Auch Löw ist ein Opfer der absurden Uefa-Planung

  20 Juni 2016    Gelesen: 549
Auch Löw ist ein Opfer der absurden Uefa-Planung
Bei der EM ist für die Teams jetzt Geduld gefragt. Wer gegen wen im Achtelfinale spielen wird, ist reine Spekulation. Die deutsche Nationalmannschaft ärgert das. Es gibt schon Betroffene.
Ab jetzt ist Beschwichtigung vonnöten, das war absehbar. Der europäische Fußballverband Uefa fürchtet jedenfalls trotz des komplizierten Modus der EM keine Wettbewerbsverzerrung. Die theoretische Möglichkeit einer Absprache im entscheidenden Spiel sei "kein Fehler der 24er-Formats. Am dritten Spieltag gibt es immer Konstellationen, wo so etwas theoretisch möglich wäre", sagte Giorgio Marchetti, bei der Uefa als Wettbewerbsdirektor angestellt.

Beispielsweise wäre die deutsche Nationalmannschaft im Fall eines Sieges der Engländer über die Slowaken an diesem Montag (21.00 Uhr) bereits vor ihrem letzten Gruppenspiel für das Achtelfinale qualifiziert. Der Weltmeister spielt erst am Dienstag (18.00) gegen Nordirland. "Will Deutschland wirklich Dritter werden und gegen Nordirland verlieren? Ich habe da keine großen Sorgen", sagte Marchetti.

Noch nicht einmal den Fall Albanien sieht er kritisch. Die Albaner haben zwar schon seit Sonntagabend ihre Gruppenspiele abgeschlossen, müssen als Dritter der Gruppe A aber bis Mittwochabend warten, um zu erfahren, ob sie überhaupt im Turnier bleiben. "Ja, Albanien ist auf Stand-by, es muss in Frankreich bleiben und bis Mittwoch warten", sagte Marchetti – und sieht auch für die Fans aber kein Problem: "Es gibt viele, die an- und abreisen. Frankreich ist ein gut zu erreichendes Land."

Geduld und Wahrscheinlichkeitsrechnung sind gefragt

Ansonsten ist der im Vorteil, der gut Däumchen drehen kann. Bei der erstmals auf 24 Teams aufgeblähten EM mit ihrem neuen Modus ist also Geduld gefragt - und mindestens Grundwissen über die Wahrscheinlichkeitsrechnung. Die komplizierte Arithmetik führt im ungünstigsten Fall dazu, dass Spieler und Trainer sich tagelang auf ein Spiel vorbereiten, das sie dann gar nicht bestreiten.

"Früher wusstest du: Wenn du Erster wirst, spielst du gegen den Zweiten der Gruppe B, C oder D. Jetzt weißt du fast gar nichts", sagt Bundestrainer Joachim Löw. Tatsächlich können auch er und sein Stab vorerst nur mit Zahlen und Buchstaben jonglieren, weil die neue Teilnehmerzahl für ein Durcheinander sorgt.

Besonders ratlos schauen die Gruppendritten dem weiteren Turnierverlauf entgegen. Nur die vier besten der sechs Dritten kommen weiter, das führt etwa bei Albanien zur absurden Warterei. Auch für die Fans heißt das: Erst mal weiter das Hotel bezahlen. Und dann vielleicht doch heimfliegen.

Extrem verwirrend ist die Verteilung der vier besten Gruppendritten auf die Achtelfinalbegegnungen. Die Grafik in den entsprechenden Uefa-Regularien ähnelt einer ausgeschütteten Buchstabensuppe: "A-B-C-F", "B-C-D-E", "B-D-E-F" – es gibt 15 verschiedene Möglichkeiten, nach denen die vier Gruppendritten vier Gruppenersten zugeteilt werden.

Auch die DFB-Elf wird Geduld benötigen. Schafft der Weltmeister den Gruppensieg, geht es entweder gegen den Dritten der Gruppe A, B oder F. "Kein Problem", sagt Bundestrainer Löw über das wahrscheinliche Warten auf den Konkurrenten: "Unsere Scouts beschäftigen sich nicht mit einem möglichen Gegner, sondern mit mehreren."

Ganz nebenbei ist der Quervergleich der Gruppendritten auch sportlich fragwürdig. Drei Punkte in einer schweren Gruppe können wesentlich schwieriger zu erreichen sein als vier Zähler gegen Fußballzwerge. Doch was am Ende zählt, sind die Punkte – und dann Tordifferenz, erzielte Tore, Fair-Play-Verhalten, Uefa-Koeffizient.

Böse Erinnerungen an Wettbewerbsverzerrung

Als sei dies alles nicht schon kompliziert genug, droht auch noch Wettbewerbsverzerrung. Das beste Beispiel ist die WM 1986, an der ebenfalls 24 Teams teilnahmen: Am letzten Tag der Vorrunde wusste Uruguay schon vor Anpfiff, dass ein Remis reichen würde, um zu den besten Dritten zu gehören. Das Spiel gegen Schottland endete, Überraschung, 0:0. Andere Mannschaften hatten diesen Vorteil nicht.

"16 Mannschaften waren ideal, das war top", sagt Bundestrainer Löw, es habe "klasse Begegnungen vom ersten Spieltag" an gegeben. Und nun? Heißt es warten und rechnen. Löw sagt: "Manche Mannschaften, die nach zwei Spielen einen Punkt haben, haben noch Chancen. Das finde ich nicht ganz so gerecht. Aber das muss man so hinnehmen."

Quelle : welt.de

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