Mutter soll Wunschkinder ermordet haben

  12 Juli 2016    Gelesen: 621
Mutter soll Wunschkinder ermordet haben
Im November 2015 werden im oberfränkischen Wallenfels insgesamt acht Babyleichen entdeckt. Nun stehen die Mutter und der Vater der Kinder vor Gericht. In der Anklage ist von "sexuellem Egoismus, Gleichgültigkeit und Gefühllosigkeit" die Rede.
Zwischen 2003 und 2013 muss Andrea G. fast durchgehend schwanger gewesen sein. Alle ein bis eineinhalb Jahre brachte sie ein Kind zur Welt. Doch keines dieser Kinder hatte im Leben der Frau aus dem oberfränkischen Wallenfels Platz. Im November vergangenen Jahres werden die Säuglinge entdeckt, tot, in Tücher gewickelt und Plastiktüten verpackt. Es sind insgesamt acht Babys in der früheren Sauna, hinter einer Wandverkleidung, auf dem Dachboden. Zum Teil sind sie bereits stark verwest.

Nur bei vier der Kinder konnte die Rechtsmedizin zweifelsfrei nachweisen, dass sie lebensfähig gewesen wären. Deshalb lautet die Anklage vor dem Landgericht Coburg nun auf vierfachen Mord. Die 45-jährige Mutter soll die Kinder zu Hause allein und ohne ärztliche Hilfe zur Welt gebracht haben. Das Letzte der Acht kam laut rechtsmedizinischem Gutachten tot zur Welt. Schon bei ihrer ersten Vernehmung sagt die Frau der Polizei, sie habe mehrere Babys getötet. Der Anklageschrift zufolge hat sie den Neugeborenen Handtücher auf Mund und Nase gedrückt, wenn sie schrien, bis sie erstickten.

Auch der Vater der Kinder ist mitangeklagt, wegen Beihilfe. In Wallenfels galt die Familie als nett, anständig und unauffällig. Andrea G. hatte bereits zwei Kinder mit in die Ehe gebracht, ebenso wie ihr Mann, später kommen Zwillingsmädchen und eine weitere Tochter zur Welt. Gemeinsam lebte die Großfamilie im Elternhaus von Johann G., auch seine Mutter wohnte hier. Der gelernte Metzger arbeitete in einem Industriebetrieb in der Region, Andrea G. half im Sommer am Kiosk des örtlichen Schwimmbads aus. Ansonsten kümmerte sie sich liebevoll um die Kinder und das Haus.

Nichts sehen, nichts hören, nichts wissen

In Wallenfels will niemand etwas von den Schwangerschaften und den danach nicht vorhandenen Babys etwas mitbekommen haben. Die Frau sei halt manchmal etwas korpulenter gewesen, außerdem habe sie immer weite Oberteile getragen, heißt es. Doch aus dem, was die Wallenfelser verschiedenen Medien erzählt haben, bekommt man eine Ahnung, dass es auch niemand so genau wissen wollte. Da ist die Rede davon, dass Andrea G. von mehreren Fehlgeburten berichtet hatte. Außerdem soll sie, wenn sie alkoholisiert war, von Babyleichen gesprochen haben. Die toten Säuglinge, hatte die Polizei schon bei der Entdeckung gesagt, wurden nicht zufällig gefunden. Vielmehr hatte jemand aus dem Umfeld der Frau gezielt gesucht.

Aber warum mussten die Babys sterben? Dem "Stern" zufolge hat Andrea G. ihrem Verteidiger Till Wagler gegenüber berichtet, sie habe auch nach fünf Kindern immer noch die Sehnsucht nach weiteren gehabt. Doch ihr Mann habe keine weiteren Kinder mehr gewollt. Andrea G. fährt auf Druck der Familie für eine Sterilisation nach Erlangen, lässt sie dann aber doch nicht vornehmen. Sie übernachtet in einer Pension, ihr Mann holt sie vor der Klinik wieder ab. Ihre Wünsche hätten niemanden interessiert, sagt Andrea G., die niemandem erzählt, dass sie sich noch immer Kinder wünscht und noch immer welche bekommen kann.

Die Babys seien alle abends geboren, die Kinder schliefen bereits, ihr Mann sei noch unterwegs oder schon im Bett gewesen. Wenn sie die Schwangerschaften bemerkte, habe sie sich jedes Mal für einen kurzen Moment gefreut, dann aber alles "weggeblockt". Sie habe nie mehr als sieben Kilo zugenommen. Zwei- oder dreimal habe sie auch versucht mit ihrem Mann über die Schwangerschaften zu sprechen. Doch sie sei nicht sicher, "ob die Botschaften jemals bei ihm angekommen sind", so Wagler. Jedenfalls reagierte Johann G. nicht.

"Sexueller Egoismus"

Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft wusste er von den Schwangerschaften. Schon vor dem Auffliegen der Taten hatte sich das Paar getrennt. Doch solange sie zusammen waren, habe für beide Verhütung nie eine Rolle gespielt. Ein- bis dreimal in der Woche hätten sie Sex gehabt, ohne sich mit den Folgen auseinanderzusetzen. In der Anklage ist von "sexuellem Egoismus, Gleichgültigkeit und Gefühllosigkeit" die Rede. Sie hätten die mit weiteren Kindern verbundenen Einschränkungen ihrer Lebensführung vermeiden wollen. Dabei habe Johann G. das Handeln seiner Frau billigend in Kauf genommen. Unmittelbar an den Taten beteiligt war er demnach nicht.

In fünf Verhandlungstagen soll die Schuld von Andrea und Johann G. geklärt werden. 24 Zeugen sind geladen, außerdem drei Sachverständige. Immer wieder wird die Frage gestellt werden, wie eine Frau ein Kind, das sie neun Monate lang ausgetragen hat, einfach so töten kann.

In einer Studie kam das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen 2015 zu dem Schluss, dass es bundesweit jährlich etwa 30 Fälle von Neugeborenentötungen gibt. Die Dunkelziffer ist wahrscheinlich höher. Meist sind die Täterinnen voll schuldfähig. Bleibt eine erste Tat unentdeckt, steigt die Wiederholungsgefahr. All das trifft auch auf Andrea G. zu, ebenso wie die Erkenntnis der Kriminologen, dass die toten Kinder meist nicht weit entfernt vom Wohnort der Mutter abgelegt werden. Andrea G. sagte ihrem Anwalt: "Ich wollte die Babys bei mir haben, die haben irgendwie dazugehört, es waren ja meine. Ich hätte sie nicht wegschmeißen können."

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