Capri-Sonne, der ach so ungesunde “Superdrink“

  24 Mai 2016    Gelesen: 487
Capri-Sonne, der ach so ungesunde “Superdrink“
Ernährungswissenschaftler warnen vor ihr, Kinder lieben sie, Erwachsene erinnert sie an frühere Tage: die Capri-Sonne ist eines der meistverkauften Getränke. Mit einem einfachen Erfolgsrezept.
Eine Capri-Sonne muss es sein, aber nicht irgendeine. Zielsicher greift Jacob nach dem "Superdrink". Warum gerade die, will ich wissen. Ebenso gut hätte ich meinen Sohn fragen können, warum er unbedingt Nike-Turnschuhe haben will, wenn es die nur halb so teuren No-Name-Treter aus dem Outlet von Sport Scheck doch auch tun. Er rollt mit den Augen.

Wir stehen im Supermarkt, der Zwölfjährige hat die Zehnerpackung schon in der Hand. Jeder "Helikoptermutter" muss bei diesem Anblick das Herz in die Hose rutschen. Plörre in einer Hülle aus Aluminium, Polyester und Polyethylen, unkaputtbar. Dazu ein Strohhalm aus Plastik, eingeschweißt in Plastikfolie. Mehr Abfall geht nicht. Doch erklären Sie das mal einem Zwölfjährigen. Ein Blick auf die Packung, und ich weiß, warum es ausgerechnet der "Superdrink" sein muss.

Superman, Batman und Flash Gordon schmücken das Cover, die Comic-Helden des DC-Verlags. Es gibt sie aber auch als Sticker, als Zugabe zum Zehnerpack. Vor dem inneren Auge sehe ich schon, wie ich diese Gratiswerbung für den neuen Hollywood-Blockbuster "Batman versus Superman" leise fluchend von irgendwelchen Möbeln abknibbeln muss. Ob er denn überhaupt wisse, wonach der "Superdrink" schmecke, frage ich meinen Sohn. "Nö", sagt der achselzuckend, "irgendwas mit Frucht."

Sechseinhalb Würfelzucker pro 200 Milliliter

Die Capri-Sonne. Sie ist schon so eine Marke für sich. 2013 ausgezeichnet mit dem Goldenen Windbeutel, dem Negativpreis für besonders dreiste Werbung, verliehen von der Organisation Foodwatch. Die Lebensmittelwächter hatten Zehntausende Verbraucher im Internet über Produkte abstimmen lassen, die Kinder als Zielgruppe ins Visier genommen hatten. Die Capri-Sonne landete mit 42,6 Prozent der Stimmen auf Platz eins. Foodwatch rügte, die "Wasser-Zucker-Aroma-Mixtur mit ein bisschen Fruchtsaft" mache Kinder nicht nur dick, bei sechseinhalb Würfelzucker pro 200 Milliliter. Die Lebensmittelwächter kritisierten auch "das besonders aggressive Marketing".

Tatsächlich sind die aktuellen Superman-Sticker aus dem Hause Warner Bros. nur ein Detail. Der Hersteller Wild sponsert Sportevents für Kinder, vergibt sogar ein eigenes Schwimmabzeichen, den Capri-Sonnen-Delfin. Er veranstaltet Abenteuercamps und organisiert Kinderbetreuung in Ferienorten.

Auf der Facebook-Seite des Konzerns erfährt man auch, was man alles aus dem leeren Trinkpack zaubern kann: Blumentöpfe, Muttertagsblumensträuße, ja, sogar ein Furzkissen. Einfach einen Topfschwamm in die leere Verpackung stopfen und mit Klebeband verschließen, einen leeren Luftballon draufkleben – fertig!

Sogar eine gesunde Variante

In der Capri-Sonne steckt Musik. Das suggerierte der Hersteller schon 1970, als er den Softdrink für Kinder lancierte. Das Italienfieber der Fünfzigerjahre war damals zwar schon abgeklungen, die Teutonen grillten sich lieber auf Mallorca.

