In London besprachen die Ökonomen um Zentralbankchef Mark Carney am Donnerstag auf ihrer Zinssitzung Notfallpläne für den Fall eines britischen Ausstiegs aus der EU. Sie warnten, ein solcher Schritt berge Gefahren für die gesamte Weltwirtschaft. Die mit dem Referendum am kommenden Donnerstag verbundene Unsicherheit beeinträchtige bereits das Investitionsklima im eigenen Land. Zudem drohe eine "womöglich rasant" verschärfte Talfahrt beim Pfund. Auch die Europäische Zentralbank (EZB) rüstet sich für einen Brexit. Der Ausgang des Referendums gilt als völlig offen, allerdings mehrten sich jüngst die Befragungen, die die Brexit-Befürworter in der Mehrheit sahen. Die Studie "Ipsos Mori" sieht das Lager der Unterstützer eines Austritts bei 53 Prozent - der höchste Wert seit mehr als drei Jahren.
Mit Blick auf die Brexit-Szenarien der Notenbanken sagte EZB-Ratsmitglied Ewald Nowotny: "Wir haben entsprechende Vorsorge getroffen." Es gebe Vereinbarungen zwischen der EZB und der Bank von England über gegenseitige Liquiditätshilfe. "Wenn Notwendigkeit besteht, ist sichergestellt, dass es weder bei den englischen Banken noch bei den europäischen Banken zu Engpässen kommt", sagte Nowotny. Der österreichische Notenbankchef rechnet damit, dass London als globaler Handelsstandort unter einem EU-Ausstieg der Briten leiden würde. Es werde "zu einer gewissen Verlagerung" auf Finanzplätze innerhalb der EU kommen.
AUCH FED STARRT GEBANNT AUF BREXIT-VOTUM
Die Briten stimmen am kommenden Donnerstag über den Verbleib ihres Landes in der EU ab. Sollten sie der EU "Goodbye" sagen, erwarten Experten ein weltweites Börsenbeben und eine Abkühlung der Weltwirtschaft. Ein EU-Austritt würde nach Ansicht mancher Experten die Notenbank in London zur ersten Zinssenkung seit der weltweiten Finanzkrise zwingen. Die Notenbank in London hielt daher nun ihr Pulver trocken und ließ den historisch niedrigen Leitzins von 0,5 Prozent unverändert.
Auch die US-Notenbank Fed hatte den Leitzins am Vorabend (MESZ) nicht angetastet. Dabei spielte ebenfalls die Sorge vor den Folgen eines Brexits eine Rolle, wie Fed-Chefin Janet Yellen offen einräumte: "Es war durchaus einer der Faktoren, die in die Entscheidung einflossen." Die US-Währungshüter befürchten, dass auch die US-Wirtschaft darunter leiden würde, falls sich Großbritannien mit dem international wichtigen Finanzplatz aus dem europäischen Binnenmarkt mit derzeit mehr als 500 Millionen Einwohnern ausklinken sollte.
Der Schlüsselsatz zur Versorgung der Banken mit Geld liegt seit der US-Zinswende vom Dezember in einer Spanne zwischen 0,25 und 0,5 Prozent. Die Fed will eine Zinserhöhung erst in der Zeit nach dem Brexit-Votum angehen. Auch die Schweizerische Nationalbank (SNB) blickt gespannt auf die Abstimmung: Sie will die Entwicklung des Franken genau im Auge behalten. Im Zuge des Brexit-Votums könne es vermehrt zu Unsicherheiten und Turbulenzen kommen, warnte SNB-Präsident Thomas Jordan: "In diesem Zusammenhang werden wir die Lage genau beobachten und bei Bedarf Maßnahmen ergreifen."
Ein starker Franken macht Schweizer Waren im Ausland teuer und bremst damit die exportorientierte Wirtschaft des Landes. Jordan betonte, er stehe mit anderen Zentralbanken in intensivem Austausch, um über die jüngsten Entwicklungen der Debatte informiert zu bleiben: "Aber jede Zentralbank muss über ihre eigenen Maßnahmen entscheiden."
Die Abstimmung im Vereinigten Königreich beschäftigt nicht nur die Währungshüter in den USA und Europa, sondern auch in Fernost: Der Chef der Notenbank von Japan, Haruhiko Kuroda, steht nach eigenen Worten in engem Kontakt mit seinen Kollegen in London: "Wir werden die Auswirkungen des Votums auf die Anleihenmärkte und die globalen Finanzmärkte genau beobachten - einschließlich der Folgen für Japan."
Quelle: reuters.com
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