Würde man einen typischen Russen suchen wollen, auf Leonid Michelson käme man in hundert Jahren nicht. Schon der Nachname des 60-Jährigen deutet auf seine jüdischen Vorfahren hin. Dazu die Lachfalten im Gesicht, die er nicht einmal in ernsten Situationen gänzlich ausbügeln kann.
Der Multimilliardär ist im Frühjahr zum reichsten Mann Russlands avanciert – vor allem dank lukrativer Deals mit China. Im Dezember des Vorjahres verkaufte er zehn Prozent des größten russischen Petrochemiekonzerns Sibur für 1,3 Milliarden Dollar an die chinesische Sinopec.
Auch stieg der chinesische Seidenstraßenfonds mit 9,9 Prozent in Michelsons Flüssiggasprojekt Jamal auf der gleichnamigen Polarhalbinsel ein, an dem der chinesische Ölkonzern CNPC bereits 20 Prozent hielt. Und kürzlich wurde bekannt, dass zwei chinesische Banken nach vier Monaten Verhandlungen dem Projekt, das ab 2017 Gas produzieren soll, Kredite über zwölf Milliarden Dollar zur Verfügung stellen.
Die russische Führung hätte nur allzu gern, wenn Michelsons Beispiel typisch und repräsentativ wäre. Schließlich hat der Kreml wegen des Zerwürfnisses mit dem Westen im Anschluss an die Krim-Annexion und den Separatistenkonflikt in der Ostukraine beschlossen, sich von Europa ab- und Ostasien, speziell China, zuzuwenden. Zwei Jahre später muss man allerdings sagen: Der große Schwenk hat nicht stattgefunden. Das Projekt China ist gescheitert.
Das liegt nicht so sehr an den Russen, die nichts unversucht ließen, die Chinesen zu umgarnen. Es liegt vielmehr an den Chinesen, die sich zwar interessiert gaben, sich aber gleichzeitig als harte Verhandler erwiesen, die um die isolierte Situation der Russen genau wissen und diese ausnutzen.
"Russland hat zu emotional auf die Ankündigung reagiert, dass wir uns jetzt zum Osten hinwenden", meinte kürzlich Irina Sorokina, Verantwortliche Sekretärin der Russisch-Chinesischen Kammer zur Förderung des Handels sowie technischer und innovativer Produktion: "Die Reaktion der Chinesen auf unsere Aufmerksamkeit war eher zurückhaltend und kühl."
Handelsvolumen zwischen China und Russland sank um 28 Prozent
Selbst im bilateralen Handel, an dem beide gleichermaßen interessiert sind, läuft es nicht rund. Im Vorjahr fiel das Handelsvolumen um 28 Prozent auf 63,6 Milliarden Dollar. Das liegt nicht an einem Mangel an beiderseitiger Kooperationsbereitschaft, die sich ja auch etwa darin zeigt, dass Peking als erster ausländischer Kunde das russische Flugabwehrsystem S-400 kauft und 24 Su-35-Kampfjets bestellt hat.
Die Handelsflaute ist vielmehr der schwächelnden Wirtschaft in beiden Ländern geschuldet: Chinas Wachstum ist 2015 zum ersten Mal seit einem Vierteljahrhundert auf unter sieben Prozent gesackt, Russlands Wirtschaftsleistung um 3,7 Prozent geschrumpft.
Trotz allem bleiben beide beim erklärten Ziel, das bilaterale Handelsvolumen bis 2020 auf 200 Milliarden Dollar zu steigern. Selbst wenn der große Wurf gelingt, wäre es weniger, als die EU und China im Vorjahr gehandelt haben (210 Milliarden Euro).
China investiert praktisch nichts in Russland
Der Handel ist das eine. Investitionen in Russland das andere. Dabei könnte der Moment nicht günstiger sein. Da ist zum einen der radikale Wertverfall des Rubel, der die zuvor hohen Personalkosten, aber auch Grundstücke und Objekte für ausländische Investoren deutlich verbilligt hat, so Viktor Tschetwerikow, Chef der russischen Ratingagentur NRA.
Und da ist die Verordnung der Regierung, dass Staatskonzerne bei gleicher Qualität inländische Produkte kaufen müssen, was auch ausländische Konzerne zur Lokalisierung der Produktion und zum Branding "made in Russia" zwingt.
Umso auffälliger ist, dass die Chinesen nicht eifrig in Russland zulangen. Von allen 116 Milliarden Dollar, die China im Vorjahr im Ausland investierte, flossen gerade mal 794 Millionen – 0,7 Prozent – ins nördliche Nachbarland.
