EM-Titelverteidiger Spanien: Operation Umbruch
Drei der vier vergangenen großen Turniere hat Spanien gewonnen. Da müsste die Frage nach der Favoritenrolle für die EM eigentlich klar zu beantworten sein. Doch das blamable Aus bei der WM 2014 in Brasilien hat Spuren hinterlassen - und wirft vor dem Auftaktspiel gegen Tschechien (15 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE / TV-Übertragung ARD) die Frage auf: Wie stark ist der Titelverteidiger wirklich?
Für Trainer Vicente del Bosque ist der dritte EM-Triumph in Folge "das Ziel, aber keine Verpflichtung". Der 65-Jährige hat zwar einen Umbruch eingeleitet - in Frankreich sind nur noch 13 Spieler aus dem WM-Aufgebot dabei. Ein echter Neuanfang sieht jedoch anders aus: Einige Neulinge sind bereits knapp 30 Jahre alt, Stürmer Aritz Aduriz gar schon 35 (Lesen Sie hier eine Analyse zu Spaniens EM-Kader).
Für Spanien spricht
die Defensivstärke: Jordi Alba (FC Barcelona), Sergio Ramos (Real Madrid) und Gerard Piqué (FC Barcelona) sind als feste Größen in der Viererkette gesetzt. In der EM-Qualifikation kassierten die Spanier nur drei Gegentore. Ramos und Piqué sind zudem zwei der passstärksten Innenverteidiger. 95 bzw. 93 Prozent ihrer Pässe kamen laut Potsdamer Institut für Spielanalyse in der EM-Qualifikation beim Mitspieler an.
Diese enorme Ballkontrolle zeichnet das gesamte Spiel der Spanier aus: Mit Ballkontrollphasen von durchschnittlich 18,1 Sekunden belegte das Team in diesem Ranking Platz eins in den Qualifikationsspielen. Das Institut für Spielanalyse machte dabei Sergio Busquets als Schaltzentrale im Mittelfeld aus, 97 Prozent seiner 745 Passversuche waren erfolgreich. Hinzu kommen mit Cesc Fabregas, Koke und Routinier Andrés Iniesta weitere ball- und passsichere Mittelfeldspieler.
Die große Erfahrung und die Erfolge der Vereinsmannschaften in den europäischen Wettbewerben. Real und Atlético Madrid (Champions League) sowie der FC Sevilla (Europa League) erreichten das Finale.
Das erschwerte allerdings auch die Vorbereitung: Erst im abschließenden Test gegen Georgien konnte del Bosque auf den kompletten Kader zurückgreifen - und dann setzte es noch eine peinliche 0:1-Niederlage.
So gibt es vor dem Tschechien-Spiel einige Fragezeichen:
Wie viel Unruhe bringt der Wirbel um Torwart David De Gea in die Mannschaft? Er soll angeblich in einen Skandal um einen Porno- und Zuhälterring verwickelt sein, auch wenn sich der 25-Jährige dagegen wehrt und von einer Lüge spricht . Trainer del Bosque ließ auch bei der Abschlusspressekonferenz offen, wer zwischen den Pfosten steht - De Gea oder Rivale Iker Casillas, 35. Der Kapitän und europäische Rekordnationalspieler (167 Länderspiele) hat beim FC Porto eine durchwachsene Saison gespielt und seine beste Zeit wohl hinter sich. Kurz vor Anpfiff stand fest, dass Casillas tatsächlich auf die Bank muss.
Haben die Spanier es geschafft, die Ära ihrer "goldene Generation" zu verlängern? Gerade in der Offensive scheint fraglich, ob David Villa nach seinem Rücktritt gleichwertig ersetzt werden kann. Mit Aduriz (Athletic Bilbao) oder Nolito (Celta Vigo), auch schon 29, stehen doch eher unbekannte Angreifer im Kader. In den Testspielen zeigte sich Flügelstürmer Nolito allerdings äußerst treffsicher.
Quelle: spiegel.de