Diese Haltung hat aber Konsequenzen: Die Bürgergemeinde in der Stadt Basel, die für die Einbürgerungen zuständig ist, hat das Einbürgerungsgesuch der Schwestern abgelehnt, wie das "Regionaljournal Basel" berichtete. Der Fall hat sich letztes Jahr ereignet, ist aber erst jetzt publik geworden. Die Bürgergemeinde argumentierte, einbürgerungswillige Jugendliche müssten die Schulpflicht erfüllen. Wer dies nicht tue, verletze die Rechtsordnung und werde daher nicht eingebürgert.
Das Gremium hält seinen Entscheid mit Verweis auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung für juristisch wasserdicht. In der Tat haben die höchsten Richter des Landes 2008 die Integration über die Glaubensfreiheit gestellt. Zwei Jahre zuvor hatte eine tunesische Familie aus Schaffhausen beantragt, ihre beiden Söhne, damals neun und elf Jahre jung, seien vom gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht zu befreien. Das Bundesgericht entschied damit anders als 1993 in einem ähnlichen Fall.
Die Richter stellten sich neu auf den Standpunkt, die Zahl der Muslime in der Schweiz sei stark gestiegen, es gehe vermehrt darum, Minderheiten überhaupt einzubinden. Der soziale Frieden und die Chancengleichheit seien zu wahren. Der Schule kommt nach Ansicht des Bundesgerichts hier eine besondere Rolle zu. Die Nichtteilnahme am Schulunterricht werteten die Richter als Indiz dafür, dass jemand nicht gut genug integriert sei.
2013 bestätigte das Bundesgericht seine Linie. Er urteilte, dass ein damals 14-jähriges muslimisches Mädchen den Schwimmunterricht fortan besuchen muss. Die Richter hatten ein Befreiungsgesuch der strenggläubigen Eltern abgelehnt, weil die Schule den Unterricht geschlechtergetrennt führte und es erlaubte, einen Burkini zu tragen. Zudem konnten sich die Schüler in Einzelkabinen umziehen.
Nicht überall wird so entschieden
In der Praxis hat die bundesgerichtliche Rechtsprechung aber keinen Automatismus hervorgebracht. Dies unterstreichen die zuständigen Stellen in den Städten Zürich und Bern. Wer dem Schwimmunterricht aus religiösen Gründen fernbleibt, kann sich also trotzdem Chancen ausrechnen, den Schweizer Pass zu erhalten.
Der Berner Sicherheitsdirektor Reto Nause kann sich zwar an keinen vergleichbaren Fall in Bern erinnern. Sollte dereinst ein solcher auf dem Tisch der neunköpfigen Kommission liegen, gäbe es aber "heiße Diskussionen", sagt er. Wie das Gremium entscheiden würde, wagt er nicht zu prognostizieren. Nause selber kann den Basler Entscheid "ein Stück weit nachvollziehen": "Jedes Kind sollte schwimmen lernen, unabhängig von seiner Religion."
Nause sagt indes, ein solcher Fall ginge in Bern "wohl unter dem Radar durch". Der Grund: Die Kommission nimmt nur auf Hinweis der Schulbehörden genauere Abklärungen vor.
Bern hat im landesweiten Vergleich eine liberale Einbürgerungspraxis. Zu den Voraussetzungen gehört unter anderem, dass der Antragsteller keinen Eintrag im Strafregister aufweist. Wer trotz klarer Aufforderung der Schule den Schwimmunterricht nicht besuche, verstoße zwar gegen die Schulordnung, so Nause. "Aber sein Leumund wäre noch immer tadellos."
Gleichwohl stellt sich laut Nause in einem solchen Fall die Integrationsfrage. Handle der Betroffene hingegen mit der Schule einvernehmlich eine Befreiung aus, könne ihm das Fernbleiben bei der Einbürgerung nicht vorgehalten werden.
Lehrer müssen Referenzen abgeben
Anders als in Bern agiert die Einbürgerungskommission der Stadt Luzern proaktiv: Bei einbürgerungswilligen Jugendlichen holt sie konsequent Referenzen der Oberstufenlehrer ein; dies sagt Katrin Aeberhard, Leiterin der Dienstabteilung Bevölkerungsdienste, der die Einbürgerungskommission angegliedert ist. Aeberhard kann sich nicht an einen ähnlichen Fall in der Stadt Luzern erinnern. Mit Blick auf Basel spricht sie von einer schwierigen Güterabwägung zwischen der Religionsfreiheit des Einzelnen und der Integrationserwartung der Gesellschaft. Es gelte deshalb, jeden Einzelfall genau zu prüfen.
Der Basler Fall wird im Parlament kontrovers diskutiert. Nationalrat Cédric Wermuth hält es zwar für richtig, dass die Schulen ihre Regeln durchsetzen. Es sei aber falsch, das Bürgerrecht als Hebel dafür einzusetzen. Wermuth spricht von einem "grundlegend falschen Ansatz". "Die beiden Mädchen erhalten so das Signal, dass sie in der Gesellschaft nicht wirklich erwünscht sind." Dies jedoch lasse sie von eben dieser Gesellschaft wegdriften.
Applaus ertönt dagegen im Lager der Bürgerlichen. Nationalrätin Barbara Steinemann (SVP), wie Wermuth Mitglied der Staatspolitischen Kommission (SPK), zeigt sich erfreut über die Entscheidung. Den beiden Mädchen stehe es später, wenn sie volljährig seien, noch immer offen, abermals einen Antrag auf Einbürgerung zu stellen.
Pikant am Basler Fall: Die zwei betroffenen Mädchen weigern sich gemäss "Regionaljournal Basel" auch, ihren Lehrern die Hand zu schütteln – so wie im Therwiler Fall, der im April für Schlagzeilen gesorgt hatte. Dieser Umstand allein würde laut der Einbürgerungskommission jedoch nicht genügen, um das Gesuch automatisch abzulehnen. Die Begründung: Der Handschlag sei nicht Teil der Schulpflicht.
Quelle : welt.de
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