Tommy ist zurück - und mit ihm die Saalwette

  06 Juni 2016    Gelesen: 637
Tommy ist zurück - und mit ihm die Saalwette
Bei RTL läuft die Premiere von Thomas Gottschalks neuer Prime-Time-Show. Wenn der Moderator auf sein Handwerk baut, ist sie beste Fernsehunterhaltung. Wenn er Neues ausprobiert, wird es seltsam.
Er will: über ernste Themen sprechen. Er will nicht: seinen Zuschauern die gute Laune verderben. So beschreibt Thomas Gottschalk selbst den Spagat, den seine neue Sendung leisten soll. "Mensch Gottschalk" heißt sie. RTL hat dem Mann, der vom Fernsehen nicht lassen kann, dafür den kompletten Sonntagabend freigeräumt, von Viertel nach acht bis Mitternacht. Er mache sich heute mehr Gedanken als jemals zuvor, sagt Gottschalk. Und er habe mehr Fragen als Antworten.

Die Fragen, die er an Martin Schulz, den Präsidenten des EU-Parlaments, hat, sind vor allem: harmlos. Als Schulz darauf auch noch mit Plattitüden antwortet, scheint das Thomas Gottschalk aber nicht groß zu stören. Er macht einfach weiter mit seinem Fragenkatalog, nickt viel und lächelt noch mehr.

Natürlich stellt er auch die Frage, die in Bezug auf Martin Schulz im Moment wohl gerade die meisten Menschen bewegt: ob der beliebte EU-Politiker sich vorstellen kann, als Kanzlerkandidat für die SPD ins Rennen zu gehen. Die Möglichkeit, sich herauszuwinden und darauf nicht zu antworten, legt ihm Gottschalk praktischerweise gleich mit in den Mund. Eine späte Karriere als Polit-Talker möchte man ihm nicht wirklich empfehlen.

Terrorgefahr trifft Zaubertricks

Wie Gottschalk sich das Zusammenspiel aus ernsten Themen und leichter Unterhaltung vorstellt, wird beim Thema Terrorgefahr während der Fußball-EM deutlich. Los geht es mit einem Aufmarsch der sogenannten Eskortenkinder, jener Jungen und Mädchen, die die Spieler der deutschen Nationalmannschaft begleiten werden, wenn es aufs Spielfeld geht. Gottschalk fragt die Kinder nach ihren Lieblingsspielern – und einen Jungen mit strubbeligem Haar, ob er vor dem Spiel noch einmal zum Frisör gehen wird.

Dann folgt der ernste Teil. Gottschalk spricht mit dem Ex-Nationaltorhüter Timo Hildebrand, der während der Anschläge in Paris im vergangenen November im Stade de France war, vor dem sich drei Selbstmordattentäter in die Luft sprengten. Auch Matthias Opdenhövel, der das Freundschaftsspiel zwischen Deutschland und Frankreich damals moderierte, wird befragt, außerdem der Terrorismus-Experte Peter Neumann vom Londoner King`s College.

Was sie berichten, ist spannend. Doch Gottschalk beendet das Gespräch abrupt – um seinen EM-Schwerpunkt mit einem Zaubertrick fortzuführen. Zwei hyperaktive Magier mit Tokio-Hotel-Frisuren, die Ehrlich Brothers, lassen eine von Gottschalk beschriftete Karte mit einem Mesut-Özil-Porträt in einem übergroßen Fußballluftballon verschwinden, am Ende taucht sie zusammengefaltet im Mund eines der Zauberer wieder auf. Diese aufgeregte Mischung aus Interview und Slapstick ist nicht Halbes und nichts Ganzes.

Viel besser hat Gottschalk das Thema Krebs im Griff. Es läuft ein einfühlsamer Einspieler, der in das Thema einführt. Der Moderator erzählt, dass er auf seinem Handy eine SMS aufbewahrt, die ihm Guido Westerwelle geschickt hat. Einer Krebsärztin von der Berliner Charité stellt Gottschalk knappe, gute Fragen. Auch das Gespräch, das er mit einer jungen Frau führt, die an Leukämie erkrankt ist und die nun über einen Facebook-Aufruf nach einem passenden Stammzellenspender sucht und dabei vom Teenie-Star Jimi Blue Ochsenknecht unterstützt wird, berührt. Hier beweist Gottschalk, dass er Infotainment doch beherrscht.

Wenn es flapsig wird, wird es gut

Was er jedoch noch immer am allerbesten kann, ist, zu plaudern. Wenn Gottschalk die Gespräche laufen lässt, wenn er scherzt, wenn er sich von seiner charmant-flapsigen Seite zeigt, dann macht die Sendung am meisten Spaß. Mit der Sängerin Nena führt er solch einen Dialog, ganz entspannt, ganz unaufgeregt und lustig.

Oder mit Leon Windscheid, dem jungen Mann, der bei "Wer wird Millionär?" vor Kurzem den Millionengewinn einheimste und von einem Teil des Geldes einen alten Kahn gekauft hat, den er zum Partyschiff umgebaut hat. Das Schiff hat er "MS Günther" getauft – das hatte er Moderator Günther Jauch damals schon während der Sendung versprochen. Gottschalk ruft aus dem Studio heraus bei Jauch auf dem Handy an – und sinniert währenddessen: "Der guckt wahrscheinlich gerade ,Anne Will`."

Wunderbar direkt spricht Gottschalk mit Sarah Elena Timpe, der Schauspielerin, die mit Samuel Koch liiert ist, der seit seinem Unfall im Dezember 2010 bei "Wetten, dass..?" querschnittsgelähmt ist. Kennengelernt haben sie sich bei Dreharbeiten zu der ARD-Telenovela "Sturm der Liebe", im Sommer wollen sie heiraten. Zum Ende der Sendung kommt Koch dann auch noch selbst auf die Bühne. Seine Verlobte sitzt ihm auf dem Schoß, Koch steuert den Rollstuhl, es ist ein rührendes Bild.

Sogar eine Art Saalwette gibt es wieder

Vieles bei "Mensch Gottschalk" erinnert an "Wetten, dass..?": die Liebe zum Skurrilen und Abwegigen (ein Großcousin von Donald Trump aus dem Pfälzer Weindorf Kallstadt, ein Metzgermeister, der sich streng vegan ernährt), die Auftritte bekannter Popstars (Pet Shop Boys, Nena, Shooting-Star Mark Forster), die kleine Prise Kitsch (das Gewinnerpaar aus "Let`s Dance" tanzt vor übergroßen Kerzen-Videos).

Sogar eine – wenn auch ziemlich unspektakuläre – Art Saalwette gibt es. Mit Freikarten für eine Zaubershow der Ehrlich Brothers hat Gottschalk einige Hundehalter mit ihren Lieblingen ins Studio gelockt. Die Hunde sollen vorführen, welche Kunststücke sie beherrschen. Daisy zieht ihrem Frauchen die Socken aus, Kira bekommt Leckerlis auf die Nase gelegt und schnappt bei Befehl zu.

Der Tommy ist zurück. Und mit ihm die gute alte Fernsehunterhaltung westdeutscher Prägung. Das ist schön, das tut nicht weh. Es heißt, dass die nächsten Ausgaben von "Mensch Gottschalk" bei RTL bereits geplant werden. Politiker-Interviews könnte man dabei ruhig noch einmal auf den Prüfstand stellen.

Quelle : welt.de

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