Europa ächzt

  06 Mai 2016    Gelesen: 630
Europa ächzt
Wirtschaftlich läuft es in der Währungsunion wieder besser – doch instabile Regierungen gefährden den Erfolg.
Der amerikanische Starökonom Paul Krugman räumte kürzlich ein, dass seine Prognose vom Zerfall der Währungsunion falsch gewesen sei, weil er den politischen Zusammenhalt in Europa unterschätzt habe. Tatsächlich ist den Ministern, Kanzlern und Präsidenten auf ihren Gipfeltreffen bislang immer etwas eingefallen, wenn es eng wurde – und wenn nicht ihnen, dann Notenbankchef Mario Draghi. Insofern ist es vielleicht nicht unbedingt eine gute Nachricht, wenn Europa zwar wirtschaftlich zu neuer Stärke zurückfindet, aber politisch so schwach dasteht wie selten zuvor. Aber der Reihe nach.

Die Stärke – sie manifestiert sich an einer Zahl, die die europäische Statistikbehörde Eurostat am vergangenen Freitag veröffentlicht hat: 0,6 Prozent. Das ist der Wert, um den die Wirtschaftsleistung in den Mitgliedsländern der Währungsunion in den ersten drei Monaten dieses Jahres zugelegt hat. Auf den ersten Blick wirkt das vielleicht mickrig, aber bei einem Gesamtbetrag von über 10.000 Milliarden Euro entspricht das immerhin 60 Milliarden Euro. Und: Das amerikanische Sozialprodukt ist im gleichen Zeitraum nur um 0,5 Prozent gewachsen. Anders ausgedrückt: Der alte Kontinent wächst derzeit schneller als der neue.

Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. Spanien beispielsweise hat seinen Arbeitsmarkt reformiert, die Unternehmen können leichter Mitarbeiter einstellen und entlassen. Und Italien lässt im Herbst über eine Verfassungsreform abstimmen, die die jahrzehntelange Selbstblockade des politischen Systems beenden soll. Nicht alle dieser Reformen sind perfekt, manche werden an der Umsetzung scheitern. Wichtig aber ist das Signal: Es geht voran.

Zudem profitieren die Europäer davon, dass sie wegen des niedrigen Ölpreises weniger Geld für Energie ausgeben müssen – und die Europäische Zentralbank die Zinsen und den Wechselkurs des Euro niedrig hält, wodurch die Unternehmen ihre Waren im Ausland billiger anbieten können. Und schließlich werden auch in erheblich geringerem Umfang als noch vor zwei oder drei Jahren die Staatsausgaben gekürzt. Nach Schätzungen der Europäischen Kommission regen die Länder der Euro-Zone erstmals seit Jahren wieder mit mehr neuen Schulden das Wachstum an.

Die wirtschaftlichen Verwerfungen der vergangenen Jahre allerdings waren so schwer, dass sich die Lebensumstände für die Menschen trotzdem nur langsam verbessern. Die Arbeitslosenquote geht zwar zurück, aber sie beträgt in Spanien und Griechenland noch immer über 20 Prozent. Die meisten Krisenländer haben auch heute – Jahre nach Ausbruch der Unruhen an den internationalen Finanzmärkten – noch nicht wieder das wirtschaftliche Niveau der Vorkrisenzeit erreicht.

Es wird Jahre dauern, bis viele Bürger das Ende der ökonomischen Durststrecke erreichen. Zwar können Staaten wie Spanien, Portugal oder Italien heutzutage dank der Niedrigzinspolitik der EZB zu extrem günstigen Konditionen Kredite aufnehmen. Doch sie sind nach ihren Finanzproblemen in eine zweite Phase der Krise eingetreten. Die Fieberkurve dieser Phase zeigt nicht die Risikoaufschläge an den Anleihemärkten, sondern die Zustimmungswerte für die etablierten Parteien.

Das ist nicht nur in Griechenland so, wo Ministerpräsident Alexis Tsipras über eine Mehrheit von gerade einmal drei Stimmen im Parlament verfügt. In Spanien etwa ist es nach der Niederlage der konservativen Regierung bei den Parlamentswahlen im Dezember bis heute nicht gelungen, ein neues handlungsfähiges Kabinett zu bilden. Nun stehen vorgezogene Neuwahlen an – doch die Prognosen deuten darauf hin, dass auch der zweite Durchgang keine stabilen Mehrheitsverhältnisse bringt. Schon wenden sich die ersten Investoren ab. Die anhaltende politische Unsicherheit würde "die Investitionen und den privaten Konsum belasten", heißt es in einer Analyse der britischen Großbank Barclays.

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