Auch in der Zeit zuvor, bis zum Jahr 2015, zeigt sich, dass die Chinesen im postsowjetischen Raum mit ihren Direktinvestitionen sehr selektiv waren, wie Jaroslaw Lissowolik, Chefökonom der Eurasian Development Bank, in einer Analyse darlegt.
Direktinvestitionen der Chinesen fließen nach Kasachstan
Ins Auge springe, dass Russland fast überhaupt nicht im Fokus der Chinesen gestanden habe, so Lissowolik: Von den akkumuliert 27 Milliarden Dollar Direktinvestitionen, die China bis zum Jahr 2015 in die größten Volkswirtschaften der GUS-Staaten gesteckt habe, seien gerade mal 3,4 Milliarden Dollar nach Russland geflossen. Kasachstan hingegen habe 23,6 Milliarden Dollar aus China erhalten.
In Kasachstan steckten die Chinesen den Großteil der Gelder in die Förderung von Rohstoffen und die Infrastruktur für ihren Transport, um auf diese Weise unabhängiger von Rohstofflieferanten zu werden.
Das ist in Russland – wie das Beispiel von Michelsons Gas- und Petrochemieimperium zeigt – nicht anders. Außerdem will China die Rohstoffe zu weitaus günstigeren Bedingungen bekommen, als Europa dies jemals in Moskau durchsetzen konnte.
Für die Gaslieferungen müssen Pipelines noch gebaut werden
Das zeigt sich im Gasbereich. Schon vor Moskaus Verwerfungen mit Europa im Zuge der Ukraine-Krise hat China die Russen zappeln lassen. Über zehn Jahre dauerten die Verhandlungen, ehe der Gazprom-Konzern im Mai 2014 – auf dem Höhepunkt der Ukraine-Krise – seinen ersten Gasliefervertrag mit China unterzeichnete.
Das Volumen von 400 Milliarden Dollar ist beeindruckend. Wie sehr sich jedoch die Gaslieferungen, für die erst noch die Pipelines gebaut werden müssen, für Moskau rentieren, ist unter Experten sehr umstritten.
Immerhin war die Unterzeichnung für Gazprom eine willkommene Gelegenheit, sich über seine treuen, aber zwischendurch zurückhaltenden Kunden in der EU lustig zu machen und ihnen mit der russisch-chinesischen Karte zu drohen. Und auch der russische Staat hat einen möglichen Schwenk Richtung Asien schon mehrmals – etwa 2009 und 2012 – in den Raum gestellt.
Schwenk Richtung China funktioniert für Moskau nicht
Am Ende erwiesen sich alle Drohungen als Bluff. Vor allem außerhalb des Rohstoffsektors haben die Chinesen keinen Grund, in Russland zu investieren, schrieb vor einiger Zeit das russische Wirtschaftsmagazin "Vlast": Aus Chinas wirtschaftlicher Logik heraus würden sie entweder in Länder der Ersten Welt investieren, aus denen sie Technologien und Know-how erhalten können, oder in Länder der Dritten Welt, die ihre Ressourcen und Anbauflächen relativ billig und ohne großen Widerstand hergeben würden. "Russland gehört weder zur ersten noch zur zweiten Kategorie."
In der Tat beißen chinesische Investoren in Russland auf Granit, wenn sie – wie zuletzt immer häufiger – gleich die Kontrollmehrheit über ein Unternehmen an sich reißen wollen. Umgekehrt stoßen die Russen in China an ihre Grenzen, wenn sie um Kredite buhlen. Dabei hatte man gehofft, dass China großzügig Geld lockermachen würde, nachdem der Zugang der Russen zum westlichen Kapitalmarkt durch die Sanktionen stark eingeschränkt worden war.
Zuweilen greift China auch tief in die Tasche, wie der Fall Michelsons, aber auch des Gazprom-Konzerns zeigt, der erst kürzlich von der Bank of China einen Kredit über zwei Milliarden Euro erhielt. Aber es bleiben Einzelfälle: "Bislang vergeben die chinesischen Banken nicht sehr gern direkte Kredite an russische Unternehmen", meint Igor Giodorow, Analyst bei ING.
Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Levada-Centre zeigt, dass die russische Bevölkerung das Reich der Mitte nach wie vor als Bedrohung auffasst, obwohl sich der Prozentsatz derer, die China für einen Verbündeten halten, zwischen 2013 und 2015 auf 43 Prozent verdoppelt hat. In einem Leitartikel der Zeitung "Wedomosti" hieß es vor einiger Zeit: "Wir wissen nicht, worin uns der Verbündete nützlich ist."
Quelle: n24.de
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