Wagenknechts Flüchtlingsprovokation: Lechts und rinks

  28 Juli 2016    Gelesen: 275
Wagenknechts Flüchtlingsprovokation: Lechts und rinks
Sie fordert Flüchtlingskontingente, spricht von missbrauchtem Gastrecht, kritisiert Merkels "Wir schaffen das": Sarah Wagenknechts rechter Sound verärgert die Linken-Führung. Warum hat das keine Konsequenzen?
Diese Woche am Tegernsee: Die CSU gibt vor ihrer Klausurtagung eine Pressekonferenz. Es geht um die jüngsten Anschläge - und es geht um Flüchtlingspolitik. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer sagt, man werde bei der Frage der Sicherheit "sehr, sehr entschlossen vorgehen". Innenminister Joachim Herrmann betont: "Eine Politik der offenen Grenzen darf es nicht geben."

Zu Wochenanfang in Berlin: Die Fraktionschefin Sahra Wagenknecht lässt über die Linksfraktion eine Pressemitteilung verschicken. Darin bezeichnet sie Merkels offene Asylpolitik, das "Wir schaffen das", als "leichtfertig". Der Staat müsse jetzt "alles dafür tun", dass sich die Menschen wieder sicher fühlen. Es sei wichtig, zu "wissen, wer sich im Land befindet".

Seehofer, Herrmann, Wagenknecht: Sie alle verbinden somit die hohen Flüchtlingszahlen mehr oder weniger direkt mit den Gewalttaten von Ansbach und Würzburg. Die beiden Bayern bedienen dabei ihre konservative Klientel. Wagenknecht ihrerseits weiß, wie viele Linken-Wähler mittlerweile zur AfD abgewandert sind. Doch ihre Genossen in der Führung treibt sie mit solchen Sprüchen zur Weißglut.

Das hört sich dann so an: Parteichef Bernd Riexinger hält die Äußerungen der Fraktionschefin für "nicht akzeptabel", Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn warnt vor "populistischen Reaktionen", Jan van Aken, außenpolitischer Sprecher der Fraktion, forderte gar indirekt Wagenknechts Rücktritt.

Die Flüchtlingsfrage geht an die Identität der Linken. Solidarität ist ihr Kerngeschäft. Doch Wagenknecht klingt nicht zum ersten Mal mehr rechts als links. Wie damals, als sie nach den Übergriffen in der Silvesternacht von verwirkten Gastrechten sprach. Oder als sie Sympathien für Kontingente zur Begrenzung der Zuwanderung zeigte.

Empörung, Entsetzen, Fassungslosigkeit

Die Reaktionen in der Partei sind immer gleich: Empörung, Entsetzen, Fassungslosigkeit.

Zwar rudert Wagenknecht auch diesmal zurück, schreibt am Dienstag auf Facebook, es habe "Missverständnisse" gegeben. Sie habe nicht die Aufnahme der Flüchtlinge kritisieren wollen - sondern die Integrationspolitik der Kanzlerin. Nur: In der Partei nimmt ihr das kaum mehr jemand ab.

Umso auffallender ist es, dass es bislang nie wirkliche Konsequenzen hatte, wenn Wagenknecht gegen die Parteilinie schoss. Woanders wäre sie womöglich längst aus dem Amt gejagt worden. Doch die Fraktionsvorsitzende der Linken heißt nach wie vor: Sahra Wagenknecht.

Und das hat Gründe:

Prominenz: Keine Frage, Wagenknecht ist das Gesicht der Partei. Sie ist intelligent, kann pointiert formulieren. Wagenknecht ist es, die in Talkshows eingeladen wird, die in großen Interviews linke Positionen verbreiten darf. Sie schafft es sogar, mit ihren Reden Banker und Unternehmer für sich zu begeistern. Niemand drängt sich auf, der sie in dieser Rolle ersetzen könnte. Im Vergleich bleibt die übrige Führungsmannschaft der Partei blass.

Stabilität: Ein fragiles Bündnis hält die chronisch zerstrittene Fraktion im Bundestag zusammen. Wagenknecht als Vertreterin der Parteilinken teilt sich den Vorsitz mit dem Reformer Dietmar Bartsch. Eine mühsam zusammengeschusterte Zweckgemeinschaft, die bislang für Linken-Verhältnisse funktioniert. Und daran, heißt es, wolle Bartsch eigentlich nichts ändern - bei allen Differenzen.

Hat Wagenknecht also einen politischen Freifahrtschein? Nein, natürlich nicht. So viel Langmut haben die Linken dann doch nicht. Letztlich ist alles eine Frage der Dosierung, auf Dauer isoliert sich Wagenknecht mit ihren wiederholten Querschüssen in der Flüchtlingspolitik.

Das erste Symptom: Es gibt keine prominenten Anhänger, die ihr den Rücken stärken. Stattdessen hagelt es Kritik von Linksaußen:

Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin und Parteilinke aus Wagenknechts Landesverband in Nordrhein-Westfalen, sagte im "Deutschlandfunk": Die Fraktionschefin gebe Rechtspopulisten die Möglichkeit "zu hetzen".
Ralf Michalowsky, ebenfalls einflussreicher NRW-Linker, nennt Wagenknechts Stellungnahme "grottig".

Und Nicole Gohlke, in anderen Fragen an der Seite der Fraktionschefin, empfiehlt ihr, sich "mal ans Wahlprogramm" zu halten.

Die gemäßigten Landesverbände im Osten sind ohnehin nicht gut auf Wagenknecht zu sprechen. Jetzt fürchten sie um das Ergebnis ihrer Mühen im Wahlkampf. Im September stimmen die Bürger in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin ab. Wagenknecht, so sehen es einige, soll sich hier vorher am besten nicht mehr blicken lassen.

Im Netz sammeln mittlerweile Funktionäre, Parlamentarier und Lokalpolitiker Unterschriften gegen Wagenknecht. Selbst Co-Fraktionschef Bartsch, der sich ja sonst mit öffentlichen Vorwürfen vornehm zurückhält, erklärt, er habe Wagenknecht seine Kritik "persönlich und deutlich übermittelt".

Und nun?

In dieser Legislaturperiode werde sich am Machtgefüge womöglich nichts mehr ändern, sagt ein einflussreiches Parteimitglied. Heißt: Wagenknecht bleibt vorerst da, wo sie ist - in der ersten Reihe.

Doch zur Jahreswende dürfte die Diskussion um die Spitzenkandidatur bei der kommenden Bundestagswahl in Fahrt kommen. Und dafür, heißt es, habe Wagenknecht ihre Chancen nun nicht gerade verbessert.

Quelle : spiegel.de


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