Rasheed ist Imam des "Islamischen Zentrums von Orlando". Vor rund zwei Jahrzehnten ist er aus Nordindien in die USA gekommen. Seine Moschee ist groß, sie hat 1200 aktive Gemeindemitglieder. Das Gotteshaus liegt an einer Ausfallstraße von Orlando. Links eine Schule, rechts grüne Wiesen, vorn am Parkplatz ein Schild: "Wir verurteilen den Angriff aufs Schärfste." Das Schild steht da wie eine Mahnung an die ganze Stadt. Wir haben mit dem Massaker nichts zu tun, wir sind so traurig wie ihr, das ist die Botschaft.
"Wir helfen, wo wir können", sagt Rasheed. "Auch für uns ist am Sonntag ein Traum zerplatzt. Der Traum davon, dass einfach alles ruhig ist hier."
So wie Rasheed fühlen viele Muslime in Orlando und im ganzen Land. Nach dem Terroranschlag auf den Nachtklub Pulse fürchten sie, von der Öffentlichkeit wieder mal ein Stück kritischer beäugt zu werden. Es ist kein ganz neues Gefühl, viele Muslime haben seit einigen Jahren den Eindruck, dass sich ihnen gegenüber etwas wandelt. Der elfte September. Das Attentat in Boston. San Bernadino. Mit jedem islamistisch motivierten Terrorangriff wächst in Amerika das Misstrauen, werden die Fragen schärfer, wird weniger genau getrennt, wo Religion aufhört und Fundamentalismus anfängt. Fast 60 Prozent der Amerikaner haben ein negatives Bild vom Islam und von Tragödie zu Tragödie scheint für die US-Muslime der Druck zu wachsen, sich im Land der großen Religionsfreiheit für ihren Glauben rechtfertigen zu müssen.
Die Angst vor Trump
Mit großer Unruhe verfolgt die islamische Community in den USA den Aufstieg Donald Trumps, der die Religion bereits seit Monaten in den Wahlkampf hineinzuziehen versucht. Nach dem Anschlag in San Bernadino hatte der Republikaner gefordert, Muslimen vorübergehend die Einreise zu verweigern, was gegen die Verfassung verstoßen würde, aber seine Basis beglückte. Am Montag, nur 24 Stunden nach dem Angriff auf den Nachtclub in Orlando, wiederholte Trump diese Forderung, ja weitete sie gar noch aus.
Als Präsident, so kündigte der 69-Jährige an, werde er die Grenzen für all jene dicht machen, die aus Ländern "mit einer erwiesenen Geschichte des Terrorismus gegen die Vereinigten Staaten" kommen wollten. Amerikas Muslime erklärte er indirekt zu Komplizen des Attentäters, denn, so seine These: "Sie wissen, was passiert und liefern ihn trotzdem nicht aus." Der Generalverdacht ist Trumps beliebtestes Mittel. Bislang ist es nur Rhetorik, aber in einer solch aufgeladenen Situation wie der aktuellen, kann aus ihr leicht Politik werden. Das Postfach werde seit Sonntag mit Hassmails geflutet, erzählt Imam Rasheed. Kürzlich hätten Unbekannte die Moschee mit Farbe beworfen.
Vor dem "Islamischen Zentrum" haben sich ein paar Gläubige versammelt. Der Angriff vom Wochenende ist natürlich das große Thema. "Das Schlimme ist: Wir trauen uns ja schon gegenseitig nicht mehr", sagt Ismail, der seit drei Jahren in der Stadt lebt. "Nach solchen Attentaten ertappe ich mich dabei, wie ich andere Muslime beäuge, nach dem Motto: Verspürt der nicht vielleicht doch klammheimlich Sympathie für Gewalt gegen Amerikaner? Es ist furchtbar." Ismail findet, dass man als Muslim in Florida noch vergleichsweise geduldig und verständnisvoll empfangen werde. "Ich frage mich immer: Was würde ich machen, wenn ich in anderen Schuhen stecken würde? Wäre ich auch so geduldig? Vielleicht nicht. Die Reaktionen könnten doch noch viel schlimmer sein.
Ayoub, ein Einwanderer aus Guyana, fällt ihm ins Wort. "Ich bin es einfach leid, dass irgendjemand meine Religion kidnappt. Der Typ ist doch krank! Läuft da einfach mit einem Sturmgewehr rein. Wer macht denn so was?"
"Es fühlt sich alles surreal an"
Natürlich sind nicht alle muslimischen Gemeinden so friedlich und freundlich wie jene am Stadtrand von Orlando. Dutzende Moscheen im Land stehen im Ruf, den Koran radikalislamisch auszulegen. Die "Islamic Society of Boston" etwa geriet vor einigen Jahren in die Schlagzeilen, weil die beiden Marathon-Attentäter in der Zeit vor ihrem Anschlag das Gotteshaus zum Beten aufgesucht hatten. Auch auf das "Husseini Islamic Center" bei Orlando haben manche ein Auge geworfen. Das Zentrum lud bereits mehrfach einen in Großbritannien geborenen radikalen Prediger ein, der für seine homophoben Ausfälle bekannt ist. Lokale Medien berichten, dass dieser erst im April in der Moschee einen Vortrag gehalten habe. Thema: "Wie mit dem Phänomen der Homosexualität umzugehen ist."
Auch aufgrund solcher Vorfälle ist die Stimmung gegenüber Muslimen in den USA angespannt. Im ganzen Land sind Vertreter muslimischer Organisationen inzwischen unterwegs, um gegen das Misstrauen anzulaufen. Die Chefs der großen Verbände geben Interviews auf CNN oder Fox, in Orlando ist gleich bei der ersten Pressekonferenz ein örtlicher Imam anwesend, um die Öffentlichkeit zu mahnen, keine vorschnellen Urteile zu treffen.
Seither sind an fast allen zentralen Plätzen der Stadt Gläubige zu sehen. Sie kommen zum Blutspenden am Southpointe Center, zum Tatort an der Orange Street, zum Community Center ein paar Blocks weiter. Dort werden die Angehörigen der Opfer betreut, und manche, wie Rasha Mubarak vom Islamrat CAIR, wollen einfach nur da sein, um gar nicht erst falsche Verdächtigungen aufkommen zu lassen in der Gemeinschaft.
"Es fühlt sich alles surreal an." Mubarak schüttelt den Kopf. "Wir sind doch", sagt sie "zuallererst Floridianer und nicht Muslime."
Quelle : spiegel.de
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