Der tschetschenische Top-Soldat des IS aus Wien

  02 Juli 2016    Gelesen: 920
Der tschetschenische Top-Soldat des IS aus Wien
Den Anschlag in Istanbul plante eine postsowjetische Terror-Internationale. Unter dringendem Verdacht als Drahtzieher steht Ahmed Tschatajew, der rund neun Jahre als anerkannter Flüchtling in Österreich lebte.
Der Verdacht erhärtet sich: Ahmed Tschatajew, der rund neun Jahre als Flüchtling in Österreich lebte, dürfte tatsächlich den verheerenden Anschlag auf den Istanbuler Atatürk-Flughafen organisiert haben. Michael McCaul, Vorsitzender des Ausschusses für innere Sicherheit im US-Kongresses, bestätigte gegenüber dem Fernsehsender CNN entsprechende Meldungen: Der republikanische Abgeordnete bezeichnete den 35-jährigen tschetschenischen Jihadisten als „Top-Soldaten im Kriegsministerium“ des Islamischen Staates (IS).

Das österreichische Innenministerium führt Tschatajew als „Foreign Fighter“. Seinen Asylstatus hat er verloren. Denn er ist 2012 in den syrischen Bürgerkrieg gezogen, um auf Seiten islamistischer Extremisten zu kämpfen. Auf Anfrage der „Presse“ hieß es am Freitag im Innenministerium zunächst erneut, dass die türkischen Behörden gegenüber den österreichischen Stellen eine Beteiligung Tschatajews an dem Istanbuler Attentat bisher noch nicht bekannt gegeben hätten. Türkische Medien titelten indes: „Die Polizei sucht ihn überall“.

Familie lebt im Gemeindebau

Der Tschetschene hatte in seiner Heimat Ende der Neunzigerjahre am Krieg gegen die russische Armee teilgenommen. Dabei wurde er schwer verletzt, gefoltert und verlor einen Arm. 2003 erhielt Tschatajew in Österreich Asyl. Seine Frau und fünf Kinder leben nach Recherchen der „Kronen Zeitung“ weiterhin in einem Wiener Gemeindebau.

Russland hat Tschatajew bereits vor Jahren international zur Fahndung ausgeschrieben. Der reisefreudige Jihadist geriet mehrmals in Konflikt mit dem Gesetz: In Schweden war er wegen Waffenbesitzes ein Jahr in Haft, in Bulgarien drohte ihm 2011 die Auslieferung nach Russland, die er jedoch abwenden konnte. Auch österreichische Menschenrechtsorganisationen setzten sich damals für ihn ein. Im Jahr darauf war Tschatajew im georgischen Gebirge in einen Angriff auf Sicherheitskräfte verwickelt.

Medienberichten zufolge gehen die türkischen Behörden davon aus, dass Tschatajew auch an anderen Anschlägen beteiligt war: im Jänner, als sich nahe der Hagia Sophia in Istanbul ein syrischer Selbstmordattentäter in die Luft sprengte und zehn Touristen aus Deutschland tötete. Im März, als ein Terrorist nahe des Istanbuler Taksim-Platzes vier Menschen tötete. Und auch das verheerende Attentat in Ankara im Oktober 2015 mit über 100 Toten soll auf Tschatajews Konto gehen.

Russland ist alarmiert

Russland ist nach dem Anschlag auf den Istanbuler Flughafen alarmiert. Denn es befürchtet Terrorakte im eigenen Land, auch wenn die russischen Behörden die islamistischen Kämpfer im Nordkaukasus weitgehend in Schach halten.

Tschatajews Profil in einer UN-Sanktionsliste ist alles andere als beruhigend: Er sei verantwortlich für Training und Versendung russischsprachiger Militanter aus Syrien und dem Irak in die Russische Föderation – mit dem Ziel „IS-Zellen zu gründen und Terroranschläge durchzuführen“, heißt es da.

Und Russland hat weitere Gründe zur Sorge. Türkischen Informationen zufolge trat bei dem Istanbuler Anschlag erstmals eine postsowjetische Terror-Internationale auf den Plan: Die drei getöteten Attentäter stammen aus Russland, Usbekistan und Kirgistan. Sie gehören vermutlich dem IS an.

Offiziellen Moskauer Angaben zufolge haben sich 3000 russische Staatsbürger Extremisten in Syrien angeschlossen. Ein Großteil dürfte aus dem Nordkaukasus stammen, vor allem aus den kriegsgeplagten Teilrepubliken Dagestan und Tschetschenien. Doch auch aus den zentralasiatischen Staaten Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan dürften mehrere Tausend Kämpfer ausgereist sein. In einigen dieser mehrheitlich islamischen Länder haben regionale Terrornetzwerke Fuß gefasst. Mit dem Aufstieg des IS in Syrien und dem Irak boten sich den vom Sicherheitsapparat bedrängten Anhängern neue Möglichkeiten zum Kampf. Und hier gibt es abermals einen Konnex zur Person Ahmed Tschatajew.

In früheren Jahren beschuldigten die russischen Behörden Tschatajew, für den islamistischen Anführer, Doku Umarow, der im Nordkaukasus mit Waffengewalt ein Emirat etablieren wollte, als Emissär in Westeuropa aktiv zu sein. Heute gilt Tschatajew als zentrale Figur in der Anwerbung Jihadwilliger aus dem Kaukasus und aus Westeuropa. Auch in der Türkei soll er rekrutiert haben. Seine Person versinnbildlicht eine Entwicklung der vergangenen Jahre: Die meisten Kämpfer im Nordkaukasus haben sich von der Idee des regionalen Jihads verabschiedet. Seit 2013 haben Sicherheitskräfte ihren Antiterrorkampf intensiviert, wichtige Führungspersönlichkeiten wie Umarow wurden getötet. Zeitgleich wurde Syrien als Kampfplatz attraktiver: Anstatt im Wald gegen Russland zu kämpfen, locken nun das Kalifat und der globale Jihad.

Emir des IS im Kaukasus

Im Nordkaukasus selbst haben seit 2014 die meisten Gruppen dem IS Gefolgschaft geschworen. Der Dagestaner Rustam Aselderov wurde zum Emir – Vertreter des IS-Kalifats – im „Wilajet Kawkas“ ernannt. In Syrien wiederum wurde die Attraktivität des Jihad auch durch schillernde Figuren wie Tarchan Batiraschwili, besser bekannt als Abu Omar al-Schischani, verstärkt, der im März getötet wurde. Der IS drohte Russland in mehreren Clips in russischer Sprache mit Rache für die Militärhilfe Moskaus für Bashar al-Assad und hat die Verantwortung für den Anschlag auf ein russisches Flugzeug über dem Sinai im Oktober 2015 übernommen.

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