Der Irakkrieg 2003 brachte Leid über seine Familie. "Mein Bruder weg. Mein Vater weg", erzählt Mahmod. Nach dem Tod von Diktator Hussein und dem Abzug der Amerikaner kehrten sich die Machtverhältnisse im Irak um: Die Schiiten unterdrückten die sunnitische Minderheit. Teile der ehemaligen sunnitischen Elite gründeten daraufhin die Terrormiliz Islamischer Staat (IS).
Heute hilft Mahmod – selbst Opfer eines Krieges – die Folgen der Destabilisierung in der Region, die in Deutschland wegen der Flüchtlingszahlen besonders stark zu spüren sind, als Dolmetscher zu ordnen. Arabisch, Kurdisch, Türkisch, Persisch und natürlich Deutsch: Der Wahlberliner spricht fast ein halbes Dutzend Sprachen. Im Moment lernt er Polnisch und Vietnamesisch. "Mein Hobby sind Sprachen", sagt er.
Iraker, integriert mit Berliner Schnauze
Mahmod ist mittlerweile deutscher Staatsbürger. Lange Jahre der Berliner Schnauze sind nicht spurlos an dem Übersetzer vorbeigegangen. Und obwohl der Iraker Hochdeutsch in Wort und Schrift mühelos beherrscht, wird aus "elf" schnell "ölf", aus "in" wird "drinne" – auch linguistisch ist Mahmod integriert.
Wenn einer der Antragsteller schummelt, dann kriege er das sofort raus, sagt er. Besonders die Aussprache des arabischen Buchstaben "dad" verrate viel über die Herkunft des Antragstellers. "Die Nordafrikaner kriegen das einfach nicht hin. Das höre ich sofort", sagt der dreifache Familienvater mit einem Grinsen. Dass ein deutscher Dolmetscher einen "falschen Syrer" heraushören könne, glaubt Mahmod nicht.
Die Sprache ist ein wichtiger Indikator, um über die Wahrheit der Angaben eines Antragstellers entscheiden zu können. Deshalb sind Mitarbeiter wie Mahmod für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) so wertvoll. Zwar werden auch Ausweisdokumente getestet, aber viele Flüchtlinge haben gar keine. Ist der Asylsuchende noch im Besitz entsprechender Unterlagen, durchlaufen diese bei Verdacht auf Täuschung die sogenannte PTU, die physikalisch-technische Untersuchung – in der Berliner Außenstelle nicht mehr als eine große Lupe.
"80 Prozent der Leute kommen ohne Ausweis"
Es ist 10.45 Uhr. In wenigen Minuten beginnt für Mahmod und den Entscheider Tom T. ihre erste gemeinsame Anhörung des Tages: Herr A. ist Syrer. Verheiratet, zwei Kinder, Apotheker. Umständlich kramt er eine dicke weiße Mappe aus seinem Rucksack. Unter den Augen des Entscheiders und Herrn Mahmod holt er zahlreiche Ausweisdokumente hervor: Reisepass, Führerschein, Versicherungskarte, Apothekerausweis.
"So ein Fall ist ungewöhnlich. 80 Prozent der Leute kommen ohne Ausweis", sagt ein anonymer BAMF-Mitarbeiter. Er versteht nicht, dass man dem Antragsteller und den Mitarbeitern vor diesem Hintergrund noch eine mehrstündige Prüfung zumutet: "Die Entscheidung in so einem Fall ist definitiv zugunsten des Antragstellers. Aber das ist halt diese völlig übertriebene Bürokratie hier."
Mahmod und Herr A. haben Platz genommen. Es kann losgehen. Blöd: Das Diktafon ist kaputt. Entscheider Tom T. muss heute alle Informationen von Hand eintippen – das dauert.
