Ukrainer geraten bei Torezk in Bedrängnis

  06 Auqust 2024    Gelesen: 433
  Ukrainer geraten bei Torezk in Bedrängnis

Die russische Taktik geht auf: Der Dauerbeschuss mit Drohnen und Gleitbomben aus der Luft und die unablässigen Attacken am Boden zeigen im Donbas Wirkung. Am Frontabschnitt zwischen Donezk und Bachmut dringt die russische Kriegsmaschinerie gefährlich weit in die ukrainischen Linien vor.

Im Krieg im Osten der Ukraine geraten die Verteidiger immer stärker unter Druck: Gleich an mehreren Stellen der mehr als 1000 Kilometer langen Frontlinie befindet sich die russische Invasionsarmee inzwischen auf dem Vormarsch. Insbesondere im Donbas sind in den Gefechten der vergangenen Wochen mehrere gefährliche Frontvorsprünge entstanden. Die Ukrainer kämpfen Beobachtern zufolge mit zunehmend erschöpften Reserven darum, das russische Vordringen aufzuhalten.

Besonders heikel stellt sich die Lage für die Ukrainer im Abschnitt zwischen Donezk und Bachmut an der sogenannten Donbas-Front dar. Die russischen Vorstöße bedrohen dort wichtige Etappenstädte wie Pokrowsk oder Kostjantyniwka. Zuletzt näherten sich die russischen Stoßtruppen der zentral gelegene Donbas-Stadt Torezk.

"Am Stadtrand von Torezk finden heftige Gefechte statt", schreiben russische Militärbeobachter unter Berufung auf nicht näher genannte Quellen. Im Bereich der Abraumhalden südlich und östlich der Stadt werde demnach intensiv gekämpft. In dem Gebiet gebe es "dichtes Artilleriefeuer von beiden Seiten".

Der ukrainische Generalstab hält sich über die genaue Lage an der Front bisher bedeckt, räumt indirekt aber bereits längst größere Probleme ein. Die ukrainischen Einheiten in der Region hätten bisher alle russischen Angriffe abgewehrt, hieß es aus Kiew. Im täglichen Lagebericht der Ukrainer tauchten zuletzt allerdings immer häufiger auch Namen von Ortschaften aus der unmittelbaren Nachbarschaft von Torezk auf. Allein dort soll es laut ukrainischen Angaben in den zurückliegenden 24 Stunden zu mehr als zwei Dutzend russischen Angriffen gekommen sein.

Die Stadt Torezk zählte vor dem Krieg rund 30.000 Einwohner. Das ausgedehnte Stadtgebiet liegt nur wenige Kilometer nördlich der ebenfalls umkämpften Ortschaft Niu-York, 20 Kilometer südlich von Tschassiw Jar und rund 50 Kilometer östlich von Pokrowsk. Torezk ist bei Weitem nicht der einzige Brennpunkt in der Ukraine: Im gesamten Frontbogen vor Torezk reiht sich aus ukrainischer Sicht ein Krisenherd an den anderen.

Die dürren Angaben aus Kiew können die Dramatik kaum verbergen: "Im Bereich Pokrowsk ist die Situation nach wie vor angespannt", heißt es knapp und nüchtern im ukrainischen Lagebericht. Dort mussten die Ukrainer eigenen Angaben zufolge zuletzt sogar 41 russische Vorstöße binnen eines Tages abwehren. Pokrowsk selbst liegt nur noch knapp 20 Kilometer von der Hauptkampflinie entfernt.

Entstanden ist die brenzlige Situation nach der Schlacht um Awdijika durch den russischen Überraschungserfolg bei Otscheretyne: Dort war es den Russen Ende April gelungen, eine Schwachstelle der Ukrainer auszunutzen und entlang eines Bahndamms unerwartet tief in die ukrainischen Verteidigungslinien vorzudringen.

Nach wochenlangen weiteren Angriffen ist in der Region ein gewaltiger Frontvorsprung entstanden, wie sich unter anderem anhand von übereinstimmenden Angaben beider Seiten nachvollziehen lässt: Eine Fülle an lokalisierbarem Video-Material belegt, dass der russische Angriffskeil nordwestlich von Awdijiwka mittlerweile auf zehn Kilometer Breite gut 20 Kilometern tief ins ukrainische Hinterland hineinragt.

Das Vorgehen der Russen folgt dem bewährten Muster: Gleitbomben, Drohnen und Artillerie nehmen rückwärtige Stellungen der Ukrainer unter Beschuss, um die ukrainischen Reserven zu zermalmen. An der Front schicken russische Kommandeure zugleich ohne Rücksicht auf Verluste leicht bewaffnete Stoßtrupps nach vorn ins Feuer, um Lücken in der ukrainischen Abwehr zu erkunden. Sobald sich eine Chance ergibt, rücken Panzerkolonnen mit Verstärkung nach. Um die eigenen Soldaten vor der Einkesselung zu bewahren, müssen die Ukrainer immer wieder kleinere und größere Ortschaften aufgeben.

"Auf der operativen Ebene sehen wir, dass die Russen versuchen, die Ukraine durch Überdehnung und Abnutzung weiter in die Defensive zu drängen", fasste Militärexperte Oberst Markus Reisner vom österreichischen Bundesheer die Entwicklung der vergangenen Wochen zusammen. "Die Russen glauben, sie hätten den Sieg vor Augen."

Das strategische Ziel der Russen ist demnach, die vier ukrainischen Regionen Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson gewaltsam in Besitz zu nehmen. Für die Ukraine habe sich die Situation in den vergangenen Wochen massiv verschlechtert, betonte Reisner zuletzt im Gespräch mit ntv.de. "Wir nähern uns einem möglichen Kulminationspunkt: Entweder die Ukraine wird jetzt massiv unterstützt oder sie muss ihre Strategie verändern."

Quelle: ntv.de


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