Im Juli 2014, mitten hinein in die Siegesfeier des deutschen WM-Titels, platzt eine Nachricht, die Joachim Löw die Laune ein klein wenig trübte. "Damals hat mir Philipp Lahm gesagt, dass er nicht mehr für die Nationalmannschaft spielen werde." Ein Satz, unumstößlich. Wie der Bundestrainer dieser Tage in Évian noch einmal bekannte. Mitten in einer ungewollten Laudatio auf den Außenverteidiger. Er vermisst Lahm, auch wenn er das so nicht sagte. Aber zwischen den Zeilen war das kaum zu überhören. Sein Tempo, seine Spielintelligenz, sein Timing. Einen wie ihn, habe Deutschland derzeit nicht. Oder doch?
Dieser Kimmich halt. Er ist der neue Hoffnungsträger. Nach gerade einmal überzeugenden 90 EM-Minuten. Im Internet wird er mit Lob überhäuft. Für seinen Offensivgeist, seinen Mut, seine Flanken, seine Übersicht und seine Bereitschaft, sich jedem Zweikampf mit den nordirischen Ochsen (Zitat Mario Gomez) zu stellen. Dabei wiederholten die Kommentatoren in den sozialen Netzwerken nur all das, was Guardiola schon längst verkündet hatte. Immer wieder hatte der den 1,76 Meter kleinen Allrounder nämlich ähnlich spektakulär gelobt wie sonst nur Philipp Lahm. "Ich liebe diesen Jungen. Er hat absolut alles. Mit diesem Spieler kannst du gehen `wherever you want`". Kimmich hat sich das angehört und es wird ihm gefallen haben. Wuschig hat er sich davon aber nicht machen lassen.
"Er hat das gut gemacht"
Mit all jener Gelassenheit, die er auf dem Platz ausstrahlt, hat der gebürtige Rottweiler den spektakulären Weg, den seine Karriere in den vergangenen zwölf Monaten eingeschlagen hat, beschritten. Von der zweiten Liga (RB Leipzig) ging`s direkt zum FC Bayern, dort wurde er von der Kaderergänzung zum Einwechsel- und schließlich phasenweise sogar zum Stammspieler. Und jetzt eben Europameisterschaft. All das hat er aber nicht nur seinem herausragenden Talent zu verdanken, sondern auch einer fatalen Fehleinschätzung des VfB Stuttgart, denn die Schwaben hatten Kimmich nach dem Ende seiner Leihe an Leipzig ohne Umschweife Richtung München ziehen lassen (für immerhin stolze acht Millionen Euro Ablöse). "Ich würde gerne jeden erschlagen, der an dieser Entscheidung beteiligt war", hatte Ex-VfB-Coach Alex Zorniger einst geflucht.
Was für eine interessante Parallele das doch ist. Denn wie Kimmich in den Jugendmannschaften wurde auch Philipp Lahm einst in Stuttgart ausgebildet (ohne den Umweg RB Leipzig freilich). Der FC Bayern hatte sein damaliges Talent aus der 2. Mannschaft ausgeliehen, um Spielpraxis in der Bundesliga zu sammeln. Für den eigenen Profikader reicht es noch nicht. Unter dem legendären Schleifer Felix Magath reifte der heute 32-Jährige zwischen den Jahren 2003 und 2005 zu einem richtig guten Außenverteidiger. In München perfektionierte er das Spiel und machte sich zur internationalen Koryphäe auf dieser Position.
So weit ist Joshua Kimmich bei weitem noch nicht. Und er selbst würde so etwas wohl auch niemand behaupten. Dafür ist er zu clever. Und so kommentierte er sein EM-Debütant ganz zurückhaltend: "Der Trainer kam vor zwei Tagen und hat mir gesagt, dass er überlegt, mich auf rechts spielen zu lassen. Gestern hat er mir gesagt, dass ich spiele. Wir haben es extrem gut gemacht, nur hätten wir viel mehr Tore machen müssen."
So sah es auch der Bundestrainer. Und die akute Abschlussschwäche seiner Stürmer gegen maximal überforderte Nordiren hatte ihm im Interview mit den Kollegen der ARD mächtig die Laune verhagelt. So konnte er sich selbst über das gelungene EM-Debüt seines Youngster nicht freuen, nüchtern fast emotionslos urteilte Löw: "Jo hat es auf der rechten Seite gut gemacht. Er hat große Laufarbeit verrichtet und das eine oder andere Mal gut geflankt, das war sehr gefährlich. Er hat das gut gemacht für das erste Mal auf so einer großen Bühne."
Schlechte Laune oder bewusste Hype-Bremse? Schließlich war`s ja nur Nordirland. Und Kimmich defensiv nicht gefordert. Nun, sei`s drum. Es "lahmt" wieder auf rechts. Zumindest ein bisschen.
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