Merkels Sommerpressekonferenz: Rede zur Lage der verunsicherten Nation
Tatsächlich ist Angela Merkels Auftritt am heutigen Donnerstag der Versuch, sich gegen den andauernden Krisenmodus zu stemmen.
Nach den Gewalttaten in Süddeutschland hatte sie den Termin zu "Themen der Innen- und Außenpolitik" um einige Wochen vorverlegt. Merkel muss viel erklären. Ihre Sicht auf die Situation, ihre Pläne, ihre Haltung. Das ist hochgradig kompliziert.
Denn Merkel spricht nach den Attacken von Würzburg, München oder Ansbach und nach den Anschlägen im Nachbarland Frankreich; sie spricht im Kontext kollektiver Verunsicherung.
Für Horst Seehofer oder Sahra Wagenknecht sind die Taten - mit Ausnahme des Münchner Amokläufers, der wohl aus Fremdenhass tötete - Symptom einer verfehlten Flüchtlingspolitik. Merkels Flüchtlingspolitik. Gegen solche Vorwürfe dürfte sie sich, auf welche Weise auch immer, schützen wollen - und das auch zum Ausdruck bringen.
Die Kanzlerin hat keine andere Wahl, als zu diesem Zeitpunkt in die Offensive zu gehen: Die Serie von Gewalttaten, zum Teil von Flüchtlingen verübt, hat ihr eine Debatte um Sicherheit und Zusammenhalt aufgezwungen. Ist Deutschland verwundbarer geworden? Wie können wir uns gegen tödliche Anschläge und Gewalt wehren? Wie will man verhindern, dass sich Angst in Hass gegen Schutzbedürftige verwandelt?
Wie vor knapp einem Jahr, als sie sich mit dem Satz "Wir schaffen das" zur Flüchtlingskanzlerin machte, muss Merkel wieder drängende Fragen beantworten. Nur ist die jetzige Situation eine völlig andere als im vergangenen Sommer. Und Merkels Rolle ebenfalls.
Es ist genau das passiert, was Merkel vermeiden wollte
Die Verbrechen in vier deutschen Städten unterscheiden sich voneinander, ihre Motive und Umstände sind individuell. Trotzdem sind sie ein Ventil für Feindseligkeit. Was Ressentiments schürt, ist der bloße Fakt, dass alle Taten von jungen Männer mit Migrationshintergrund verübt wurden, drei von ihnen waren Flüchtlinge. Genau so eine aufgeheizte Stimmung wollte Merkel immer vermeiden.
Rational zu erklären sind die fremdenfeindlichen Ängste nicht. Es gibt viele gute Argumente, warum man die Serie von Gewaltakten nicht mit der Flüchtlingssituation verknüpfen sollte. Trotzdem brechen die Konflikte um die Flüchtlingsfrage neu aus, die CSU erhöht bereits den Druck auf Merkel. Bayerns Ministerpräsident Seehofer sagt: "Wir haben mit allen Prophezeiungen recht behalten." Dass die EU in der Flüchtlingssituation dauerhaft an einem Strang zieht, ist nach dem Brexit-Referendum nicht wahrscheinlicher geworden. Und die Türkei, ohnehin wackliger Partner im Flüchtlingsdeal, steckt in einer Staatskrise. Viel Spielraum für optimistische Botschaften hat Merkel gerade nicht.
Merkels Rolle hat sich gravierend verändert
Im vergangenen Sommer, als sie die Grenzen für Hunderttausende Flüchtlinge von der Balkanroute eröffnete, war Merkel diejenige mit der Kehrtwende. Die, die aktiv entschied. Die, die überraschend Emotionen zeigte, sogar Kritiker mitzog, zumindest für eine Weile. Jetzt ist sie in der Defensive.
Auch im Ausland wurde Deutschland lange für seine Offenheit, für das Wahrnehmen seiner humanitären Verantwortung gefeiert. "Die Tochter eines Pfarrers setzte Barmherzigkeit wie eine Waffe ein", schrieb das "Time"-Magazin. Die Bilder von jubelnden Menschen am Münchner Hauptbahnhof, Merkels Umarmungen mit Flüchtlingen, sie gingen um die Welt. Jetzt aber gilt Deutschland mancherorts als abschreckendes Fallbeispiel für importierten Terror, Rechtspopulisten in Europa und in den USA ziehen über Merkel her.
Die Schwierigkeit für die Kanzlerin liegt nun besonders darin: Sie muss auf die Ereignisse der letzten Zeit möglichst glaubwürdig reagieren - und darf dabei nicht ihre Überzeugungen über Bord werfen.
In der schwierigen Situation liegt auch eine Chance
Die Kanzlerin will auch auf Probleme mit Integration und Abschiebungen von Flüchtlingen eingehen. Sie will über die nationale und internationale Terrorlage sprechen, über die Entwicklung in der Türkei und über die Folgen des Votums der Briten zum Ausstieg aus der Europäischen Union.
Wenn sie es klug anstellt, wird sie dabei deutlich machen, dass zwar viele beunruhigende Dinge gleichzeitig passieren - aber nicht unbedingt alles mit allem zusammenhängt. In sensiblen, für Populismus anfälligen Zeiten wie diesen könnte Merkel zu Gute kommen, was ihr oft zum Vorwurf gemacht wurde: ihre Rationalität. Indem sie kühl differenziert, könnte sie etwas Vernunft verbreiten.
Merkel könnte die Aufmerksamkeit für eine ehrliche Bestandsaufnahme der Chancen und Probleme in der Flüchtlingsfrage nutzen. Sie könnte einräumen, dass auch deshalb weniger Menschen in Not zu uns kommen, weil viele Routen dichtgemacht wurden. Sie könnte sich klar von Ausländerfeindlichkeit abgrenzen und gleichzeitig das berechtigte Sicherheitsbedürfnis der Bürger auffangen.
Womöglich braucht es von der Kanzlerin gerade gar kein zweites "Wir schaffen das" als Botschaft. Ein "Wir haben schon viel geschafft. Jetzt kommt der nächste Schritt" - das wäre ein gutes Signal.