SZ: Wie gehen Sie mit dem Hass um?
Jessica Valenti: Das hängt vom Tag ab und von der Energie, die ich gerade aufbringen kann. Manchmal ignoriere ich die Beleidigungen, manchmal reagiere ich darauf und antworte den Leuten. Ich habe auch schon beleidigende E-Mails und Drohungen an Vorgesetzte und Familien der Absender weitergeleitet. Und wenn ich ernsthaft bedroht werde, melde ich das natürlich der Polizei.
Können Sie sagen, was hilft?
Hassmails auf diese Art weiterzuleiten, funktioniert. Die Absender entschuldigen sich danach oft. Aber es hilft ja nicht, eine einzelne Person zu stoppen, wenn man von einem ganzen Mob beleidigt und bedroht wird. Wenn ich so etwas tue, ist das eher eine Art Selbstreinigung für mich. Wir brauchen bessere Wege, mit dem Hass im Netz umzugehen. Auch die Strafverfolgungsbehörden wissen in vielen Fällen noch nicht, was sie dagegen tun sollen.
Die Themen Feminismus und Mode bekommen beim "Guardian" die meisten beleidigenden Kommentare. Warum?
Weil das weiblich dominierte Themen sind. Wo Frauen sich äußern, erzeugt das Hass. Die Leute, die diese Dinge schreiben, sind mit der Einstellung aufgewachsen, dass Frauen das nicht tun sollten.
Hat sich etwas an Ihrer Arbeit verändert, seit die Ergebnisse der Guardian-Untersuchung auf dem Tisch sind?
Interessant war, dass ich danach die schlimmsten Beleidigungen meiner Karriere bekam. Mir haben Leute geschrieben, dass ich es nicht anders verdient hätte, wenn ich ihnen verbieten wolle, ihre Meinung zu sagen. Und dass alles, was ich als Belästigung empfände, keine sei.
Viele Nutzer scheinen diese Art des Kommentierens als eine Form von freier Meinungsäußerung zu betrachten.
Ja, absolut. Es gibt da ein großes Missverständnis. Viele scheinen das Gefühl zu haben, freie Meinungsäußerung bedeutet, dass sie einen Anspruch auf Aufmerksamkeit haben. Sie bedeutet aber nur, dass die Regierung dich nicht einsperren kann für das, was du sagst. Nicht, dass es keine Konsequenzen hat. Und auch nicht, dass eine Nachrichtenseite jeden Kommentar, und sei er noch so rassistisch, homophob oder frauenfeindlich, stehen lassen muss. Im Gegenteil: Nachrichtenseiten sind dafür verantwortlich, dass solche Dinge auf ihren Seiten nicht zu lesen sind.
Was können Medien dagegen tun, dass ihre Autoren so angegangen werden?
Sie können tun, was der Guardian getan hat: bei sich selbst nachsehen. Die Online-Belästigung auszuwerten und zu thematisieren, ist ein wichtiger erster Schritt. Aber es ist natürlich nicht alles. Ich fühle mich beim Guardian auch deshalb sicher und unterstützt, weil ich ein gutes Verhältnis zu den verantwortlichen Redakteuren habe, weil es Verständnis gibt. Wenn ich sage, dass ich einen freien Tag brauche, weil die Beleidigungen mich so belasten, dann ist das in Ordnung.
Einige Medien, auch die SZ, haben die Online-Kommentarfunktion stark eingeschränkt, um Diskussionen besser moderieren zu können. Wären Sie dafür, Kommentare unter Artikeln abzuschaffen?
Ich würde gern ohne Kommentare schreiben, ja. Aber das heißt nicht, dass das besser für alle wäre. Ich bin nicht die einzige, die in dieser Frage zählt und auch nicht die Wichtigste. Von Autoren, die in anderen Bereichen schreiben, höre ich immer wieder, dass unter ihren Artikeln gute, interessante Diskussionen stattfinden. Ich bin dann immer etwas neidisch. Am liebsten wäre es mir deshalb, wenn man die Kommentare offen lassen könnte, und es dort eine sachliche Diskussion ohne Beleidigungen gäbe.
Sie werden auch auf Facebook und Twitter belästigt. Denken Sie manchmal darüber nach, sich dort einfach abzumelden?
Ja, ständig. Das Problem ist nur: Das ist Teil meiner Arbeit. Ich bin als Autorin wertvoller, wenn ich viele Follower mitbringe. Sich aus den sozialen Netzwerken zu verabschieden ist deshalb keine Alternative, wenn ich weiterhin mein Geld mit dem Schreiben verdienen will. Und außerdem möchte ich die Leute, die mich beleidigen und bedrohen, nicht gewinnen lassen.
Quelle: sueddeutsche.de
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