Zu den Stoßzeiten streikt zuverlässig die Software
Der Mitarbeiter berichtet, dass zu den Stoßzeiten zwischen neun und zwölf Uhr – es ist kurz nach elf – die von BAMF-Chef Frank-Jürgen Weise hochgelobte Maris-Software "zuverlässig abschmiert". Das System sei für 3000 Nutzer ausgelegt. Nach der Einstellungswelle bei der Bundesbehörde greifen mittlerweile aber mehr als doppelt so viele Menschen darauf zu.
"Wenn mal wieder nichts geht, ziehen die Leute direkt ihre Jacken an und gehen", sagt der anonyme Mitarbeiter und zuckt mit den Schultern. "Die Software ist 16 Jahre alt und nicht einmal erneuert worden."
Minutenlange Pause. Unter dem Klicken der Tastatur wartet Herr A. angespannt in seinem Stuhl. Auf dem Tisch vor ihm stehen eine Karaffe mit Wasser, Pappbecher, eine Box Taschentücher.
Typische Probleme bei der Übersetzung
Antragsteller A. kommt aus einer syrischen Kleinstadt, nordöstlich von Aleppo. Hat er Familie? Ja. Frau und zwei Kinder. Sie sind auch in Berlin. Die Familie hatte in Syrien ein eigenes Haus. Wo genau? Neben der Hauptverkehrsstraße, unweit einer Garage.
Entscheider Tom T. blickt von der Tastatur hoch. Meint der Antragsteller wirklich eine Garage? Könnte mit der Garage nicht vielleicht auch eine Autowerkstatt gemeint sein? Mahmod nickt.
In der syrischen Umgangssprache heißt Autowerkstatt "Garage", ein Lehnwort aus dem Französischen. Für den Dolmetscher normal; ein weniger aufmerksamer Entscheider hätte jetzt auf den Antrag möglicherweise Garage geschrieben. In diesem Fall nicht weiter schlimm, aber es ist ein Beispiel für die typischen Probleme, die bei Übersetzungen entstehen.
Faires Verfahren für jeden Asylsuchenden
Dolmetscher sind auch deshalb so wichtig, weil jeder, der in Deutschland Asyl sucht, die Chance auf ein faires Verfahren haben soll. Das garantiert das Grundgesetz. Jeder soll die Möglichkeit haben, seine Situation vorzutragen.
Entscheider T. fährt fort. Er will wissen, wann A. mit seiner Familie Syrien verlassen habe. Der Befragte überlegt, bevor er antwortet. Mahmod übersetzt schließlich: Die Familie sei im Dezember 2015 gekommen. Der Entscheider stutzt: Das sei unmöglich. Der Syrer habe seinen Asylantrag bereits im April des vergangenen Jahres gestellt.
A. überlegt. Ach so – dann sei es der Dezember 2014 gewesen. Das Missverständnis klärt sich auf; Entscheider Tom T. fragt jedenfalls nicht weiter nach. Stattdessen will er wissen, ob A. auch außerhalb Syriens gelebt habe. Mahmod übersetzt: Nein. A. habe nur zwei Monate in der Türkei verbracht. Der Entscheider hackt die Informationen in den Computer.
Interpretation als Grundlage für Entscheidung
Der Syrer lehnt sich vor zu Mahmod: "Und fünf Jahre lang war ich in Moldawien und in der Ukraine – zum Pharmaziestudium." Dolmetscher Mahmod übersetzt. Der Entscheider ist irritiert. Warum habe A. dann gerade gesagt, er sei in keinem anderen Land gewesen?
Jetzt ist auch Antragsteller A. irritiert: Er habe gedacht, es gehe um die Zeit nach seiner Flucht aus Syrien. Der junge Familienvater blickt seinen Dolmetscher fragend an. Der beschwichtigt die beiden anderen Männer mit einem Lächeln und ein paar beruhigenden Gesten.
So läuft es für Mahmod täglich: Zwischen den lückenhaften Informationen, der Sprachbarriere, der Zeitrechnung und den Bildungsunterschieden muss er vermitteln; übersetzen wäre zu einfach. Ob bewusst oder unbewusst: Seine Interpretation ist die Grundlage für die Einschätzung des Entscheiders.
Quelle : welt.de
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