Seine Show Mensch Gottschalk – Das bewegt Deutschland war ein einziger Matsch aus ein paar aktuellen Befindlichkeiten, verstaubten Attitüden, Prominenz, Pop und Plauderei. Gottschalks 40-jährige Erfahrung im Fernsehgeschäft ließ sich hier nur noch als dünne aufgeweichte Spur eines klapprigen Rädchens erkennen; vom starken, sich tief in die Fernsehlandschaft eingrabenden Profil des blonden, supernasigen Showbulldozers war nichts mehr zu erkennen. Selbst wer die Hoffnung hatte, die neue Sendung würde eine Art verlängertes Wetten, dass..?-Plaudersofa, wurde schwer enttäuscht.
Kürzlich verkündete der Sender noch, dass Mensch Gottschalk ein gewaltiges Show-Experiment sei. Nun, das Experiment ist grandios gescheitert. Ins Fernsehstudio hat man alle greifbaren Stoffe hineingeschüttet: ein bisschen EM, ein bisschen Terror, ein bisschen Niki Lauda, ein Gramm Nena, zwei funkelnde Pet Shop Boys, etwas Krebs und zum Schluss noch den querschnittgelähmten Wetten-dass..?-Kandidaten Samuel Koch nebst Freundin, denn Voyeurismus ist noch immer der beste Reaktionsbeschleuniger.
Zetsche macht Werbung fürs automatisierte Auto
Allein, es wollte sich nichts regen. Da hätte der Moderator noch so kräftig rühren können, beim Zuschauer kam keine Reaktion zustande. Es wäre einem fast lieber gewesen, die ganze Apparatur wäre einem mit Getöse um die Ohren geflogen, als dass sie wie hier fast geräuschlos in sich zusammenfiel und eben keine Spuren hinterließ.
Taugte Gottschalks Schlagfertigkeit früher noch zum Katalysator, fehlt ihr heute jede Kraft. Was "Deutschland bewegt", wollte sich nicht zeigen. Es ist nicht anzunehmen, dass es der Metzger war, der vegane Würste macht und Hackepetra, ja, richtig, Hackepetra, aus Reis, Tomaten und Zwiebeln. Es wird auch nicht das voll automatisierte Auto sein, dass der Vorstandsvorsitzende der Daimler AG, Dieter Zetsche, so anschaulich vorzuführen wusste. Vermutlich war es auch nicht Yusra Mardini, die aus Syrien geflüchtet ist und demnächst als Schwimmerin bei den Olympischen Spielen für Deutschland antritt.
Ein ergrauter, großer Junge
Womöglich waren es auch nicht die beiden Überschwemmungsopfer aus Simbach, die mit ihrem Handy aus dem Bürofenster heraus filmten, wie ihre Autos wegschwammen und die Gottschalk besorgt fragte, ob die Versicherung zahlt. Und es wird hoffentlich erst recht nicht der scheue Fritz aus Kallstadt gewesen sein, der Großcousin von Donald Trump, den eine junge Filmemacherin in der gemütlichen Winzerstadt ausgegraben und ins Scheinwerferlicht gezerrt hat, denn sonst müsste die Sendung ja Mensch Gottschalk – Das entsetzt Deutschland heißen.
Der Moderator wirkte wie ein ergrauter, großer Junge, für den noch einmal sein Jugendzimmer gemütlich beleuchtet worden war. Als "größtes gemeinsames Vielfaches für Familien" sehe er die Sendung, äußerte sich Gottschalk vor Kurzem auf einer Pressekonferenz, und man möchte warnend hinzufügen, dass man die Wirkung der Null leichthin unterschätzt. Es gab schon vor Ausstrahlung der Sendung Stimmen, die fragten, warum sich Gottschalk das mit seinen 66 Jahren noch antue. Man könnte auch fragen, warum er uns das antut.
Aber wir haben die Wahl und können uns aus der Misere zappen. Zum Beispiel zum Tatort, wo kurz nach 21 Uhr Meret Becker heulend vor einer geöffneten Weinflasche sitzt und exakt die Stimmung spielt, in der sich der Zuschauer nach einer Stunde Mensch Gottschalk befindet. Zu diesem Zeitpunkt hatte Gottschalk allerdings schon verraten, wer im aktuellen Fall die Mörderin war.
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