Immunität auf der Kippe

  18 Mai 2016    Gelesen: 795
Immunität auf der Kippe
Freitag stimmt das türkische Parlament über die Aufhebung der Immunität von mehr als einem Viertel der Abgeordneten ab. Vor allem die CHP und die prokurdische HDP kritisieren das Vorgehen als verfassungswidrig. Es nütze den politischen Interessen der AKP.

Am Ende einer Abstimmungsrunde mit drei Wahlgängen haben 357 Abgeordnete dafür gestimmt, die parlamentarische Immunität von 138 Abgeordneten vorübergehend aufzuheben. "So Gott will wird die zweite Runde zur Aufhebung der Immunität am Freitag stattfinden und dann von der Tagesordnung der Türkei verschwinden", sagt der AKP-Abgeordnete Bülent Turan.

Es sind auch 27 von 316 AKP-Abgeordneten sowie 51 von 134 Abgeordneten der Republikanischen Volkspartei CHP betroffen. Besonders massiv trifft es aber die prokurdische HDP. 50 von 59 HDP-Volksvertretern droht nach Aufhebung ihrer parlamentarischen Immunität Strafverfolgung und bei einer rechtskräftigen Verurteilung der Verlust ihres Abgeordnetenmandats.

Entsprechend scharf reagiert HDP-Chef Selahattin Demirtas: "Die Aufhebung der Immunität führt zum Staatsstreich und einem diktatorischen Regime. Wir waren für die Aufhebung aller Immunitäten, aber das wollten sie nicht akzeptieren. Nun wird über eine Vorlage abgestimmt, die verfassungswidrig ist."

Belastendes Material für 667 Strafprozesse

Für die angestrebte Verfassungsänderung sind 367 Stimmen notwendig. "Wir wissen nicht, wie viele Abgeordnete für diese Unmoral stimmen werden", sagt HDP-Chef Demirtas. "Aber wir sind sicher, dass viele sich dagegen aussprechen, das Parlament auszuhebeln und dem Land eine Ein-Mann-Herrschaft zu bescheren. Wir zweifeln nicht daran, dass eine große Zahl von Abgeordneten der drei Oppositionsparteien bei der Abstimmung am Freitag Nein zu diesem Prozess sagen wird."

Insgesamt haben Staatsanwälte belastendes Material für 667 Strafprozesse gesammelt. Die Vorwürfe lauten auf unter anderem auf Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, Volksaufwiegelung, Amtsmissbrauch, Beleidigung und Körperverletzung.

"Am Freitag sollte es durch sein", gibt sich Devlet Bahceli zuversichtlich. Der innerparteilich inzwischen hoch umstrittene Chef der Partei der Nationalistischen Bewegung sucht den Schulterschluss mit der AKP. "Niemand sollte Angst vor dem eigenen Tun haben. Jene, die Terroristen preisen und das Parlament terrorisieren, jene, die den Staat herausfordern, indem sie ihr Beileid für Terroristen bekunden, sie alle werden den Preis für ihren Verrat zahlen."

"Abgeordnete müssen Immunität genießen"

Die oppositionelle CHP wäre selbst erheblich von Aufhebung der parlamentarischen Immunität betroffen. Der CHP-Abgeordnete Sezgin Tanrikulu äußert erhebliche Zweifel: "Ich halte es nicht für richtig, dass die Aufhebung der Immunität auf Grundlage der AKP-Agenda und deren politischen Interessen geschieht", sagt er. Die Immunität solle aufgehoben werden, aber nicht mittels dieser Grundlage, die verfassungswidrig sei. "Abgeordnete müssen Immunität genießen. Sie müssen ihre Meinung und ihre Gedanken frei äußern dürfen. Bei anderen Vergehen sollte die Immunität nicht gelten."

Wird die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit von 367 Stimmen am Freitag nicht erreicht, dann könnte es zu einer Volksbefragung kommen, bei der die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen für eine Verfassungsänderung reichen würde. Die vorübergehende Aufhebung der Immunität endet, wenn die Anklageakten geschlossen werden. Das wäre der Fall bei einer rechtskräftigen Verurteilung sowie dann, wenn Staatsanwälte oder Richter die Anklage fallen lassen und den Fall damit abschließen.

Quelle: tagesschau.de

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