Niels H. habe gestanden, auch in der niedersächsischen Großstadt mehrere Menschen mittels Kaliuminjektionen getötet zu haben. "Wie viele Patienten Opfer in Oldenburg waren, können wir derzeit nicht sagen", sagte Schiereck-Bohlmann. Bislang hatte H. bestritten, bereits in Oldenburg Menschen getötet zu haben.
Von 99 exhumierten ehemaligen Patienten des Klinikums Delmenhorst seien bei etwa 30 Rückstände eines Herzmedikaments entdeckt worden, sagte der Oldenburger Polizeipräsident Johann Kühme. "Wir gehen davon aus, dass die tatsächliche Zahl der Opfer von Niels H. deutlich höher ist", sagte ein Polizeisprecher.
Polizeipräsident Kühme übte scharfe Kritik an damaligen Klinikverantwortlichen in Oldenburg. Obwohl H. in Zusammenhang mit Reanimationen und Todesfällen aufgefallen sei, habe niemand die Polizei verständigt. Möglicherweise habe man den Ruf der Klinik höher bewertet als das Wohl der Patienten.
Niels H. wechselte im Dezember 2002 von Oldenburg nach Delmenhorst. "Es spricht viel dafür, dass die Morde in Delmenhorst hätten verhindert werden können", sagte Kühme. Die Staatsanwaltschaft ermittelt insgesamt gegen acht frühere Klinikverantwortliche aus Delmenhorst und Oldenburg wegen Totschlags durch Unterlassen.
"Es wird natürlich eine weitere Anklage geben"
Niels H. könne sich nicht an alle konkreten Einzelfälle erinnern, so die Ermittler, er habe aber eingeräumt, die erste Tat am 22. Dezember 2002 am Klinikum Delmenhorst begangen zu haben. Der Ex-Pfleger habe Patienten absichtlich mit Medikamenten in einen "reanimationspflichtigen Zustand" gebracht, um anschließend bei der Reanimierung seine Fähigkeiten zu beweisen, sagte Schiereck-Bohlmann.
H. soll sich wegen seiner Tötungsserie in einem weiteren Prozess stellen. "Es wird natürlich eine weitere Anklage geben", sagte Schiereck-Bohlmann. Das neue Verfahren werde alle Taten umfassen, die dem Beschuldigten noch nachgewiesen werden könnten. "Die rechtliche Konsequenz wird am Ende dieselbe sein: Lebenslänglich und besondere Schwere der Schuld. Daran wird sich nichts ändern", sagte die Staatsanwältin.
Die Sonderkommission "Kardio" hatte seit November 2014 mit mehr als einem Dutzend Beamter alle Todesfälle aus H.s Dienstzeit in Delmenhorst und Oldenburg untersucht. Dafür durchforsteten die Ermittler alte Krankenakten nach möglichen Hinweisen und exhumierten alle nicht feuerbestatteten verstorbenen Patienten aus den fraglichen Zeiträumen.
Die Ermittlungen zu den neuen Verdachtsfällen in Oldenburg würden wohl nicht mehr in diesem Jahr abgeschlossen, sagte Thomas Sander von der Staatsanwaltschaft Oldenburg. "Die Ermittlungen dauern so lange, bis wir das unselige Wirken des Niels H. komplett aufgeklärt haben". Es werde "jeder Stein umgedreht".
Tödliche Überdosis von Gilurytmal
Im April war die Zahl der möglichen Mordopfer von Niels H. zuletzt auf 24 gestiegen. Nach der Exhumierung von drei verstorbenen Patienten konnten die Ermittler Rückstände eines Herzmedikaments nachweisen. H. hatte Patienten 30 bis 40 Milliliter des Medikaments Gilurytmal mit dem Wirkstoff Ajmalin gespritzt. In einer Überdosis kann das Mittel lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen, Kammerflimmern und Blutdruckabfall verursachen. Wenn sich der Zustand eines Patienten verschlechterte, reanimierte H. - oft vergeblich.
Wegen fünf Taten sitzt H. bereits lebenslang in Haft. Zudem erteilte das Gericht lebenslanges Berufsverbot und stellte die besondere Schwere der Schuld fest. Vor Gericht hatte H. gestanden, für den Tod von bis zu 30 Menschen verantwortlich zu sein.
Die Richter des Oldenburger Landgerichts kamen zu der Einschätzung, dass H. durch Wiederbelebungen vor Kollegen "glänzen" und sich einen "Kick" verschaffen wollte. Sie sprachen von Taten, in denen eine beängstigende "Unmenschlichkeit" zum Ausdruck komme (Lesen Sie hier mehr über den Prozess).
H. war bereits 2005 unter Verdacht geraten und 2006 zu fünf Jahren Haft wegen versuchten Totschlags verurteilt, arbeitete bis zu seinem Haftantritt 2009 aber weiter. Wegen der erst spät eingeleiteten systematischen Nachforschungen in dem Fall gerieten auch die Ermittlungsbehörden in die Kritik. Gerichte lehnten einen Prozess gegen einen Staatsanwalt aber mangels ausreichenden Tatverdachts ab.
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