Reich bleibt reich in Deutschland - Elitenforscher

  17 Juni 2016    Gelesen: 386
Reich bleibt reich in Deutschland - Elitenforscher
In Florenz sind die reichsten Familien die gleichen wie vor 600 Jahren - das wollen Wissenschaftler nun nachgewiesen haben. In Deutschland kann man von einer ähnlichen Situation ausgehen, sagt der Soziologe und Elitenforscher Professor Michael Hartmann von der TU Darmstadt.
„Gerade was die Wirtschaft angeht, haben wir in Deutschland einen Anteil von familienkontrollierten Unternehmen der höher ist, als in jedem anderen Industrieland“, erklärt Professor Hartmann.

„Wir haben in Deutschland unter den 100 größten Unternehmen 48, die unter Familienkontrolle sind. Entweder komplett oder durch Sperrminoritäten. Das haben wir nirgendwo sonst, nicht in Italien, in Frankreich, in Großbritannien, auch nicht in den USA“, betont er in einem Interview mit Sputnik-Korrespondent Bolle Selke. „Das bedeutet natürlich, weil sich mit den großen Familien enormer Reichtum verbindet, dass in Deutschland diese Familienunternehmen dafür sorgen, dass wir an der Spitze der Gesellschaft eine sehr kleine Anzahl von sehr reichen Personen haben, häufig in der dritten, vierten, fünften oder sechsten Generation sind. Das Unternehmen Merck gibt es zum Beispiel seit dem 17. Jahrhundert, Haniel seit dem 18. Jahrhundert."
Der Experte erläutert, dass Deutschland, wenn man sich die 1000 reichsten Menschen der Welt anguckt, nach den USA und China an der dritten Stelle liegt:
„Wir haben in Deutschland 67 Milliardäre, die mindestens fünf Milliarden schwer sind, in Japan sind es 13, in Frankreich sind es 22, auch in Großbritannien nur 33. In keinem vergleichbaren Land gibt es so viele Milliardäre und das hat eben mit dieser spezifischen Familienstruktur zu tun — mit diesen Familienunternehmen vor allem in der Industrie, aber auch im Handel — die so eine lange Tradition haben."

Auch um Namen und Beispiele ist der Soziologe nicht verlegen:

"Gucken wir uns die drei großen deutschen Unternehmen in der Autoindustrie an. Daimler ist, mal abgesehen von einzelnen Großaktionären wie den Kataris, im Wesentlichen eine Streuung im Funk-Besitz, aber die beiden anderen großen Unternehmen — BMW und VW — sind familienkontrolliert. Bei BMW hat die Familie Quandt das Sagen. Das sind jetzt im Augenblick nur noch Frau Klatten und ihr Bruder. Die haben über 40 Prozent des Aktienkapitals von BMW. Das bedeutet, die haben in den letzten Jahren pro Jahr zwischen 650 und 800 Millionen Dividende kassiert — durch Quellensteuer und Ähnliches begünstigt.“

Das zweite Beispiel ist VW. Mehrheitlich im Besitz der Familien Porsche und Piëch. Die Familien sind nun deutlich größer, als dass bei den Quandt-Geschwistern der Fall ist, aber nichtsdestotrotz, auch da fallen ja vergleichbare Dividenden an, zumindest vor der VW-Krise. So könnten Sie jetzt die deutsche Wirtschaft durchgehen und Sie würden feststellen, in vielen Branchen gibt es solche Unternehmen. In der Chemie ist das Merck, im Handel ist das Aldi, Lidl, Otto. Sie haben das im Konsumgüterbereich, Sie haben das auch bei den Automobilzulieferern, bei Unternehmen wie Hella oder Benteler, die nicht so bekannt sind. Im Medienbereich ist das besonders konzentriert — Bertelsmann, Springer… Auf der regionalen Ebene gibt es kaum eine Zeitung, die sich nicht im Besitz einer großen Verlegerfamilie befindet. Da hat es enorme Konzentrationen gegeben. Das geht hin bis zu Zeitungen wie der Süddeutschen, die über die Südwestdeutsche Medienholding verquickt sind mit der Verlegerfamilie Schaub, die einen enormen Einfluss im südwestdeutschen Raum hat. Madsack im hannoverischen Raum, oder die Familie Funke über die WAZ im ganzen Bereich von Nordrhein-Westfalen. DuMont Schauberg in der Rheinschiene. So kann man das durchgehen und man findet jede Menge Familien die großen Einfluss auf wirtschaftliche und auch politische Entscheidungen haben."

