Sieben von zehn Flüchtlingen brechen Ausbildung ab

  15 Oktober 2015    Gelesen: 789
Sieben von zehn Flüchtlingen brechen Ausbildung ab
Fachkräfte werden in Deutschland dringend gesucht. Flüchtlinge könnten eine Lösung sein, sagen Experten. Erste Erfahrungen im Handwerk mit Azubis sind jedoch äußerst ernüchternd.
Flüchtlinge brechen in deutschen Handwerksbetrieben überdurchschnittlich häufig ihre Ausbildung ab. Etwa 70 Prozent der Azubis, die aus Syrien, Afghanistan und dem Irak geflohen waren und im September 2013 ihre Lehre begonnen hatten, haben sie inzwischen ohne Abschluss wieder beendet, sagte der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer München und Oberbayern, Lothar Semper. Bei den übrigen Lehrlingen liegt die Abbruch-Quote deutlich niedriger bei rund 25 Prozent. Die Zahlen seien bundesweit ähnlich.

"Wir dürfen die Flüchtlinge auch während der Ausbildung nicht allein lassen, sonst scheitern sie", sagte Semper. Die Handwerkskammer plane daher spezielle Berater einzusetzen und auch die Ausbildungsleiter in den Betrieben für die besonderen Bedürfnisse der Flüchtlinge zu sensibilisieren. Er erwarte durch die Umsetzung dieser Maßnahmen eine deutlich höhere Abschlussquote in den kommenden Jahren.

Vor allem die Sprachkenntnisse seien immer eine große Hürde während der Ausbildung. "Nicht jeder, der in unser Land gekommen ist, ist auch sofort vermittelbar", sagte er. Aber auch der vergleichsweise geringe Lohn während der Lehre spiele eine Rolle. "Wir müssen erhebliche Überzeugungsarbeit leisten, damit die jungen Leute überhaupt eine Ausbildung anfangen", sagte Semper. "Viele haben die Vorstellung, in Deutschland schnell viel Geld zu verdienen und es dann nach Hause zu schicken." Man müsse ihnen erst klar machen, dass es langfristig die bessere Entscheidung sei, sich für eine Lehre zu entscheiden und erst weniger zu verdienen.

Die Ausbildung wird schlechter bezahlt

Oft seien selbst ungelernte Aushilfsjobs zum Beispiel in der Großmarkthalle scheinbar attraktiver, weil auch dort der Mindestlohn gezahlt werden müsse. Azubis im Handwerk bekommen jedoch oft weniger als den Mindestlohn. "Da muss eine mentale Hürde genommen werden", sagte Semper. Er sei dennoch dagegen, den Mindestlohn nur für Flüchtlinge wieder aufzuheben. "Das gäbe erhebliche gesellschaftliche Verwerfungen", sagte er.

Der Chef des Münchner Ifo-Instituts Hans-Werner Sinn sprach sich bei der Handwerkskammer erneut für die komplette Abschaffung des Mindestlohns aus. Die Qualifikation der Flüchtlinge sei überwiegend schlecht. "Da kommen nicht die Chefärzte aus Aleppo", sagte der Wirtschaftswissenschaftler. 70 Prozent der Afghanen und 15 Prozent der Syrer seien Analphabeten, 22 Prozent der Flüchtlinge hätten keinen Schulabschluss. "Die können gar keine Ausbildung anfangen, sondern drängen in die untersten Beschäftigungsverhältnisse, wo der Mindestlohn gilt", sagte Sinn. Das werde zwangsläufig zu steigender Arbeitslosigkeit führen.

Der Flüchtlingsansturm lasse sich "nur durch die Absenkung oder Abschaffung des Mindestlohns" bewältigen. Der Staat müsse dann mit Lohnzuschüssen einspringen und so auch ohne Mindestlohn das Existenzminimum sicherstellen. Es sei "Wunschdenken", dass man die Migranten so schnell qualifizieren könne, dass sie mehr als den Mindestlohn verdienen könnten. "Es muss vermieden werden, dass wir eine neue Reservearmee der Arbeitslosigkeit bekommen."

Fachkräfte händeringend gesucht

Dabei wäre der Bedarf an Fachkräften insbesondere im Handwerk groß. Laut Geschäftsführer Semper werden in nahezu allen Berufen Mitarbeiter gesucht. Zwar kommen auch Flüchtlinge nach Deutschland, die bereits in ihren Heimatländern in handwerklichen Berufen gearbeitet haben. Meist fehlen aber die nötigen Dokumente, um beurteilen zu können, auf welcher Qualifikationsstufe sich derjenige befindet.

Da diese Unterlagen in der Regel auch nicht zu beschaffen sind, werde man bei den sogenannten Anerkennungsstellen der Kammern "pragmatische Verfahrensweisen" entwickeln, um die Kenntnisse von Flüchtlingen zu prüfen und dann gegebenenfalls für dem Beruf zuzulassen, kündigte Semper an.

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