Hooligan-Angst bei Deutschland vs. Polen: Gefährliche Feindschaften

  16 Juni 2016    Gelesen: 1073
Hooligan-Angst bei Deutschland vs. Polen: Gefährliche Feindschaften
Länderspiele zwischen Deutschland und Polen sind "Hochrisikospiele", oft gab es massive Ausschreitungen der verfeindeten Hooligans. Vor dem EM-Duell in Paris sind Sicherheitsexperten besorgt.
Es ist die Vergangenheit, die in der Gegenwart die Ängste schürt. 2006 prügelten sich deutsche und polnische Hooligans minutenlang auf dem Dortmunder Marktplatz, es war einer der wenigen dunklen Momente der ansonsten so freundlichen Weltmeisterschaft in Deutschland. Zwei Jahre später, während der EM in Österreich und der Schweiz, eskalierten Hooligan-Gruppen beider Länder erneut und hinterließen im österreichischen Klagenfurt Schmerzen und Scherben.

Juni 2016. Wenn an diesem Donnerstag die Nationalmannschaften von Deutschland und Polen in Paris im zweiten EM-Gruppenspiel aufeinandertreffen (21 Uhr, High-Liveticker SPIEGEL ONLINE; TV: ZDF), ist die Gefahr von Ausschreitungen erneut bedrohlich groß. Und die spezielle Rivalität beider Lager ist dafür nur einer der Gründe.

Die Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze (ZiS) misst der Partie eine "besondere Bedeutung" zu, so steht es in einer internen Analyse. Die Duisburger Behörde, die kriminalistische Daten rund um Fußballspiele sammelt, kommt zu dem Schluss, dass eine "Mobilisierung der Störerszene deutlich" werde. "Wir können davon ausgehen, dass Hunderte polnische Hooligans in Frankreich sind", sagt André Schulz, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter.

"...unmittelbar beginnende körperliche Auseinandersetzungen"

Die ZiS rechnet mit weiteren bis zu 500 Hooligans aus Deutschland, sie nennt das Verhältnis zwischen den beiden Lagern "traditionell feindschaftlich." Die Risikoeinschätzung der ZiS liest sich dabei noch besorgniserregender: "Bei einem unkontrollierten Aufeinandertreffen von (Störer-)Gruppen aus Deutschland und Polen muss in allen Einsatzphasen mit unmittelbar beginnenden körperlichen Auseinandersetzungen gerechnet werden."

Sowohl die französische als auch die deutsche Polizei ist vorbereitet. Auch wenn die Menschen in Paris in diesen Tagen entspannt wirken: Die Hauptstadt ist seit den islamistischen Anschlägen vom vergangenen November im Ausnahmezustand. Die Terrorismusgefahr hält die Polizei weiterhin in Atem. Nun muss sie sich auch noch auf prügelnde Horden aus Polen und Deutschland einstellen.

Der internationale Sicherheitsexperte Helmut Spahn, ein ehemaliger Polizist und Sicherheitschef beim Deutschen Fußball-Bund, sagt: "Bei der WM 2006 in Dortmund haben wir versucht, präventiv zu handeln: Dazu gehörten auch Ingewahrsamnahmen von Personen, die bestimmten Störergruppen zugeordnet werden konnten. Klar, es muss immer einen Grund für eine Verhaftung geben, wir betreiben keine Rechtsbeugung. Aber das Auffinden von Waffen ist natürlich ein triftiger Grund für Inhaftierungen."

Hochgradig gefährlich

Spahns Rat an die französischen Kollegen: Viele Personenkontrollen, konspirative Zufahrtswege im Auge behalten, Autos überprüfen und klar kommunizieren: "Als Polizei muss ich allen gewaltbereiten Fans deutlich machen: ,Freunde, hier ist eine Grenze. Und wer diese überschreitet, ist sofort weg vom Fenster und muss nach Hause!`"

Gerade die polnische Hooligan-Szene ist sehr lebhaft und sorgt seit Jahren auch in den Stadien für negative Schlagzeilen. Polnische Hooligans gelten allgemein als hochgradig gefährlich, sie praktizieren oft eine andere Hooligan-Kultur als in vielen anderen Ländern Europas. Während der Hooliganismus in Deutschland eher geprägt ist von einer Art Kampfsport, gehen polnische Hooligans auf Verfolgungsjagden, genannt Jazda. Oft bringen sie dafür "Werkzeug" mit: Messer, Macheten, Äxte, Fackeln, Schraubenzieher.

Wer kauft die Tickets?

Der aktuelle Sicherheitschef des DFB, Hendrik Große Lefert, sitzt auf einem Sessel im Restaurant der deutschen Delegation in Évian und reflektiert noch einmal die Übergriffe deutscher Hooligans beim ersten Spiel in Lille: "Diese Randalierer haben sich völlig danebenbenommen. So eine Klientel wollen wir alle im Fußball nicht haben. Ich gehe davon aus, dass die französischen Sicherheitsbehörden in Zusammenarbeit mit den internationalen Polizeidelegationen alles daransetzen, diese Leute dingfest zu machen." In Lille hatten drei Dutzend deutsche Hooligans und Rechtsextreme Jagd auf friedliche ukrainische Fans gemacht.

Große Lefert appelliert deshalb insbesondere auch mit Blick auf mögliche neue Ausschreitungen rund um das Polen-Spiel: "Alle Fans sind nun zur Mithilfe aufgefordert. Sie können dem Bundeskriminalamt beweiskräftige Film-und Bildaufnahmen zukommen lassen und so aktiv zur Aufklärung dieser brutalen Übergriffe auf friedliche Fans beitragen." Einen Link zum Hinweisportal des BKA gibt es auf der DFB-Seite.

Der DFB selbst tut laut Große Lefert alles, um die Sicherheitsbehörden zu unterstützen. Aber dem Verband seien Grenzen gesetzt: "Es würde uns beispielsweise sehr helfen, wenn die Uefa klarer kommunizieren könnte, wer die Empfänger der Tickets sind", sagt Große Lefert. Die Karten, die über die Uefa in den freien Verkauf gehen, sind für den DFB-Sicherheitschef eine Blackbox. Ob Neonazis, Schläger oder normale Fans diese Tickets erwerben, ist für ihn und den DFB nicht nachzuvollziehen.


Quelle : spiegel.de

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