Bislang hatte der belgische Staat Jodtabletten nur an diejenigen Bürger kostenlos verteilt, die in einem Umkreis von 20 Kilometern um atomare Einrichtungen wohnen. Betroffen davon waren Anwohner der beiden belgischen Atomkraftwerke Tihange und Doel, der nationalen Nuklearforschungszentren in Fleurs im Süden und Mol im Norden des Landes sowie der grenznah gelegenen Akw Chooz in Frankreich und Borssele in den Niederlanden.
Die belgische Regierung setzt mit dem Beschluss eine Empfehlung des belgischen Gesundheitsrats um. Dieser hatte eine Verteilung von Jodtabletten an alle Menschen empfohlen, die in einem Umkreis von hundert Kilometern um eine atomare Einrichtung wohnen.
Die Folgen der Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima hätten gezeigt, dass ein größerer Bereich nötig sei, um die Bevölkerung besser zu schützen, sagte eine Sprecherin. Wegen der Verteilung der Anlagen auf dem gesamten belgischen Staatsgebiet und der geringen Gesamtfläche des Landes werden im nächsten Jahr alle Bewohner Belgiens Jodtabletten erhalten.
Deutschland forderte Stilllegung von Reaktoren in Belgien
Der Plan wird vor dem Hintergrund einer Pannenserie in belgischen Atommeilern debattiert. Kritik kommt vor allem aus dem Ausland: Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) forderte unlängst explizit, die Reaktoren Doel 3 und Tihange 2 vorübergehend herunterzufahren, bis offene Sicherheitsfragen geklärt seien. Auch Luxemburg forderte Belgien dazu auf, die Reaktoren Doel 3 und Tihange 2 vom Netz zu nehmen.
Bei beiden waren unter anderem Materialfehler in den Reaktordruckbehältern festgestellt worden. Das Atomkraftwerk Tihange liegt rund 60 Kilometer von der deutschen Grenze bei Aachen entfernt, Doel liegt 130 Kilometer von der Bundesrepublik entfernt im Norden Belgiens.
Belgien wies eine vorläufige Stilllegung der beiden Reaktoren zurück und versicherte, dass die belgischen Atomkraftwerke den "höchsten Sicherheitsanforderungen" entsprächen.
Die belgischen Grünen, im Parlament in der Opposition, begrüßten die Entscheidung für Jodtabletten. Allerdings müsse auch klar sein, dass ein Verteilen der Tabletten nicht bedeute, dass damit die Gefahren von atomaren Anlagen gebannt seien, sagte Grünen-Chef Jean-Marc Nollet.
Das bewirken Jodtabletten
Radioaktiv verseuchtes Jod kann durch Einatmen, Lebensmittel oder Wasser in den Körper gelangen. Setzen sich Kernspaltungsprodukte in der Schilddrüse fest, können sie schwere Krankheiten wie Krebs auslösen.
Werden Jodtabletten frühzeitig eingenommen, können sie nach Angaben des Bundesamts für Strahlenschutz die Aufnahme von radioaktivem Jod blockieren.
In Deutschland entscheidet bei einem Atomunfall der Umweltminister, ob Jodtabletten an die Bevölkerung ausgegeben werden. Die Verteilung ist Ländersache. In Aachen sind beispielsweise Jodtabletten im dortigen Universitätsklinikum deponiert.
Auch in Aachen gibt es Forderungen nach Jod
Nach der Ankündigung in Belgien werden auch in der Region Aachen Jodtabletten für die Bevölkerung gefordert. Städteregionsrat Helmut Etschenberg will den Innenminister Nordrhein-Westfalens, Ralf Jäger (SPD), bitten, der Verteilung der bereits eingelagerten Tabletten an alle bis 45 Jahre alten Einwohner zuzustimmen. Etschenberg betonte, die belgische Entscheidung bestätige die Sorgen im Raum Aachen. "Offensichtlich gibt es nun auch auf belgischer Seite erhebliche Vorbehalte, was die Sicherheit der Kraftwerksblöcke betrifft."
Jäger hält allerdings nichts von einer Vorabverteilung von Jod-Tabletten. Im Ernstfall wüssten die Menschen möglicherweise nicht, wo die Tabletten seien. Zudem müssten sie zu einem bestimmten Zeitpunkt eingenommen werden, um zu wirken, sagte der Innenminister der Deutschen Presse-Agentur.
Quelle : welt.de
Tags: