SPIEGEL ONLINE: Herr Skarsgård, Ihr Tarzan macht zwar Tierlaute und -gebärden und schwingt sich halbnackt mit der Liane durch den Dschungel, aber seinen berühmten Schrei hört man nur aus der Ferne. War Ihnen das dann doch zu affig?
Skarsgård: Darüber haben wir lange diskutiert. In den alten Filmen mit Johnny Weissmüller hat das gut funktioniert, Sie wissen schon: das Auf-die-Brust-Klopfen und das "Aaaaahhooahhooaaahhh"-Geheul. Unser Film ist aber eher düster, daher hatten wir die Befürchtung, dass es unfreiwillig komisch sein könnte, wenn wir es so machen wie früher. Eigentlich ist es ja ein Kriegsschrei, mit dem Tarzan zur Jagd ruft. Bei uns ist er deswegen auch kehlig und tief, er soll furchteinflößend wirken. Und diese Furcht sieht man in der von Ihnen erwähnten Szene dann auch im Gesichtsausdruck des von Christoph Waltz gespielten Bösewichts. Auf diese Weise konnten wir Tarzans Schrei in den Film integrieren, ohne dass es lächerlich wirkte.
SPIEGEL ONLINE: Ihr Tarzan ist ein grüblerischer, seelisch zerquälter "Dark Knight" des Dschungels. Warum so ernsthaft?
Skarsgård: Die Rolle ist im Drehbuch bereits so angelegt, und ich war sehr fasziniert von diesem Ansatz, vor allem die Dichotomie zwischen Mann und Bestie zu erforschen. Wenn der Film beginnt, sehen wir Tarzan als Lord Greystoke in London, er ist ein eleganter britischer Gentleman. Das Tier ist immer noch in ihm, aber er hat es unterdrückt und beschäftigt sich nicht mehr damit. Aber sobald er zurück im Dschungel ist, kommt es mehr und mehr wieder aus ihm heraus. Das Animalische schlummert schließlich in jedem von uns. Tarzan ist darüber hinaus ein lost boy: Als er bei den Affen aufwächst, spürte er, dass er anders ist. Später, als Erwachsener in London, versucht er, sich dort anzupassen und eine neue Familie zu finden. Aber er bleibt zwischen zwei Welten verloren.
SPIEGEL ONLINE: Diese Psychologisierung ist interessant, aber letztlich bleibt Tarzan doch stets der noble Weiße, der sich zum Retter Afrikas aufschwingt. Wie problematisch war der Umgang mit den Gesellschaftsbildern der Kolonialzeit, aus der die Vorlage stammt?
Skarsgård: Ich habe große Probleme mit der Darstellung der "Rassen" in der Literatur des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Heute würde man es als rechtsextrem bezeichnen, aber damals waren Wissenschaft und Medizin davon überzeugt, dass Schwarze weniger intelligent als Weiße seien. Der Zeitgeist gegen Ende der Kolonialzeit und Industrialisierung war so, dass man glaubte, man müsse den wilden "Negern", die evolutionär noch zwischen Tier und Mensch verharren, Zivilisation beibringen.
SPIEGEL ONLINE: Um dieses schwere Erbe zu erleichtern, ließen sich die Drehbuchautoren von Adam Hochschilds Bestseller"Schatten über dem Kongo" inspirieren, der von den verbrecherischen Machenschaften des belgischen Königs und Kolonialherrschers Leopold berichtet.
Skarsgård: Ja, die Handlung des Films spielt in Kongo, wo König Leopold praktisch einen Genozid zu verantworten hatte, bei dem wohl mehr als zehn Millionen Menschen ums Leben kamen. Während er im Rest der Welt als Wohltäter und Philanthrop galt, versklavte er in Afrika ein ganzes Land. Es war sehr spannend, diese Geschichte und diesen Aspekt in einen großen Action- und Abenteuerfilm zu integrieren. Die von Samuel Jackson gespielte Figur des amerikanischen Bürgerkriegsveteranen George Washington Williams hat es wirklich gegeben. Sein offener Brief an König Leopold sorgte 1890 dafür, dass dessen Gräueltaten in Kongo öffentlich wurden.
SPIEGEL ONLINE: Sehr clever, Tarzan eine historisch verbürgte, afroamerikanische Figur als Sidekick zu geben. Aber löst es das Problem, dass der Fokus am Ende doch immer auf der weißen Heldenfigur liegt?
Skarsgard: Tarzan ist auch bei uns ein Weißer, das schreibt seine Story nun einmal vor. Aber es war uns sehr wichtig, dass er eben nicht der weiße Erlöser ist, der die armen Schwarzen rettet. Sie sind nicht die hilflosen und schwachen, vom bösen belgischen König Versklavten. Man sollte fühlen und sehen können, dass sie sich durchaus selbst zur Wehr setzen können und das auch tun. Darauf und auf ihre Stammesunterschiede und Individualitäten haben Regisseur David Yates sowie die Set- und Kostümdesigner viel Sorgfalt verwandt. Tarzan ist nur, zusammen mit Williams und Jane, Teil ihres Befreiungskampfes, nicht ihr Heiland.
SPIEGEL ONLINE: Das politische Bewusstsein ist nicht die einzige Besonderheit Ihres Tarzan-Films, er spielt auch lustvoll mit Geschlechterklischees: Jane darf fast die ganze Zeit über ein züchtiges Kleid tragen und hat smarte Dialogszenen, während Sie vor allem Ihren Körper zur Schau stellen müssen. Waren Sie neidisch auf Ihre Filmpartnerin Margot Robbie?
Skarsgård: Oh, manchmal hätte ich sehr gerne so ein Kleid angehabt, das können Sie mir glauben! Mich physisch in Tarzan zu verwandeln, war ein großer Spaß und eine tolle Herausforderung. Aber andererseits musste ich mich dafür einer sehr strengen Diät unterziehen. Ich durfte keinen Alkohol trinken und hatte entsprechend wenig Sozialleben am Set. Da kam es schon vor, dass ich Margot sah und dachte: Weißt du eigentlich, was für ein Glück du hast?
SPIEGEL ONLINE: Mit der Inszenierung als Lustobjekt haben Sie nach Ihrer ebenfalls sehr freizügigen und körperbetonten Rolle als Vampir Eric Northman in der Serie "True Blood" kein Problem?
Skarsgård: Nein, warum sollte ich? Solange ich an Figuren arbeite, die auch vom psychologischen Standpunkt aus etwas zu bieten haben, denke ich über so etwas gar nicht groß nach. Ich glaube, man sollte sich möglichst von Eitelkeiten fernhalten. Wenn du aktiv versuchst, sexy zu sein, oder dir zu viele Gedanken darüber machst, ob deine Fans dich in deinem neuen Film heiß finden, wirkst du nicht mehr echt. Ich versuche immer, dem im Drehbuch beschriebenen Charakter treu zu bleiben. Sobald ich mich frage, ob er nicht mit einer anderen Frisur oder anderen Klamotten besser aussähe, habe ich verloren.
SPIEGEL ONLINE: Dank Ihrer Physis wurden Sie schon öfter als potenzieller Superheldendarsteller ins Gespräch gebracht. Haben Sie sich mit Tarzan jetzt absichtlich den prototypischen Superhelden geschnappt?
Skarsgård: Tatsächlich war es genau das, was mich schon als Kind für Tarzan begeistert hat, als mein Vater mir die alten Weissmüller-Filme gezeigt hat. Das Tolle an Tarzan war, dass er ein normaler Junge ist, der im Dschungel aufgewachsen ist. Es gibt keine Mutationen, er kommt nicht aus dem Weltall oder trägt ein Cape. Tarzan benutzt einfach seinen Kopf und seine Fäuste und muss sich seine Primaten-Instinkte aktivieren, um zu überleben. Für mich liegt genau darin Tarzans Superkraft.
SPIEGEL ONLINE: Wenn Sie sich noch einen anderen Superhelden aussuchen könnten, wen würden Sie gerne spielen?
Skarsgård: Einen Jedi-Ritter! Als Kind der Achtziger fand ich Comic-Superhelden immer cool und okay, aber "Star Wars" war das Größte für mich.
SPIEGEL ONLINE: Gab es denn vielleicht sogar schon eine Anfrage vom neuen "Star Wars"-Team um Regisseur J.J. Abrams?
Skarsgård: Hahaha, das würde ich Ihnen natürlich sofort verraten! Aber nein, gab es noch nicht. Leider.
Quelle : spiegel.de
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