Einsame Wölfe des IS: Die Terroristen von nebenan

  15 Juni 2016    Gelesen: 542
Einsame Wölfe des IS: Die Terroristen von nebenan
Die Attentäter von Orlando und Magnanville bekannten sich zum IS, handelten aber auf eigene Faust. Diese Instant-Terroristen spielen eine immer wichtigere Rolle in der Strategie der Dschihadisten.
Omar Mateen wählte den Notruf, Larossi Abballa streamte ein Live-Video bei Facebook. Die beiden Männer haben in Orlando und Magnanville bei Paris Menschen getötet und sich erst während der Tat zur Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) bekannt.

Beide Attentäter hatten nach allem, was bislang bekannt ist, keine Verbindung zur Führungsebene des IS in Syrien und dem Irak. Mateen war in keine islamistischen Strukturen eingebunden, Abballa unterhielt Kontakte zu anderen französischen Islamisten und saß wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung auch schon im Gefängnis. Zur Tat, einem Mord an einem Polizisten und dessen Lebensgefährtin, schritt er aber allein.

Mateen und Abballa haben keine Terrorausbildung in Syrien oder im Irak durchlaufen, sie sind nicht durch Kriegserfahrungen radikalisiert und verroht worden. Sie haben ihr ganzes Leben in ihren westlichen Heimatländern USA und Frankreich verbracht.

Radikalisierung in der Heimat

Die Sicherheitsbehörden sprechen bei diesem Tätertypus von "selbstradikalisierten Personen" oder "einsamen Wölfen". Von ihnen gehe "eine hohe Bedrohung" aus, heißt es in einer vertraulichen Analyse der deutschen Sicherheitsbehörden. "Gerade bei diesem Tätertypus fehlen den Sicherheitsbehörden die Erfolg versprechenden Ermittlungs- und Präventionsansätze ,Kommunikation` und `Reisebewegungen`".

Diese Täter werden nämlich durch Propaganda im Netz und in Einzelfällen durch radikale Prediger in Moscheen in ihren Heimatländern radikalisiert und zu ihren Taten angestiftet. Die Anleitung zur Beschaffung ihrer Tatmittel finden sie ebenfalls im Internet. Mateen und Abballa nutzten freizugängliche Waffen: Abballa ermordete seine Opfer mit einem Messer, Mateen tötete mit automatischen Schusswaffen, die er legal in Florida gekauft hatte.

Selbstradikalisierte Islamisten handeln meist allein, so auch die Terroristen in den USA und Frankreich. Mateen soll seine Frau in die Anschlagspläne eingeweiht haben, die französische Polizei befragt derzeit drei Personen, die möglicherweise von Abballas Vorhaben wussten.

Andere Dschihadisten haben in den vergangenen Jahren gemeinsam mit Personen aus ihrem engsten Umfeld Terroranschläge begangen. Syed Farook tötete im Dezember 2015 gemeinsam mit seiner Ehefrau Tashfeen Malik 14 Menschen an seiner ehemaligen Arbeitsstelle im kalifornischen San Bernardino.

Die Brüder Tamerlan und Dschochar Zarnajew planten das Attentat auf den Boston-Marathon 2013, bei dem am 15. April 2013 drei Menschen getötet und mehr als 250 weitere verletzt wurden. Auch der Terroranschlag auf die Redaktionsräume der Satirezeitung "Charlie Hebdo", die Terrorserie vom 13. November 2015 in Paris und der Doppelanschlag von Brüssel am 22. März dieses Jahres wurden maßgeblich von Brüderpaaren geplant. In diesen Fällen waren die Geschwister aber jeweils Teil einer größeren Terrorzelle.

"Effektiver für uns und schmerzvoller für sie"

Häufig greifen die sogenannten einsamen Wölfe Ziele in ihrer nahen Umgebung an. Der Nachtklub Pulse in Orlando lag gut zwei Autostunden von Mateens Wohnort Port St. Lucie entfernt, er selbst soll den bei Schwulen und Lesben beliebten Treff mehrfach besucht haben. Abballa wohnte nur sechs Kilometer von dem Ehepaar entfernt, das er am Montagabend ermordete.

Dem IS sind diese Anschläge der einsamen Wölfe hochwillkommen. Sie sind im Vorfeld kaum zu verhindern, sie kosten die Terrororganisation nichts, und sie schüren Angst im Westen. Denn es sind eben keine Flüchtlinge oder Einwanderer, die diese Attentate begehen, sondern Männer, die im Westen geboren und aufgewachsen sind.

IS-Sprecher Abu Mohammed al-Adnani rief in seiner jüngsten Audiobotschaft seine Anhänger im Westen ausdrücklich auf, nicht nach Syrien und in den Irak zu kommen, sondern stattdessen Anschläge in der Heimat zu verüben. "Die kleinste Tat, die ihr in ihren Ländern begeht, lieben wir mehr als die größte Tat hier. Es ist effektiver für uns und schmerzvoller für sie", sagte Adnani. IS-Anhänger in den USA und in Europa sollten ihre Länder "so lange terrorisieren, bis jeder Nachbar seinen Nachbarn fürchtet".

Der IS in Irak und in Syrien ist in die Planung und Durchführung dieser Anschläge nicht eingebunden, seine Propagandisten geben den Taten lediglich im Nachhinein durch Erklärungen und Bilder in sozialen Netzwerken das Label "IS-Anschlag".

Quelle : spiegel.de

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