Die Warnungen der Schweizer ("geisteskranke Autofahrer", "selbstmörderische Abhänge") schlagen die drei Radfahrer in den Wind. Knapp 22.000 Kilometer sind sie bis hierher gefahren - ein paar Höhenmeter und hupende Autos würden sie jetzt nicht davon abhalten, zur legendären Ruinenstadt der Inka vorzudringen.
Auch von den bewaffneten Milizen, die sie vor Überfällen und Drogendealern warnen, lassen sie sich nicht stoppen. Sie fahren auf Schotterpisten durch den Regenwald, durchqueren Flüsse samt Räder und Gepäck - und schaffen es tatsächlich. Völlig fertig, aber glücklich stehen sie neben ihren Fahrrädern in Machu Picchu. "Ein magischer Moment war das", erinnert sich Julian Schmieder, 33.
Seit mehr als einem Jahr ist er mit seinem Bruder Nico, 27, und dem gemeinsamen Freund Sandro Reiter, 32, mit dem Rad unterwegs. Machu Picchu ist nur ein Zwischenstopp auf ihrer Reise; im April 2015 starteten sie in München, um nach Rio de Janeiro zu radeln. Pünktlich zu den Olympischen Spielen im August wollen sie dort ankommen.
Schwierige Suche nach Sponsoren
"Anfangs hatten wir Rio gar nicht auf dem Schirm", erzählt Schmieder. Der ursprüngliche Plan: mit dem Fahrrad auf der Panamericana durch Amerika, von Alaska bis nach Feuerland. Sie hatten schon öfter längere Radtouren unternommen. Eine führte von München, wo sie wohnten, bis nach Athen. Auch für die Panamericana-Fahrt wollten sie vor der Haustür starten. Von dort sollte es nach Schottland gehen, per Flugzeug über Island nach Alaska und auf der Panamericana immer Richtung Süden.
Erst spät fiel ihnen auf, dass sie Rio und die Olympischen Spiele zum Ziel ihrer Reise machen könnten. Aber warum eine Stadt ansteuern, die mehr als 5000 Kilometer vom ursprünglichen Ziel entfernt ist? "Weil das ein guter Aufhänger war, um Sponsoren zu gewinnen", sagt Julian Schmieder.
Zusammen mit seinem Bruder, mit dem er die Reise zunächst allein plante, war er auf Firmen angewiesen, die ihnen die teure Ausrüstung finanzierten. Das Geld war knapp: Sozialpädagoge Julian arbeitete im Kinderheim, Nico jobbte neben seinem Studium der Fitnessökonomie zeitgleich an der Supermarktkasse, im Fitnessstudio und an den Wochenenden als Gärtner. "Bei jeder Anschaffung fragten wir uns, ob sie wirklich nötig ist", sagt Julian Schmieder. Zwei Jahre lang ging das so. "Unser Traum wars wert."
Die Suche nach Sponsoren entpuppte sich dabei schwieriger als gedacht: Auf 100 Anfragen, die sie an Rad- und Outdoorfirmen geschickt hatten, erhielten sie 40 Absagen, die restlichen Unternehmen reagierten erst gar nicht. "Die bekommen jeden Tag zig Anfragen wie unsere", sagt Julian Schmieder. "Jeder, der einmal um den Bodensee radelt, meint, er sei der größte Safarimensch."
Doch die Brüder blieben hartnäckig. Bei der Sponsorenwerbung packte sie der sportliche Ehrgeiz. Weil inzwischen klar war, dass sie zu dritt starten würden, vermarkteten sie sich als "Trio for Rio" mit der "vielleicht längsten Anreise zu den Olympischen Spielen". Tatsächlich gewannen sie eine Handvoll Sponsoren, unter anderem für die teuersten Ausrüstungsteile, ihre Fahrräder.
Weihnachten nach Kuba
Unterwegs leben die drei sparsam. Im Hotel übernachten sie selten, meistens schlafen sie im Zelt oder werden von Einheimischen eingeladen. Über ihre Ausgaben führt Schmieder genauestens Buch, im Schnitt haben sie bis jetzt 18,46 Euro täglich ausgegeben.
"Da sind aber Luxussachen wie eine Reise auf die Galapagosinseln oder über Weihnachten nach Kuba eingerechnet", sagt er. Die Räder ließen sie auf diesen Trips stehen; sie wollten mal ausspannen und Zeit mit Familie oder Freunden verbringen, die aus Deutschland angereist waren.
Ihre Statistik besagt auch, dass sie in Kanada und den USA bislang am günstigsten gelebt haben. "Die Menschen dort sind extrem gastfreundlich und haben uns ständig zu sich nach Haus oder zum Campen in ihrem Garten eingeladen. Das hat uns überrascht."
Gleichzeitig seien die Nordamerikaner sehr ängstlich: "Ständig warnten sie uns vor anderen. Meistens vor den Mexikanern. Sie ersticken beinahe in ihrer Angst." Irgendwann glaubten die drei tatsächlich, dass sie in Mexiko besonders gut auf sich und ihr Gepäck achten müssten. "Letztlich war es da viel entspannter als gedacht."
Sorgen machen dem Trio weniger die Menschen als vielmehr die Gefahren aus der Natur: Hurrikan Patricia entgingen sie vergangenen Oktober nur knapp, im April gerieten sie in Ecuador in ein heftiges Erdbeben. Und in Kanada sprang plötzlich ein Schwarzbär aus dem Straßengraben, der sie auf ihren Rädern jagte - bis ein Auto das Tier frontal erwischte. "Ergebnis: Bär tot, Auto kaputt, und wir mussten drei Schnaps trinken, um den Schock zu verdauen."
Trotzdem sei für Angst kein Platz. "Wenn du mit Angst reist, machst du Fehler", sagt Schmieder. "Da kannst du gleich zu Hause bleiben." Vor allem helfe es, auf die Einheimischen zuzugehen. "Wir sprechen mit jedem, ob Milizen, Polizisten oder Koka-Bauern. Das sind alles Menschen wie du und ich."
Mittlerweile ist das "Trio for Rio" im Süden Brasiliens angekommen. 27.000 Kilometer liegen hinter ihnen, nur ein paar Hundert sind es noch bis Rio. Der Deutsche Olympische Sportbund hat sie eingeladen, einen Abend im Deutschen Haus zu verbringen, gemeinsam mit Athleten und Pressevertretern.
Julian Schmieder reicht das nicht, er möchte ins Stadion - und zwar umsonst. Er ist mal wieder auf der Suche nach Sponsoren. "Ich habe alle möglichen Agenturen angeschrieben, aber alle verweisen mich nur auf kommerzielle Ticketverkäufer." Aufgeben will er deshalb noch lange nicht, er schreibt weiter Mails. Ans Olympische Komitee, den Deutschen Sportbund - sogar beim Deutschen Fußball-Bund hat er schon angefragt, ob die Verantwortlichen ihnen nicht Zutritt ins Stadion verschaffen können.
"Kann doch nicht sein, dass nur die Champagner-Fraktion auf der Ehrentribüne mal wieder alles für lau bekommt, oder?"
Quelle : spiegel.de
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