren. Das konnten wir naturgemäß in der Kürze der Zeit nicht bestätigen.
Verweilen wir noch kurz beim Innenraum. Die integrierten Kissen in den Kopfstützen sind jetzt serienmäßig. Ansonsten bietet das Gestühl keinen Anlass, irgendetwas anders zu machen. Wer will, sitzt hier lange bequem. Und zwar vorn wie hinten. Der bequemste Platz dürfte der hinten rechts sein, zumal man mittels Chauffeurfunktion den unbelegten Vordersitz weit vorschieben kann, um die Quasi-Liegeposition einzunehmen.
Drehregler und Tasten weg
Vorn wird das Interieur optisch von dem bekannten senkrecht platzierten großen Display dominiert, dankenswerterweise flankiert von allerlei direkten Möglichkeiten, um das Klima im Auto zu regeln. Leider gibt es keine Drehregler mehr, um die Lautstärke der superben Burmester-Anlage zu steuern. Auch den Mercedes-Designern wurden sliderartige Taster aufgeschwatzt, die nun mal keinen Fortschritt darstellen.
Genauso wenig wie die inzwischen oft kritisierten Touchflächen auf dem Lenkrad, die die perfekt wirkenden Tasten verdrängt haben. In der Folge haben wir ziemlich oft die Anzeigen im Display vor dem Fahrer versehentlich verstellt und als Reaktion darauf etliche Funktionen gar nicht aktiviert, die die S-Klasse inzwischen bietet. Den automatischen Spurwechsel auf der Autobahn beispielsweise.
Schön, dass Mercedes auf dem zentralen Display in der Mitte die Option "Ausschalten" mittels eines Schalters anbietet. Das macht Fahrten im Dunklen sehr viel angenehmer und lenkt auch tagsüber weniger ab. Wobei Nachtfahrten sehr angenehm sind, denn das, was die Techniker an Licht ans Auto gezaubert haben, ist wirklich großes Kino. Nicht dass wir die theoretische Möglichkeit der Scheinwerfer, Filme abzuspielen, getestet hätten. Aber wie Straßenränder ausgeleuchtet werden und gewissermaßen über vorausfahrende Autos hinweg geleuchtet wird, ohne diese zu blenden, ist schon großartig.
Lob der Hinterachslenkung
Ähnlich angetan waren wir von der Hinterachslenkung. Die mitlenkenden Räder verkleinern nicht nur den Wendekreis, sie machen die immerhin fast 5,20 Meter lange Limousine auch in der Stadt erstaunlich handlich. Wobei Parklücken leider nicht mitwachsen. Auf Landstraßen lässt sich die S-Klasse damit fast schon sportlich bewegen, wobei auch die Wankstabilisierung hilft. Schnelle Kurvenpassagen werden auch von sonst empfindlichen Mitfahrern nicht kritisch kommentiert.
Der Antrieb ist bei den dort möglichen Geschwindigkeiten nicht gefordert. Die dieseltypische Art der Verbrennung dringt höchsten beim eiligen Überholen auf einem steilen Bergauf-Stück ans Ohr, ansonsten herrscht Ruhe bei Drehzahlen, die kaum mal die 2000er-Marke kratzen.
Dynamisch-gelassen bewegt, begnügt sich der Dreiliter-Sechszylinder mit Verbrauchswerten um 6 Liter Diesel, womit wir tatsächlich am unteren Rande des Normverbrauchs von 6,2 Liter oder sogar darunter unterwegs waren. Bei flotteren Autobahnpassagen zeigte der Bordcomputer auch mal eine 7 vor dem Komma an. Sehr respektable Werte für einen 2,2 Tonner mit 270 kW/367 PS. Eigentlich sind es sogar derer 390, denn der Diesel wird als Mildhybrid von einem 16 kW/22 PS starken E-Motor unterstützt.
Nützlicher und verzichtbarer Fortschritt
Unterstützt hat uns die Sprachsteuerung via MBUX vor allem beim Telefonieren, fand sie doch zuverlässig immer den richtigen Anschluss bei hervorragender Sprachqualität. Nicht ganz so gut hat uns die Kommunikation mit dem Auto gefallen, wenn es um andere Dinge ging. Dass man mittels ChatGPT vom Wissen des Internets ein wenig profitieren kann, ist inzwischen schon nichts Besonderes mehr und gehört zu der Sorte Fortschritt, auf die wir im Auto bestens verzichten können. Zumal da auch viel Unsinn herauskommt oder das Auto uns nicht verstehen mag. Hatten wir schon erwähnt, dass es einen Ausknopf für derlei gibt?
Aber abgesehen von den digitalen Petitessen ist die S-Klasse für uns ein fast perfektes Auto, wenn es um große Limousinen geht. Und das auch optisch, weil sie nicht so protzig daherkommt wie der Hauptwettbewerber aus dem Süden und dabei nicht minder modern wirkt. Und, ganz klar, der Diesel ist toll, aber ein Auslaufmodell, das nur noch für Europa gebaut wird und das Geld in die Konzernkassen spült, damit der vollelektrische EQS irgendwann so gut wird wie dieses Auto hier.
Mercedes S 450 d 4matic - technische Daten
Viertürige, fünfsitzige Limousine der Oberklasse
Länge: 5,18 Meter, Breite: 1,95 Meter (mit Außenspiegeln: 2,11 Meter), Höhe: 1,50 Meter, Radstand: 3,11 Meter, Kofferraumvolumen: 540 Liter
3,0-Liter-Diesel, 270 kW/367 PS + 16 kW/22 PS EQ-Boost, maximales Drehmoment: 750 Nm, 9-Gang-Automatik, Allradantrieb
0-100 km/h: 5 s, Vmax: 250 km/h
Normverbrauch (WLTP): 6,2 - 7,1 Liter/100 Kilometer, CO2-Ausstoß: 163-186 g/km, Abgasnorm: Euro 6e, Testverbrauch: 6,2 Liter
Preis: ab 124.045 Euro
Quelle: ntv.de, Günter Weigel, sp-x
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