Lkw-Unfälle: Todesfalle Stauende

  18 Auqust 2016    Gelesen: 514
Lkw-Unfälle: Todesfalle Stauende
Die Meldungen über tödliche Auffahrunfälle von Lastwagen haben sich in den vergangenen Monaten gehäuft. Hat die Gefahr solcher Unglücke tatsächlich zugenommen? Die Fakten.
Ende Juli wird in der Schweiz eine vierköpfige Familie bei einem Unfall auf einer Autobahnzufahrt zum Gotthard-Tunnel getötet. Ein Lastwagen war an einem Stauende auf ihren Wagen geprallt und hatte ihn gegen einen davor stehenden Lkw drückt.

Wenige Tage zuvor starben bei einem Auffahrunfall auf der A1 bei Hamburg vier Insassen eines Pkw. Ein Lastwagen war am Ende eines Staus in das Auto gerast und hatte es gegen einen anderen Lkw geschoben. Der Wagen wurde komplett zusammengestaucht.

Im gleichen Zeitraum kommt auf der A7 in Hessen eine Familie aus Niedersachsen ums Leben. Die Eltern und ihre Tochter hielten mit ihrem Wohnmobil am Ende eines Staus bei Kassel, als ein Lastwagen von hinten in ihr Fahrzeug krachte.

Lesen Sie hier, welche Ursachen diese Unfälle haben und warum sie oft verhindert werden könnten:

Was sagt die Statistik?

Tatsächlich ist die Zahl der Unfälle, die Fahrer mit Lastwagen ab 3,5 Tonnen verursacht haben, rückläufig. Sie sank laut Statistischem Bundesamt zwischen 1995 und 2014 von rund 13.000 auf rund 8000 im Jahr. Und das trotz stetig wachsenden Verkehrsaufkommens auf den Autobahnen.

Insgesamt ist die Zahl der Verkehrstoten in Deutschland seit dem Jahr 1970 um fast 84 Prozent gesunken. Nach einem historischen Tiefstand im Jahr 2013 (3339 Unfalltote) sind die Zahlen in den vergangenen zwei Jahren jedoch jeweils wieder leicht gestiegen, zuletzt auf 3475 Verkehrsopfer im vergangenen Jahr.

Was die Zahl der von Lastwagenfahrern verursachten Unfälle mit Toten und Verletzten angeht, hat sich die Tendenz ebenfalls verschlechtert: 19.260 davon zählte das Statistische Bundesamt im vergangenen Jahr auf deutschen Straßen - ein Anstieg von 1,4 Prozent. 82 Menschen kamen demnach bei Unfällen mit Sattelschleppern und kleineren Lastwagen über 3,5 Tonnen Gewicht ums Leben.

Worin liegen die Ursachen für die Auffahrunfälle von Lkw an einem Stauende?

Bei den drei anfangs geschilderten Fällen sind die Ursachen nach derzeitigem Ermittlungsstand noch unklar.

Ein wesentlicher Grund für Lkw-Unfälle sind nach Meinung von Experten jedoch die Arbeitsbedingungen im Fernverkehr. "Das ist ein klassisches Schichtdienstproblem", sagt Verkehrspsychologe Christian Müller vom TÜV-Nord. "Der Tag-Nacht-Rhythmus ist bei Fernfahrern völlig durcheinander." Hinzu komme, dass die Fahrer selbst in den Ruhephasen auf den Rastplätzen nur selten ungestört schlafen könnten. "Das führt natürlich zur Tagesschläfrigkeit", sagt Müller.

Die Sicherheit im Straßenverkehr und die der eigenen Mitarbeiter ist für die Speditionen aber auch eine Kostenfrage. "Der Druck ist immens und wird immer wieder an die Fahrer weitergegeben", sagt Müller. Die Fahrzeiten seien deshalb oft am gesetzlichen Limit oder gingen sogar darüber hinaus. "Entweder sie lassen es darauf ankommen, erwischt zu werden, oder sie manipulieren die elektronische Erfassung ihrer Fahrzeit."

Wie häufig kommen solche Verstöße vor?

