Dieselaffäre: Warum der VW von Herrn Stoehr nicht fahren darf

  13 Juli 2016    Gelesen: 551
Dieselaffäre: Warum der VW von Herrn Stoehr nicht fahren darf
Seit vier Monaten steht ein Passat in Ingmar Stoehrs Garage, doch wegen des VW-Abgasskandals darf er ihn nicht zulassen. Was fällt dem VW-Konzern dazu ein? Reichlich wenig.
Dass er einmal den niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil um Hilfe bitten würde, daran hat Ingmar Stoehr im Leben nicht gedacht. Stoehr wohnt schließlich in der Schweiz und nicht in Niedersachsen.

Doch sein Problem war so speziell, dass er am 21. Juni 2016 keine andere Chance mehr sah, als sich an Weil zu wenden: "Ich besitze heute einen VW Passat mit manipuliertem Motor, für den Volkswagen keine Nachbesserung anbietet und den ich in der Schweiz nicht zulassen kann", schrieb Stoehr.

Stoehr fügte ein Beweisfoto von seinem Passat Variant in Metallic bei und setzte seine Unterschrift unter ein freundliches "Hochachtungsvoll". Er hoffte auf Weils Unterstützung, weil das Land Niedersachsen Anteile an VW hält und der Ministerpräsident im Aufsichtsrat von Volkswagen sitzt.

Stoehr ist einer von vielen Betroffenen, die unter dem größten Skandal in der Historie von VW leiden. Alleine in Europa ruft der Konzern 8,5 Millionen Fahrzeuge wegen Abgasmanipulationen zurück. Und dennoch ist sein Fall besonders - denn während die meisten Betroffenen ihren VW nach wie vor benutzen, darf er seinen Wagen wegen der erhöhten Stickoxidwerte in der Schweiz nicht fahren.

Der Bauingenieur ist Deutscher, lebt aber schon längere Zeit im Kanton Bern. Seit Jahrzehnten fährt er VW Passat - aus Überzeugung, denn der Wagen sei so praktisch, und weil der Vater schon einen besaß. Auch im März dieses Jahres kaufte er bei einem Händler in Böblingen einen jungen Gebrauchten. Als Vielfahrer wählte er einen Diesel. "Ich kaufe meine Autos immer in Deutschland, denn dort ist die Auswahl an VW-Modellen aus Vorbesitz einfach größer", erzählt er. Den bürokratischen Aufwand für die Zulassung in der Schweiz - Zoll und technische Abnahme - nimmt er dafür gerne in Kauf.

Stoehr wusste, worauf er sich einließ. Dass sein Passat mit 2.0-TDI-Motor und 170 PS vom Abgasskandal betroffen war, störte ihn nicht. Schließlich sollte ein Software-Update für die manipulierten Passat-Modelle fast zeitgleich zur Verfügung stehen. Dieses wollte er in einer Werkstatt direkt nach dem Kauf aufspielen lassen, so lautete sein Plan. Denn ohne das Update, auch das wusste Stoehr, würde er für den Wagen in der Schweiz keine Zulassung erhalten. Eine entsprechende Vorschrift hatte das Schweizer Bundesamt für Strassen (Astra) im vergangenen Oktober erlassen.

"Ich hatte damit gerechnet, dass es vielleicht zwei, drei Wochen dauern könnte, bis ich in der Werkstatt einen Termin bekomme", sagt Stoehr. Doch jetzt wartet der 47-Jährige bereits seit mehr als vier Monaten.

Es ist nicht so, dass seine Werkstatt ständig ausgebucht ist - vielmehr lässt das Software-Update von VW auf sich warten. Der Grund: Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) verweigerte dem Wolfsburger Autohersteller die Freigabe für den Rückruf, weil nach dem Aufspielen der neuen Motorsoftware der Spritverbrauch leicht gestiegen sein soll.

VW hatte der Öffentlichkeit zu viel versprochen. Das vermeintlich einfache Update wurde zum Problemfall für den Konzern. Und damit auch für Stoehr. Denn sein Passat verstaubt seitdem in der Garage. Zwar erteilte das KBA Anfang Juni für einen Teil der Passat-Modelle eine Freigabe für den Rückruf, doch die Variante von Stoehr mit 170 PS gehörte nicht dazu. "Diese wird als Nächstes drankommen", sagte ein VW-Sprecher auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE. Wann genau, das stehe noch nicht fest.

Mit jedem Tag Warten wächst der Ärger bei Ingmar Stoehr. Denn verstrichene Zeit bedeutet für ihn Geld. Wie ein alter Gaul, der nichts mehr leistet, aber frisst, verursacht der Wagen Kosten - beispielsweise durch die Garagenmiete. Zudem fährt er seinen alten Passat nun länger als geplant, investierte in neue Reifen und kleinere Reparaturen - Ausgaben, die der Vielfahrer nicht mehr eingeplant hatte.

Auf mehrere Schreiben an den VW-Kundenservice erhielt Stoehr zwar freundliche Antworten, aber weder einen Zeitpunkt für sein Update noch ein Angebot der Kompensation, etwa durch einen Leihwagen.

Also wandte sich Stoehr in seiner Not an Weil. "In Ihrer Funktion als Mitglied des Aufsichtsrates der Volkswagen AG bitte ich Sie, Herr Ministerpräsident, die Konzernleitung von Volkswagen bis zur Klärung der Frage der Verantwortung für diese Misere nicht zu entlasten", schrieb er ihm - einen Tag vor der VW-Hauptversammlung. Der Ministerpräsident hat ihm zwar nicht direkt geantwortet, aber offenbar erhört: Als Großaktionär verweigerte Niedersachsen dem kompletten Konzernvorstand wegen der Abgasaffäre die Entlastung und enthielt sich der Stimme.

Letztendlich ein schwacher Trost für Stoehr. Denn der VW-Vorstand wurde dank der anderen Großaktionäre trotzdem entlastet - und sein VW Passat kann immer noch nicht zugelassen werden.

Quelle : spiegel.de

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