Als Hauptgrund für diese Entwicklung in den letzten 20 Jahren, sieht Professor Hartmann die deutsche Steuerpolitik:

"Eine große Rolle spielt, wie die Erbschaftssteuer in einem Land geregelt ist, oder ob es Vermögenssteuern gibt oder nicht. Wenn man sich Deutschland da im internationalen Vergleich anguckt, ist die Belastung mit all solchen Steuern — Grundsteuer, Erbschaftssteuer, Vermögenssteuer — in Deutschland viel geringer als in vergleichbaren Ländern wie Großbritannien, in den USA oder Frankreich. Das spielt natürlich bei Vermögen, oder bei der Vererbung von Vermögen eine entscheidende Rolle."

„Unter Helmut Kohl war die Situation eindeutig besser“
In den 90er Jahren, unter Helmut Kohl, war die Situation, so Hartmann, eindeutig besser:

"Dass wir in Deutschland in den letzten 20 Jahren so gravierende Veränderungen haben, hat im Kern mit den politischen Entscheidungen zu tun. Alles, was mit Agenda 2010 zu tun hat, hat dazu geführt, dass wir unten inzwischen einen unteren Bereich haben, den es vor 20 Jahren so nicht gegeben hat. Was den oberen Bereich angeht, das sind alles steuerliche Entscheidungen. Die Erbschaftssteuer ist ja nur eins. Die Vermögenssteuer wurde Ende der 90er Jahre ausgesetzt. Der Spitzensteuersatz wurde gesenkt. Die Körperschaftssteuer auch. Diese ganzen Maßnahmen haben diese Konzentration bei hohen Einkommen und hohen Vermögen enorm begünstigt. Man kann die eins nach dem anderen wieder durchgehen und sagen, das müsste wieder geändert werden und so weiter. Wenn wir die steuerlichen Regelungen der Zeit Mitte der 90er unter Helmut Kohl hätten, hätten wir in Bezug auf die Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen schon enorm viel gewonnen. Unter Helmut Kohl kann nun niemand sagen, dass wir irgendwie radikal linke Verhältnisse oder ähnliches gehabt haben, sondern es waren schlicht und einfach andere steuerlichen Regelungen und in diese Richtung müssten wir meines Erachtens zurückkommen."

Der Eliteforscher erklärt, dass die Durchlässigkeit einer Gesellschaft natürlich entscheidend davon abhängt, wie der Reichtum in einer Gesellschaft verteilt ist:
„Als aktuelles Beispiel nehme ich mal das Erbschaftssteuerrecht für Familienbetriebe. Wenn man sich anguckt um welche Summen es da geht, das sind 2-stellige Milliardenbeträge pro Jahr. Die letzten Zahlen die es gibt sind für das Jahr 2014. Im Jahr 2014 hat es Erbschaften und Schenkungen von Betriebsvermögen im Umfang von 66 Milliarden Euro. Davon sind gut 90 Prozent steuerfrei weitergegeben worden. Das heißt, in dem Jahr war das bei normalen Steuersätzen ein entgangener Betrag von gut 16 Milliarden Euro. Wenn man sich die Diskussionen ansieht, ob das nun Flüchtlinge, Bildungssystem, was auch immer, das ist ein so großer Betrag. Ob der nun anfällt, oder ob der einfach an die Erben weiter verschenkt wird. Das macht für die Situation in einem Gemeinwesen einen großen Unterschied, weil schlicht und einfach die öffentliche Infrastruktur darunter leidet. Auch das Gefühl von Menschen, ob der Staat etwas für sie tut oder nicht, wird dadurch beeinflusst, was der Staat als Leistungen zur Verfügung stellt.“

„Das ist ja jetzt nicht das erste Jahr — und der Staat verzichtet freiwillig auf so viele Einnahmen, obwohl das Bundesverfassungsgericht beurteilt hat, sie müssen das endlich ändern“, fügte Prof. Hartmann hinzu. „Trotzdem geht das alles so zögerlich, und die Bemühungen die Veränderungen so gering wie möglich zu halten sind sehr stark, das hat auf Dauer für die öffentlichen Haushalte und damit vor allem für den ärmeren Teil der Bevölkerung gravierende Konsequenzen. Die Teilhabe an einer Gesellschaft für diejenigen, die zur unteren Hälfte oder gar zum unteren Drittel einer Gesellschaft gehören, ist im Wesentlichen davon abhängig, was es als öffentliche Leistungen gibt."

Quelle : sputnik.de

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