Wie erziehen wir uns perfekte Migranten?

  09 Mai 2016    Gelesen: 1099
Wie erziehen wir uns perfekte Migranten?
Mit strengen Vorschriften will die Bundesregierung die Integration von Migranten "fördern und fordern". Vom Integrationsgesetz verspricht sich Innenminister de Maizière den "großen Wurf" - und offenbar auch die Beruhigung "besorgter Bürger". Doch die Debatte scheitert schon an Grundsätzlichem.
In der Schweiz sorgen zwei syrische Teenager seit Monaten für Schlagzeilen: Sie weigern sich, ihrer Lehrerin die Hand zu geben - aus religiösen Gründen. Und seit kurzem müssen sie es auch nicht mehr. Die Schulleitung hat entschieden, dass sie den sonst üblichen Handschlag durch einen mündlichen Gruß ersetzen dürfen. Ein falsches Signal? Die Frage, ob die Religion - und im konkreten Fall der Islam - einer erfolgreichen Integration von Flüchtlingen und Migranten im Wege steht, treibt auch die Deutschen um. Mit dem Integrationsgesetz, das das Bundeskabinett in zwei Wochen auf den Weg bringen will, erhofft sich Innenminister Thomas de Maizière den "großen Wurf".

Sanktionen und Pflichten sind das Mittel der Wahl, um die Asylsuchenden mit dem deutschen Ordnungsverständnis bekannt zu machen. Integration als Zwangsmaßnahme: Das allein provoziert ein schiefes Bild, kritisierte Lamya Kaddor, die als Islamkunde-Lehrerin an einer Schule in Dinslaken arbeitet und im Sonntags-Talk der ARD die muslimische Minderheit vertrat. Das geplante Gesetz unterstelle, dass sich die Menschen gar nicht von selbst integrieren wollten. Ein Vorwurf, auf den de Maizière scheinbar gefasst war. "Es stellt ja auch keiner die Schulpflicht infrage, obwohl wir davon ausgehen, dass alle Kinder lernen wollen", konterte der CDU-Politiker. Während renitenten Teenagern aber bestenfalls Nachsitzen droht, geht es integrationsunwilligen Asylbewerbern ans Portemonnaie. Wer Integrationsmaßnahmen boykottiert, muss laut Gesetzentwurf mit Leistungskürzungen rechnen.

Dem niederländischer Migrationsforscher Ruud Koopmans geht selbst das nicht weit genug. "Man kann verlangen, dass Leute Integrationskurse nicht nur besuchen, sondern bestehen", sagte der Uni-Professor. "Wir haben die Neigung, so zu tun, als wären Flüchtlinge bessere Menschen als wir, an die man keine Ansprüche stellen muss." Und schon war sie da - die Debatte um den "nützlichen" Flüchtling. Koopmans plädierte für ein Belohnungssystem. Wer sich schnell integriere, einer Arbeit nachgehe und sich in die Gesellschaft einfüge, dem müsse eine Bleibeperspektive eröffnet werden. "Deutschland braucht Zuwanderer", stellte der gebürtige Niederländer fest. Es war der Moment, in dem sich AfD-Chefin Frauke Petry aus der Deckung wagte.

Integration – nur eine Frage der Bildung?

Petry mochte eigentlich nicht über das Integrationsgesetz reden - viel drängender sei etwas anderes, nämlich eine Reform des Asyl- und Einwanderungsgesetzes. Kaum ausgesprochen, ging ihr Ansatz zu einer Generaldebatte in der allgemeinen Empörung von Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch unter. Nicht nur die vorangegangene "Nützlichkeitsdebatte" regte ihn auf, auch die bloße Wortmeldung von Petry weckte offenbar seine Streitlust. In Deutschland gebe es immer noch das Recht auf Asyl, erklärte er der AfD-Sprecherin. "Das werden auch Sie nicht ändern." Ohnehin hatte es Petry nicht gerade leicht in dieser Talkrunde - und das, obwohl sie sich ganz offensichtlich sehr ausführlich in die Biografien ihrer Gesprächspartner eingelesen hatte.

Doch selbst Koopmans fiel als Verbündeter aus. Auch Petry zitierte dessen umstrittene Studie, wonach vor allem muslimsche Flüchtlinge schlecht integierbar seien. Dann verwies Anne Will auf den lebenden Gegenbeweis, ausgerechnet die Frau von Koopmans - eine muslimische Türkin und erfolgreiche Akademikerin. Koopermans selbst nannte es "den Gipfel der Integration", wenn sich die "Gruppen vermischten". Er verwies aber auch auf die gute Bildung seiner Frau, die ja nicht alle Muslime genossen hätten. Scheitert erfolgreiche Integration also doch "nur" an dieser Frage? Ganz klar, ja, meinte Islamwissenschaftlerin Kaddor. "In den USA gelten die Muslime als am besten integriert", sagte sie. "Sie sind nicht weniger religiös als in Europa, aber besser gebildet."

Dumm nur, dass sie damit eine unwürdige Debatte um Nationalitäten - oder spitzer formuliert: um gute und schlechte Asylbewerber - lostrat, die das ganze Dilemma der Vermischung von fragwürdigen Studien, Vorurteilen und Einzelfällen offenbarte. "Syrer sind sicherlich schwerer zu integrieren als Türken, aber besser als Afrikaner", entfuhr es de Maizière. Das hänge auch davon ab, wie stark im Herkunftsland Religion und Staat voneinander getrennt würden. Erneut grätschte Bartsch dazwischen. Es zeuge von einem "hohen Maß an deutscher Arroganz, von `dem Syrer` oder `dem Afrikaner` zu reden", motzte er. "Das sind alles Pauschalisierungen."

Gut integrierte "fußballspielende Nachbarn"

Auf der Strecke blieb bei der Debatte eine fast schon lächerlich selbstverständliche Frage: Wie sieht er denn aus - der optimal integrierte Migrant? Ist es der "fußballspielende Nachbar" (O-Ton de Maizière) oder der syrische Teenie, der seiner Lehrerin zur Begrüßung ganz selbstverständlich die Hand gibt? Einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov zufolge zählen 62 Prozent der Deutschen keinen einzigen Muslim zu ihrem Bekanntenkreis. 72 Prozent kennen sich "weniger gut" oder "gar nicht" mit dem Islam aus. Trotzdem ist die Skepsis gerade gegenüber Muslimen und ihrem Integrationswillen groß. Dass die AfD mit ihrem Anti-Islam-Kurs massenhaft Wählerstimmen generiert, ist ein Sympton dieses Misstrauens.

Was erwarten wir also von gut integrierten Muslimen? Den sicheren Arbeitsplatz? Perfektes Deutsch? Unverhülltes Haar? Oder Begeisterung für Fußball? "Wenn wir nicht mehr schächten dürfen und wenn wir keine Moscheen mehr hätten, sind wir dann genügend integriert, Frau Petry?", wollte Kaddor - bewusst provokativ - wissen. Eine Frage, die der AfD-Chefin sichtlich unbehaglich war. "Sind wir dann alle perfekt integriert, wenn Sie das durchgesetzt haben?", fragte Kaddor noch einmal. "Steh` ich hier im Verhör?", wand sich Petry - und gab dann doch eine recht eindeutige Antwort. "Diejenigen, die sich integrieren wollen, die tun das. Dazu brauchen Sie kein Integrationgesetz."

Quelle: n-tv.de

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