Schon an den Abmessungen lässt sich ablesen, wie verwegen das Cab-Under war: 2,5 Meter breit, fast sieben Meter lang - aber mit rund 1,2 Metern Höhe flacher als ein Porsche 911. Dazu kantig wie ein Backstein, nur an der Front mit einer schrägen Windschutzscheibe. Schon an sich sah das Vehikel unerhört komisch aus, richtig abgefahren wurde es aber, wenn es seiner Bestimmung nach eingesetzt war: nämlich als Zugmaschine für Lkw-Container.
Der Erfinder des Cab-Unders heißt Manfred Steinwinter. Der Ingenieur aus Stuttgart hatte mit seinem Konzept nichts Geringeres vor, als die Lastwagenindustrie und die Speditionsbranche gleichzeitig zu revolutionieren. Denn der Clou seiner Flunder war, dass sie unter der Ladung Platz hatte und nicht wie herkömmliche Frontlenker vor die Anhänger oder Sattelauflieger gespannt war. Somit konnte die gesetzlich festgelegte Maximallänge von rund 18 Metern für das Gespann allein für Laderaum ausgeschöpft werden, während bei normalen Lastzügen einige Meter für die Zugmaschine geopfert werden mussten.
Zwischen 20 und 50 Prozent zusätzliches Ladevolumen versprach das Konzept; wo auf einem Sattelzug von 15,5 Meter Länge normalerweise höchstens 33 Europaletten transportiert werden können, sollten es beim Cab-Under 39 sein. Und statt nur von einer Seite an die Fracht zu gelangen - weil der vordere Teil von der Zugmaschine versperrt wird - würde beim Flachmann an beiden Seiten ein Zugang möglich sein.
Kein wirtschaftlich denkender Spediteur, so die Vision Steinwinters, sollte an seinem Cab-Under vorbeikommen.
Vom TÜV abgesegnet
Erst einmal schien aber überhaupt niemand an dem Konzeptfahrzeug vorbeizukommen. "Überall wo wir auftauchten, blieben die Leute stehen und versammelten sich um das Cab-Under", erinnert sich Joachim B. Rudolphi, Kompagnon und Geschäftspartner von Manfred Steinwinter. "Als wir damit auf der Autobahn unterwegs waren, wurden wir von Lkw-Fahrern geradezu abgedrängt und auf Rastplätze gelotst. Die wollten unbedingt wissen, was das für ein Gefährt ist."
Die Konstruktion für das innovative Mobil hatte sich Steinwinter bereits Ende der Siebzigerjahre patentierten lassen, 1983 präsentierte er das Cab-Under unter der Bezeichnung "Steinwinter 2040" auf der IAA in Frankfurt, 1986 gab der TÜV einem Prototypen seinen Segen. Viele Blechteile hatte der Ingenieur damals selbst gedengelt, Vorlagen gab es schließlich nicht. "Darauf ist Herr Steinwinter heute noch stolz", sagt Rudolphi: "Sein Fahrzeug, das er in Handarbeit gebaut hatte, bekam von den Behörden eine Genehmigung für gleich vier Betriebsarten: Als Lkw für einen Gliederzug, als Sattelzug- und Schwerlastzugmaschine und als Bus."
Angetrieben wurde der Prototyp von einem V8-Zylinder-Dieselmotor mit Turboladern, das Aggregat stammte von einem Unternehmen aus der Nachbarschaft: Mercedes. Steinwinter hatte den Motorraum aber so konzipiert, dass auch Maschinen anderer Hersteller Platz hatten. Das ganze Konzept beruhte auf einem Baukastenprinzip: Zwei bis fünf Achsen und verschiedene Radstände waren möglich.
Als Fahrer der Flunder muss man sich unter der Tonnenlast wie begraben vorgekommen sein, doch Steinwinter hatte auch in dieser Hinsicht vorgesorgt. Der Prototyp war mit braunen Ledersitzen von Recaro ausgestattet. Drei Leute passten ins Cockpit, der mittlere Sitz ließ sich in eine Liege verwandeln.
Vergebliche Verhandlungen und Fahndungen des FBI
Soweit klingt die Geschichte des Cab-Unders wie eine fortlaufende Erfolgstory. Manfred Steinwinter, der mit dem Bau von Sonderfahrzeugen sein Kapital erwirtschaftet hatte - etwa mit Autos mit einer Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h für Menschen mit körperlichen Einschränkungen - schien den Lastwagen neu erfunden zu haben. Doch bis heute ist es bei dem einen Prototyp geblieben.
Fragt man Joachim B. Rudolphi, woran die Serienfertigung letztendlich scheiterte, spricht er ausführlich über die angebliche Verharrungsmentalität großer Hersteller, nennt Unternehmen, die das Projekt von Steinwinter und ihm torpediert hätten, erzählt von Versuchen, das Cab-Under in den USA zu vermarkten, wo der Prototyp dann aber plötzlich verschwunden war und nach monatelangem Hin und Her vom FBI wieder beschafft worden sei; viele potenzielle Interessenten und Investoren habe es gegeben, "aber das wirtschaftliche Risiko wollte letztendlich niemand tragen".
Die Vision ist verwittert, aber nur äußerlich
Der Protoyp existiert noch, versteckt vor der Öffentlichkeit. Das Fachmagazin "Last und Kraft" besuchte Steinwinter vor einigen Jahren und durfte Aufnahmen vom Cab-Under machen. Auf dem einst tadellos weißen Lack sind einige braune Stellen zu sehen, die Stoßstange fehlt.
Die Vision ist verwittert, doch abgeschrieben ist sie noch nicht. Steinwinter, mittlerweile 72 Jahre alt, sei gerade auf Geschäftsreise in China, sagt Rudolphi, der 74 ist. Die beiden sind auch mehr als 30 Jahre nach der ersten Präsentation auf der IAA von ihrer Idee überzeugt. Umsetzen dürften sie auch andere. Rudolphi sagt, ein "Know-How-Transfer" sei denkbar.
Das Cab-Under hat längst eine Vergangenheit, aber immer noch Zukunft. Nur in der Gegenwart ist es bisher nicht angekommen.
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