Weitere Olympia-Ausschlüsse: Russlands Sportler zittern

  21 Juni 2016    Gelesen: 800
Weitere Olympia-Ausschlüsse: Russlands Sportler zittern
Vor dem IOC-Gipfeltreffen in Lausanne hat sich die Lage für den russischen Sport dramatisch zugespitzt. Die Wahrscheinlichkeit eines Ausschlusses großer Teile der russischen Mannschaft ist hoch.

Der Olympia-Bann der russischen Leichtathletik-Föderation, den der Weltverband IAAF am Freitag bestätigt hatte, dürfte nur der Anfang sein. Akut gefährdet sind vor allem russische Gewichtheber, Ringer und Schwimmer - für deren internationalen Verbände könnte der IAAF-Beschluss eine Art Blaupause sein.

Über allem aber steht der Betrug bei den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi, als gemäß Aussagen des langjährigen russischen Dopinglaborchefs Grigori Rodschenkow Hunderte Dopingproben ausgetauscht wurden, darunter von mindestens fünfzehn russischen Medaillengewinnern. Die Ergebnislisten der Sotschi-Spiele werden mit großer Sicherheit umgeschrieben. Das Dopingkontrollsystem bei mehr als einem Dutzend olympischer Weltmeisterschaften in den vergangenen Jahren in Russland wird überprüft.

An der Spitze des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) scheint sich die Überzeugung durchzusetzen, dass die Nichtzulassung des Nationalen Olympischen Komitees Russlands (ROC) für die Olympischen Sommerspiele im August in Rio de Janeiro die angemessene Antwort auf den staatlich organisierten Sotschi-Skandal wäre.

Verantwortlich für den gigantischen Olympiabetrug sind gemäß bisherigen Erkenntnissen das russische Sportministerium, das ROC, die sogenannte Anti-Doping-Agentur Rusada und der Geheimdienst FSB. Sogar der schwer in die Kritik geratene IOC-Vizepräsident Craig Reedie, zugleich Präsident der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada, hat am Montag in London auf einem Symposium für Medienvertreter "beispielgebende Entscheidungen" angekündigt.

"Interessanter Präzedensfall"

Eine Sonderkommission der Wada wird vom Kanadier Richard McLaren geleitet und wird ihren Bericht bis spätestens 15. Juli vorlegen. Formal könnte die Wada dem IOC-Exekutivkomitee einschneidende Maßnahmen gegen das russische NOK empfehlen. Ein Entscheid des Exekutivkomitees wäre schnell herbeigeführt. Die Sommerspiele beginnen am 5. August.

Gemäß der Olympische Charta - einer Art Grundgesetz des IOC, aller Nationalen Olympischen Komitees und aller olympischen Sportfachverbände - sind die Sanktionsmöglichkeiten vielfältig. Das IOC hat als oberste Instanz alles in der Hand. In Kapitel 6, Artikel 59, der Charta sind die Optionen aufgelistet, die sich bei Nichteinhaltung des Welt-Anti-Doping-Codes bieten: Das IOC-Exekutivkomitee kann sowohl NOK als auch Einzelpersonen und Teams sperren.

Olympische Spiele sind im strengen Sinne ohnehin eine Einladungsveranstaltung. Jeweils ein Jahr vor den Spielen lädt das IOC formal die derzeit 206 NOK ein - und kann eine solche Einladung jederzeit widerrufen. Im Fall Russland hat die IAAF mit der Entscheidung, einzelne Sportler unter neutraler Flagge zuzulassen, eine weitere Option ermöglicht. Die Sportler müssen nachweisen, nicht in das Dopingsystem eingebunden zu sein. "Die IAAF hat einen interessanten Präzedenzfall geschaffen", sagte der neue Wada-Generaldirektor Olivier Niggli am Montag.

Teilnehmer über Tagesordnung im Unklaren

Der erfahrene Jurist Richard McLaren, jahrzehntelang als Richter am Weltsportgerichtshof aktiv, gehörte auch jener Ermittlungskommission an, die im November 2015 und im Januar 2016 in zwei spektakulären Berichten das russische Staatsdoping belegten. Auf Teile dieser Recherchen greift die französische Justiz im Verfahren gegen ehemalige IAAF-Verantwortliche zu.

Der Ausschluss Russlands von den Sommerspielen sei eine Art "nukleare Option", hat der Kanadier Richard Pound gesagt, der als dienstältestes IOC-Mitglied den Titel eines IOC-Doyens trägt und der gemeinsam mit McLaren die ersten beiden Wada-Berichte erstellte.

Beim dritten Untersuchungsbericht wird McLaren unter anderem vom französischen Interpol-Agenten Mathieu Holz unterstützt. "Alles hängt am McLaren-Report", erklärte Pound unmittelbar vor dem Olympic Summit in Lausanne SPIEGEL ONLINE. Er wurde vom IOC-Präsidenten Thomas Bach allerdings nicht eingeladen. Das IOC hat weder über die Teilnehmerliste noch über die Tagesordnung Aussagen gemacht - der Gipfel ist Chefsache. Und noch am Dienstagmorgen, wenige Minuten vor der Sitzung, blieben Teilnehmer im Unklaren, was sie im Hotel Palace erwartet.

Die Athletensprecher des IOC haben sich schon vor einigen Wochen schriftlich an die Präsidenten von IOC und Wada gewandt und im Namen von tausenden Sportlern eine lückenlose Aufklärung und energische Sanktionen gefordert. Dieser Brief hat im olympischen Binnenklima Wirkung hinterlassen. Die Sportler hätten das Vertrauen in die Führung von IOC und Wada verloren, schrieben Scott und Bokel. Vor dem Olympic Summit in Lausanne wurden die gewählten Athletenvertreter von IOC-Boss Bach nicht in dessen Überlegungen eingeweiht.

Quelle: spiegel.de

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