Wenn in Niedersachsen der Boden bebt

  13 Juni 2016    Gelesen: 564
Wenn in Niedersachsen der Boden bebt
Deutschland bezieht Erdgas aus Russland, den Niederlanden und Norwegen. Aber nicht nur. Auch Niedersachsen trägt seit Jahrzehnten seinen Teil bei. Die Auswirkungen sind spürbar - und machen vielen Menschen Angst.
Der Fußboden vibriert, die Gläser im Küchenschrank klirren, die Deckenlampe zittert leicht. Aus der Tiefe steigt ein Grollen empor, als würde dort eine Lkw-Kolonne durch einen Tunnel rasen. Wer in der Region zwischen Köln und Aachen lebt, kennt so etwas möglicherweise. Dort entladen sich häufiger tektonische Spannungen. Ebenso südlich von Tübingen sowie am Rhein an der Grenze zur Schweiz - allesamt erdbebengefährdete Gebiete in Deutschland. Niedersachsen gehört nicht zu diesen. Und doch wackeln auch dort mancherorts immer wieder die Wände - zum Teil so stark, dass sich Risse im Mauerwerk bilden.

In dem norddeutschen Bundesland sind die meisten seismischen Erschütterungen allerdings sehr wahrscheinlich nicht natürlichen Ursprungs, sondern menschengemacht. Die Epizentren der Erdstöße, die mitunter eine Stärke von 4,5 erreichen, liegen meist dicht an einem Erdgasfeld. Bereits in den 1950er-Jahren begann in Niedersachsen die Erdgasförderung. Sie wurde nach und nach ausgebaut, erstreckt sich heute über Dutzende Lagerstätten zwischen Elbe und Ems und zählt mehrere hundert Bohrungen.

Erdstöße werden immer häufiger

Dem Bundesministerium für Energie und Wirtschaft zufolge stammten sieben Prozent des Erdgases, das die Menschen 2015 in Deutschland verbrauchten, aus heimischer Produktion – aus Niedersachsen. Etwa 800 Milliarden Kubikmeter Erdgas sind dort, so die Angaben der Industrie, in den vergangenen 60 Jahren gewonnen worden. Dass die Gasförderung in direktem Zusammenhang zu Erdbeben in der Region steht, gilt als sehr wahrscheinlich. Auswertungen der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe und des Landesamtes für Bergbau, Energie und Geologie weisen darauf hin.

Führt man sich vor Augen, wie Erdgas auf konventionelle Weise an die Oberfläche gelangt, ist ein gewisses, über die Jahre zunehmendes Erdbebenrisiko schnell erkennbar: Das Gas, größtenteils Methan, wird aus 3000 bis 5000 Meter tiefen, durchlässig-porösen Gesteinsschichten geholt. Darin ist es dicht zusammengedrückt. Bohrt man solch eine Lagerstätte an, erhält das Gas ein Ventil und strömt von selbst nach oben. Je mehr Erdgas entweicht, umso mehr lässt der Druck im Gestein nach. Die Folge: Spannungsänderungen im tiefen Untergrund. Sind die umgebenden Schichten nicht fest genug, kann es sein, dass der Boden nachgibt und sich absenkt. Das Erdbeben ist da.

So oder ähnlich geschah es offenbar auch am 22. April dieses Jahres in Langwedel. Mit 3,1 gibt der Niedersächsische Erdbebendienst die Stärke des Erdstoßes an. Danach hatten viele Häuser in dem Ort im Landkreis Verden Risse im Innenputz und an den Außenwänden. Andreas Mattfeldt, Bundestagsabgeordneter für Verden und Osterholz, spricht von mehr als 200 zum Teil erheblich beschädigten Gebäuden.

Der enorme Wertverlust für Hausbesitzer ist nicht das Einzige, was den CDU-Politiker, der aus dem Landkreis stammt, alarmiert. "Viele Unternehmen", so Mattfeldt, "denken bereits über eine Umsiedlung in andere Regionen nach oder wollen bereits geplante Investitionen stoppen." Neuansiedlungen von Unternehmen fänden so gut wie nicht mehr statt. Die einst prosperierende Gegend verfalle in Stagnation. Schon sinken die Einwohnerzahlen, Arbeitsplätze gehen verloren.

Bei dem Verfahren wird Gestein in großer Tiefe unter hohem hydraulischen Druck aufgebrochen. Dazu wird in der Regel ein flüssiges Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien durch Bohrlöcher in die jeweilige Zielschicht gepresst. Dadurch entstehen Risse im Gestein, durch die Erdgas entweichen und dann mit Rohren an die Oberfläche befördert werden kann. Einer ersten Abschätzung der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe zufolge werden die technisch förderbaren Schiefergasmengen in Deutschland auf 0,7 bis 2,3 Billionen Kubikmeter beziffert. Das ist der Bundesanstalt zufolge ein Vielfaches der konventionellen Erdgasreserven in Deutschland.
Seit Oktober 2014, innerhalb von weniger als zwei Jahren, hat der Niedersächsische Erdbebendienst 13 Erdstöße mit Stärken zwischen 1,5 und 3,1 dokumentiert. Schaut man zurück bis 2007, zählt man sogar rund 40 seismische Ereignisse. Mattfeldt wäre es inzwischen am liebsten, wenn die Erdgasförderung dort, wo viele Menschen leben, ein Ende fände. "Wir müssen uns bei den erheblichen Schäden ernsthaft die Frage stellen, ob wir in verdichteten Siedlungsgebieten die Erdgasförderung nicht besser gänzlich untersagen sollten", sagt er und denkt dabei nicht allein an Niedersachsen.

Denn die Gasförderung und ihre Risiken könnten weit über das Bundesland hinaus zum Thema werden, sollte man irgendwann die umfangreichen Schiefergas-Ressourcen der Republik kommerziell nutzen. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe schätzt, dass hierzulande mindestens 700 Milliarden Kubikmeter Schiefergas gefördert werden könnten. Betroffen wären vor allem Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg – und abermals Niedersachsen.

Anders als Methan gehört Schiefergas zu den unkonventionellen Gasen. Das bedeutet: Es lässt sich ausschließlich durch Fracking fördern. Das undurchlässige Schiefergestein wird dabei mit Millionen Litern eines Gemischs aus Wasser, Sand und Chemikalien vollgepumpt und aufgebrochen. Nur so kann das Gas schließlich entweichen. Auf einen einzelnen Bohrplatz kommen hunderte Fracks.

Und auch Fracking kann Erdbeben auslösen. Umstritten ist jedoch, in welcher Häufigkeit und Stärke sie auftreten. Die niedersächsische Landesregierung hat sich für alle Fälle gegen die unkonventionelle Erdgasförderung ausgesprochen. Mattfeldt ist sich sicher: "Wenn wir jetzt nicht handeln und sogar noch flächendeckend Fracking in Schiefergestein erlauben, werden sich die Probleme um die Erdgasförderung und die Erdbeben national ausweiten."

In Langwedel haben schon jetzt viele Menschen Angst vor dem nächsten Beben. Dass es kommt, ist für sie nur eine Frage der Zeit.

Quelle: n-tv.de


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