Lasst Brasiliens Fans doch pfeifen!

  17 Auqust 2016    Gelesen: 539
Lasst Brasiliens Fans doch pfeifen!
Die Olympischen Spiele von Rio haben ihren eigenen, wilden Klang. Die Brasilianer feuern ihre Athleten an - und pfeifen den Gegner bei Sportarten aus, bei denen das nicht üblich ist. Das gefällt nicht jedem.
Es wird viel gemeckert über die brasilianischen Fans, die ihre Athleten begeistert anfeuern - und die Gegner auspfeifen und ausbuhen. Beim Beachvolleyball und beim Handball sowieso, aber auch bei Sportarten, bei denen es normalerweise schweigsam zugeht, beim Tennis, beim Schießen oder beim Turnen. Mit derlei Feinseligkeiten würden die Brasilianer viel Respekt verspielen, das ist der Tenor des Gemeckers.

Das ständige Ausbuhen und Schlechtmachen anderer Sportler sei unfair und respektlos, klagt Julias Brink, der Beachvolleyball-Olympiasieger von 2012. Der französische Stabhochspringer Renaud Lavillenie fühlt sich gar an die Nazi-Spiele von 1936 in Berlin erinnert - wegen der Schmähungen, die er im Stadion über sich ergehen lassen muss. Bei einigen Veranstaltungen werden die Zuschauer per Lautsprecherdurchsage aufgefordert, das Pfeifen und Buhen zu unterlassen. Und natürlich ist es gewöhnungsbedürftig, dass es bei diesen Spielen bei vielen Disziplinen lauter zugeht als sonst.

Doch es ist falsch, dem Publikum in Rio vorzuschreiben, wie es die Spiele zu konsumieren hat. Es ist falsch, den Brasilianern vorzuschreiben, wie sie ihre Sportbegeisterung ausleben sollen.

Feindseligkeit nicht mehr als Folklore

Diese Begeisterung äußert sich dadurch, dass die Brasilianer grundsätzlich parteiisch sind. Wenn brasilianische Athleten in der Manege stehen sowieso. Wenn kein Brasilianer im Rennen ist, suchen sie sich einfach andere Lieblingssportler, die sie anfeuern, andere Feindbilder, die sie niedermachen. Sie kennen diese Herangehensweise vom Fußball, ihrem Volkssport, und sie übertragen sie auf die vielen Sportarten, die in diesen Tagen in Rio de Janeiro gastieren. Die Brasilianer sind keine Zuschauer, die stillschweigend die dargebotenen Leistungen bestaunen. Sie sind Fans, die teilhaben wollen. Das ist gut so. Denn so machen sie die Spiele von Rio zu ihren Spielen.

Jede Ausgabe der Olympischen Spiele hat ihren speziellen Charakter, ihre besonderen Kennzeichen. In London vor vier Jahren war alles perfekt organisiert, das wohlerzogene britische Publikum spendete auch Verlierern Applaus. Die Spiele in Rio sind wild, begleitet von chaotischen Verkehrsverhältnissen und einer teilweise rührend dilettantischen Organisation. Die anarchische Stimmung bei den Wettkämpfen passt zu diesen Spielen. Sie passt zu den ersten Spielen überhaupt in Südamerika. Wer sterile Spiele in einer sterilen Atmosphäre will, darf sie nicht nach Brasilien vergeben.

Es ist beinahe schon zynisch, den Brasilianern Vorschriften zu machen, wie sie sich bei den Spielen in ihrem Land zu verhalten haben. Zuerst wurde gemäkelt, dass in Rio keine Olympiastimmung aufkomme. Dabei war das gut nachvollziehbar angesichts der Krise auf allen Ebenen, in der sich das Land befindet. Jetzt werden die Brasilianer doch noch warm mit den Spielen, begleiten die Wettkämpfe mit tosender Stimmung - und dann ist es auch wieder nicht recht? Nein, so läuft das nicht. Die Brasilianer müssen sich keine Bevormundung gefallen lassen.

Zumal die Feindseligkeit nicht mehr als Folklore ist. Sie bleibt akustischer Natur bei diesen Spielen. Neulich spielten Brasiliens Basketballer gegen Argentinien, die Partie der Erzrivalen war von der Angst vor Ausschreitungen begleitet gewesen. Die Stimmung in der Halle war hitzig, die Brasilianer buhten und pfiffen wie gewohnt, wenn die Argentinier den Ball hatten, doch es blieb friedlich. Nach dem Spiel verließen die Fans Seite an Seite die Halle.

So lange das so bleibt und so lange die Schmähungen der Brasilianer nicht homophob, sexistisch oder rassistisch sind, gibt es nichts einzuwenden gegen den wilden Klang dieser Spiele.

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