Doch Capri als Sehnsuchtsort funktionierte immer noch. Es gab den Ford Capri, die Caprihose – und eben die Capri-Sonne. Stylish verpackt in einer spacigen Alutüte, die den Inhalt vor Licht und Sauerstoff schützte und aussah, als könnte man sie überall mit hinnehmen, wenn es sein musste, sogar mit auf den Mond.

Auf die Verpackung kommt es eben an, dieses Gesetz des Kapitalismus erfüllte die Capri-Sonne geradezu vorbildlich. Dabei war das Timing für ihren Start denkbar ungünstig. Die Umweltbewegung gewann an Einfluss. 1972 hatte der Club of Rome seinen Bericht über die "Grenzen des Wachstums" herausgebracht. Ein Appell an die Verbraucher auf der ganzen Welt, schonender mit den Ressourcen der Natur umzugehen. Doch wer hatte diese mahnenden Worte im Ohr, wenn er mit der Familie am Baggersee picknickte? Der Kiesteich war dann der Golf von Neapel, und wenn man das Ohr dicht an die Packung hielt, konnte man hören, wie die blutrote Sonne mit einem Seufzen ins Meer plumpste.

Es sind solche Erinnerungen, von denen die Marke bis heute zehrt. Die Konsumenten der ersten Generation sind heute selber Eltern, und vielen geht es so wie mir: Natürlich wissen sie, dass es zuckerärmere Softdrinks gibt als die Capri-Sonne. Ein Klick in die Mütterforen, und man weiß, dass man seinen letzten Rest Autorität verspielt hat, wenn man kleinlaut zugibt, dass Torben-Hendrik normalerweise natürlich nur ungesüßten Früchtetee oder Mineralwasser mit einem Spritzer Zitronensaft trinkt, aber ab und zu eben doch, ähem, mal eine Capri-Sonne. Im Zweifelsfall aber lässt man sich im Supermarkt doch von den quengelnden Blagen breitschlagen und steckt dieses Trinkpack ein – Bedenken hin, Superman-Sticker her.

Sieben Milliarden Packungen jährlich verkauft der Konzern weltweit. Orange ist immer noch der Klassiker, aber die Produktpalette ist größer geworden. Neben neuen Sorten wie "Elfen-Trank" oder "Monster-Alarm" gibt es die Capri-Sonne auch als Wassereis ("Freezies") oder als Mehrfruchtmus, mit praktischem Schraubverschluss. Sogar eine gesunde Variante – Achtung! – hat der Konzern inzwischen lanciert: "Bio-Schorly, 75 Prozent Frucht, 25 Prozent Quellwasser". Das Zugeständnis an die ernährungsbewusste "Helikoptermutter".

Kinder sollen lernen, Werbung zu hinterfragen

Doch ach, Bio-Schorly verkaufe sich gar nicht so gut wie die klassische Capri-Sonne, heißt es beim Hersteller. Das Gros der Verbraucher will die Capri-Sonne also ausgerechnet so, wie sie von den Ernährungswissenschaftlern verteufelt wird. Süß, süßer, am süßesten. Mit sechseinhalb Würfelzuckern pro 200 Milliliter.

Ist man eine Rabenmutter, wenn man da mitmacht? Till Reckert vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte kennt die Frage aus seiner eigenen Praxis. Der Reutlinger Mediziner rät zur Gelassenheit. Er sagt, was der Hersteller der Capri-Sonne auch gerne sagt. Dass der Softdrink nicht mehr Zucker enthalte als Orangensaft oder Fanta. Dass "mal" eine Tüte nicht schaden könne.

Dass sich diese Getränke aber als Durstlöscher an heißen Tagen viel schlechter eigneten als Mineralwasser mit einem Spritzer Apfelsaft. Und dass es Aufgabe der Eltern sei, ihren Kindern das Bewusstsein dafür zu vermitteln, ob sie aus Durst trinken – oder nur, weil der Softdrink eben so schön süß und irgendwie im Trend sei. Und das setze eben voraus, dass Kinder lernten, Werbung zu hinterfragen.

Ich pflichte ihm lebhaft bei. Von dem Superman-Sticker erzähle ich vorsichtshalber nichts. Der klebt jetzt auf Jacobs Longboard.

Quelle : welt.de

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