Die Superkeime sind unter uns

  28 Mai 2016    Gelesen: 885
Die Superkeime sind unter uns
Bakterien trotzen immer häufiger Colistin, einem der letzten Reserveantibiotika. Wie groß ist die Gefahr für die Gesundheit des Menschen?
Wenn eine 49-jährige Frau eine Harnwegsentzündung hat, ist das normalerweise kein Grund für Schlagzeilen. Doch im Urin der Patientin aus Pennsylvania fand sich ein besonderes E.coli-Bakterium. Auf zwei ringförmigen Erbgutstücken – die harmlose und krank machende Bakterien wie Karten in einem Spiel untereinander austauschen – fanden Forscher neben 14 anderen Resistenzgenen das Gen mcr-1. Ein As, denn es macht die Keime gegen Colistin unempfindlich: Die Forscher waren auf einen "Superkeim" gestoßen.

Warum ist der Erreger so brisant?

Colistin ist ein Uraltantibiotikum aus den 1950er Jahren. Es gehört zur eisernen Reserve der Ärzte. Sie spritzen es nur, wenn nichts anderes mehr hilft. Denn es kann unter anderem die Nieren schwer schädigen. Dass Keime nun auch Colistin widerstehen, ist ein Alarmzeichen für Infektionsforscher. In den USA wurde dieser Resistenzmechanismus zuvor noch nie beobachtet, schreiben Forscher um Patrick McGann vom Walter Reed National Military Medical Center in einer Studie. Bereits ihr erster Satz klingt dramatisch: "Mcr-1 läutet die Entstehung wirklich panresistenter Bakterien ein."

Sorge bereitet Ärzten und Gesundheitsschützern weltweit vor allem, dass sich immer mehr Patienten zum Beispiel mit extrem hartnäckigen Keimvarianten infizieren. Wenn in diesen Fällen selbst Reserveantibiotika aus der Klasse der Carbapeneme versagen, bleibt nur Colistin als letzte Rettung. In Deutschlands Kliniken sind jedes Jahr etwa 1500 Patienten mit Krankenhausinfektionen auf das Mittel angewiesen. Sollte sich mcr-1 unter diesen Keimen verbreiten, wäre es eine echte Gefahr.

Heißt das, dass die Infektion der Frau nicht behandelbar war?

Nein, gegen diese E.coli-Bakterien gibt es noch andere wirksame Antibiotika. Außerdem gilt, dass Keime Resistenzen nicht nur sammeln, sondern auch wieder verlieren können.

Wird sich mcr-1 nun schnell verbreiten?

Das ist unwahrscheinlich. Offenbar ist das Gen bereits seit einiger Zeit weltweit verbreitet – ohne aufzufallen. Chinesische Wissenschaftler haben den übertragbaren Schutzmechanismus Ende 2015 bei Darmkeimen von Hühnern und Schweinen entdeckt. In einzelnen Fällen auch beim Menschen.

Zu Billionen wimmeln Bakterien um uns, auf uns und um uns herum. Fast alle sind für uns harmlos. Nur manche machen krank. Und sehr wenige können uns richtig gefährlich werden – dann nämlich, wenn sie Infektionen verursachen, die mit Medikamenten nicht mehr in den Griff zu bekommen sind. Solche resistenten Erreger kommen in Krankenhäusern vor und in Mastanlagen für Schweine und Hühner. Lange Zeit schien es, als habe die Menschheit ein Wundermittel dagegen gefunden: Antibiotika. Doch die Mittel verlieren an Kraft. Immer mehr Keime werden unempfindlich. Jedes Jahr sterben Tausende Menschen daran. Was ist da los?

ZEIT ONLINE, DIE ZEIT, das Recherchebüro CORRECT!V und die Funke-Mediengruppe haben gemeinsam recherchiert. Ihr Ziel: Das gefährliche System hinter den Keimen sichtbar zu machen. Die ganze Serie "Tödliche Keime" lesen Sie hier.

Die Fachleute waren alarmiert. Sie durchforsteten ihre Proben mit dem Erbgut von Erregern, die sie seit Jahren in Kliniken und Ställen gesammelt hatten. Sie fanden das Gen weltweit. Auch Deutschland ist keine Ausnahme. 577 Keimgenome wurden hier seit 2009 gespeichert, vier davon enthalten das Gen. Drei Mal hatten die Keime Schweine besiedelt und ein Mal die Wunde eines Patienten, schrieben die Forscher vom Deutschen Zentrum für Infektionsforschung im Januar im Fachblatt Lancet.

Insgesamt 20 Staaten haben das Gen bei Keimen gefunden, darunter nun auch die USA. Es ist dabei kein neuer Import, die Frau war seit fünf Monaten nicht mehr gereist. Völlig unabhängig von ihr wurde Mcr-1 zudem bei einem Keim identifiziert, der aus dem Darm eines texanischen Schweines stammte.

"Der älteste Nachweis stammt aus dem Jahr 2005, von einem Tier in Frankreich", sagt Tim Eckmanns von der Abteilung für Infektionsepidemiologie des Robert Koch-Instituts in Berlin. Eventuell sei die Resistenz von Europa aus nach Asien exportiert worden. "Um die Gefährdung besser einschätzen zu können, müssen wir überwachen, welche menschlichen Keime dieses Gen in sich tragen. Bisher ist es anscheinend recht selten."

Welche Rolle spielt die Landwirtschaft bei der Entstehung dieser Resistenz?

Vermutlich ist dieses Problem im Stall entstanden. Denn in der Tiermedizin ist das Mittel beliebt. Es ist billig und es verursacht bei Nutztieren keine Nebenwirkungen. Darüber hinaus hilft es gegen Durchfälle. Außerdem hatte es die Humanmedizin "ausrangiert". In Deutschland wird es von Veterinären am vierthäufigsten verordnet. Dass manche Keime nicht mehr darauf reagieren, ist in den Ställen nicht neu. Aber bis 2015 wurde nie eine übertragbare Resistenz gefunden. So mahnte die Europäische Kommission lediglich, Colistin umsichtig einzusetzen. Prophylaktisch Tiere damit zu behandeln, wird seit 2013 nicht mehr gutgeheißen.

Mit der Entdeckung von mcr-1 hat sich die Situation geändert. Auf Anfrage der Europäischen Kommission hat eine Expertengruppe der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA am Donnerstag neue Empfehlungen vorgelegt. Demnach sollte die Colistin-Nutzung in der Tierzucht in den nächsten drei bis vier Jahren auf ein Minimum reduziert werden.

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