Laut Bundesamt für Güterverkehr wurden im vergangenen Jahr auf deutschen Straßen mehr als 500.000 Fahrzeuge kontrolliert. Bei jedem Dritten stellten die Beamten Verstöße gegen das Fahrpersonalrecht fest, unter das auch die Lenk- und Ruhezeiten fallen.

Laut Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer und Vizepräsident der Deutschen Verkehrswacht, kommt es vor allem bei Lkw-Einzelunternehmern zu Manipulationen der Fahrzeiterfassung. "Sie stehen wirtschaftlich oft unter größerem Druck als Fahrer großer Speditionen", sagt Brockmann.

Ein Problem sieht er auch in der Berechnung der Fahrtzeit, an der sich die Ruhezeit bemisst. Laut Gesetz müssen Lkw-Lenker spätestens nach 4,5 Stunden Fahrt eine Pause von 45 Minuten einlegen, nach neun Stunden muss Feierabend sein (zweimal in der Woche sind zehn Stunden erlaubt). "Wenn die Fahrer jedoch die Lkw selbst be- und entladen, zählt das oft nicht zur Fahrzeit", so Brockmann. Folglich könnten sie sich auch nicht entspannen und seien bei der Weiterfahrt nicht ausgeruht.

Gibt es einen wirksamen Schutz, der die Unfälle verhindern könnte?

Die effektivste Sicherheitstechnik - das automatische Notbremssystem - ist längst auf dem Markt und mittlerweile auch Pflicht: Das System warnt den Fahrer, wenn sein Lastwagen zu dicht auf ein davor fahrendes Fahrzeug auffährt. Reagiert er nicht, bremst es selbstständig ab. Seit 2015 muss die Vorrichtung in allen neu zugelassenen Sattelzügen ab einem Gewicht von acht Tonnen verbaut sein.

Das Problem: "Es werden noch Jahre vergehen, bis das mal flächendeckend eingebaut ist", sagt Andreas Hölzel vom Automobilklub ADAC. Denn alte Lastwagen müssen nicht mit den neuen Systemen nachgerüstet werden.

Hölzel kritisiert außerdem zwei Schwachpunkte der Technologie. Zum einen lassen die Assistenzsysteme sich durch einen einfachen Griff ausschalten - und niemand zweifle daran, dass das auch immer wieder geschieht. "Sonst könnten die Lkw gar nicht so dicht hintereinanderfahren", sagt der ADAC-Mann.

Ein weiteres Problem ist aus Hölzels Sicht, dass selbst im Falle eines eigenständigen Bremsmanövers das Auffahren auf ein Stauende nicht zwangläufig verhindert wird. Bislang gilt gesetzlich verpflichtend für die Notbremsassistenten nur, dass sie auf sich bewegende Hindernisse reagieren und die Geschwindigkeit des Fahrzeugs gegebenenfalls um lediglich zehn Kilometer pro Stunde reduzieren. "Besser wären 40 km/h", so Hölzel.

Notbremsassistenten, die auch auf stehende Hindernisse reagieren und das Fahrzeug vollständig zum Stillstand bringen, sind zwar bei verschiedenen Herstellern schon erhältlich, werden hingegen erst 2018 Pflicht.

Was können Autofahrer tun?

Am Stauende aus Angst hektisch von der rechten Spur nach links zu wechseln, sei keine gute Idee, meint Diana Sprung vom ADAC. "Das kann schnell zu gefährlichen Manövern führen." Um die Gefahr eines Auffahrunfalls zu reduzieren, sollten Autofahrer den nachfolgenden Verkehr so früh wie möglich mit der Blinkanlage warnen. "Lieber einmal zu früh als zu spät", sagt Sprung.

Wer sich einem Stauende nähert, sollte immer genug Platz zum Vordermann lassen. "Dann kann man im Notfall noch reagieren und auf den Standstreifen ausweichen, falls das nachfolgende Fahrzeug nicht bremst", sagt Sprung. Deshalb sollten Autofahrer auch im Stau das Geschehen im Rückspiegel im Blick behalten.

Quelle : spiegel.de

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