Wissenslücken machen Pegida-Anhänger so radikal

  15 Juni 2016    Gelesen: 483
Wissenslücken machen Pegida-Anhänger so radikal
Pegida-Experte Werner J. Patzelt hat in einem Buch die Mentalität von Rechtspopulisten in Deutschland untersucht. Er rät, deren Anliegen ernst zu nehmen - sonst würden die Rechten nur noch stärker.
Mancher Radikalismus bei Pegida könnte mit den beruflichen Neigungen der Anhänger zusammenhängen. Die nämlich sind meist Handwerker, Ingenieure, Naturwissenschaftler. Hierbei haben sie, so der Dresdner Politologe Werner J. Patzelt, zwar eine überdurchschnittliche Bildung. Doch oft mangele es ihnen am "gesellschaftlich-politischen Zusammenhangwissen", das man für die "Durchdringung" der Pegida-Themen Einwanderung oder Demokratie eigentlich brauche. Daher hätte Pegida bei diesen Themen "Beschreibungs- und Diskursprobleme".

Hat also die Pegida-Radikalität damit zu tun, wie die Dresdner Demonstranten auf die Welt sehen? Zumindest führt es zu Konflikten mit Leuten, die anders ausgebildet sind: Patzelt erklärt die "Erregungsdynamik" zwischen Pegida-Anhängern und -Gegnern auch damit, dass diese Gegner meist Geistes- oder Sozialwissenschaften studiert haben. Als "Geschwätzwissenschaften" gelten die bei Pegidisten.

Das heißt: Die Feindseligkeit, in der seit dem Entstehen von Pegida vor gut zwei Jahren die "Rechten" und die Verfechter des "linksliberalen Mainstreams" aufeinander einschlagen, könnte man auch als Neuauflage des Konflikts zwischen den praktisch-naturwissenschaftlich und den sozial- und geisteswissenschaftlich Geprägten beschreiben. Und da heute diese Geisteswissenschaftler mit ihren "Soft Skills" immer einflussreicher werden, ergäbe sich eine Erklärung für jene neidische Wut, die bei Pegida und der AfD gegenüber neuen Eliten grassiert. Vielleicht ist es die Wut der Bauingenieure auf Vernetzungstheoretiker.

Es sind solche Überlegungen, mit denen Patzelt die vorherrschenden Erklärungsmuster zum Rechtspopulismus immer wieder aufmischt. Nun hat er in einem am Montag vorgestellten Buch ("Pegida. Warnsignale aus Dresden") mit seinen Studenten sowie Joachim Klose von der Konrad-Adenauer-Stiftung auf 667 Seiten zusammengetragen, was man über Pegida und über Denkmuster von AfD-Anhängern weiß.

Weit verbreiteter "kultureller Rassismus"

Echter Rechtsextremismus als Gegnerschaft zur freiheitlichen Verfassungsordnung findet sich demnach nur bei einer Minderheit von fünf Prozent der Pegida-Anhänger. Weit verbreitet aber sei "kultureller Rassismus", zumal gegenüber Muslimen. Den würden Pegida-Redner um Lutz Bachmann seit Januar 2015 immer radikaler verfechten und dann die jüngeren Anhänger – etwa ein Drittel – im Internet weiter anheizen.

Die Mehrheit der Älteren hingegen sei zurückhaltender und erwarte vor allem jetzt in der Stagnationsphase der Bewegung, dass die wöchentlich von etwa 2000 bis 3000 Menschen besuchten Demonstrationen Heimat stiften. In "einer zivilreligiösen Liturgie", wie es im Buch heißt, "musikalisch eingeleitet wie bei einem Festgottesdienst", mit Predigten, Sprechchören und einer Prozession durch Dresden, danach, im Licht von Taschenlampen, der Nationalhymne als Schlusschoral.

Solche kulturellen Analysen finden sich in dem Buch immer wieder, geht es den Autoren doch darum, die Mentalitäten hinter Rechtspopulismus und Islamfeindschaft zu erkennen. Von "realer Zukunftsangst" angesichts von Globalisierung und Zuwanderung sprach Klose bei der Buchvorstellung, von "Neid" in einer immer weniger egalitär werdenden Gesellschaft und von "Ressentiments" gegenüber dem Neuen und dem Fremden.

Man müsse all das "ernst nehmen", forderte Patzelt, "das sind reale Probleme unseres Landes, die wir politisch in den Griff kriegen müssen". Auch in der Auseinandersetzung mit der AfD, die "Fleisch vom gleichen Fleisch" wie Pegida sei. Daher dürfe man bei der AfD, so Patzelt nicht abermals auf jene Ausgrenzungsrhetorik setzen, die bei Pegida die Anhänger nur noch bestärkt habe im Opferdenken.

Konservativer als manch anderer Pegida-Analyst

Patzelt rief daher zu einer differenzierenden Sicht auf den Rechtspopulismus auf. Der sei ein umfassendes Phänomen, dem man sich stellen müsse. Pegida sei nur "das erste Grünzeug" gewesen, "das im Frühjahr rauskommt", da könne "viel mehr hinterherkommen, wenn der Gärtner sich nicht die Mühe macht, das Kraut vom Unkraut zu trennen". Wenn dieser Rat zur Differenzierung, den Patzelt seit Jahren gibt, "von Anfang an befolgt worden wäre", so meinte er, "dann wären Pegida und das damit zusammenhängende Phänomen längst nicht so bedeutsam geworden".

Wegen dieses Bemühens um Verständnis für Mentalitäten und nachvollziehbare Sorgen im Pegida-Milieu wird Patzelt oft kritisiert. Manche werfen ihm inhaltliche Nähe zu den Rechten vor. Doch dem widerspricht, wie scharf und klar er jetzt im Buch gegen Ressentiments und Islamfeindschaft bei Pegida und AfD anschreibt. Zwar ist er konservativer als manch anderer Analyst dieser Szene, sieht Patzelt doch auch bei Merkels Einwanderungspolitik große Probleme. Zu beheben sind diese Probleme durch Pegida- oder AfD-Parolen nach seiner Ansicht zwar nicht. Man müsse sich aber inhaltlich mit ihnen auseinandersetzen.

Fraglich jedoch ist, ob diese Strategie bei den Anhängern der Rechtspopulisten verfängt. Jedenfalls wird am Mittwoch eine Studie der Uni Leipzig vorgestellt, wonach rechtsradikale Einstellungen bei Anhängern auch der AfD deutlich härter geworden und daher einem verständnisvollen Diskurs kaum noch zugänglich seien.

Das freilich heißt: Die Soziologen haben bei dem Thema noch viel Stoff für weitere Diskussionen. Und das könnte Unterstützern von Pegida und AfD zeigen, dass Sozialwissenschaftler auch nicht immer alles auf Anhieb besser zu wissen beanspruchen.

Quelle : welt.de

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