Mittwoch hatte die Südafrikanerin ihren ersten Auftritt bei den Olympischen Spielen in Brasilien.Semenya hat sich problemlos für die nächste Runde qualifiziert. Und sie wird einmal mehr eine heftige Debatte über intersexuelle Athleten im Sport entfachen.
Intersexualität bedeutet: Eine Person kann aus medizinischer Sicht nicht eindeutig dem weiblichen oder dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden. Im Fall von Semenya wird vermutet, dass sie eine Vagina, aber keinen Uterus hat. Dafür aber Hoden, die im Bauchraum liegen.
Ihr Körper produziert dadurch auf natürliche Weise große Mengen des männlichen Hormons Testosteron. Wer die 25-Jährige anschaut, sieht sofort, was die Folgen sind: Sie ist knapp 1,80 Meter groß, hat breite Schultern, muskulöse Oberarme, markante Gesichtszüge, und manchmal zeichnet sich sogar ein leichter Bart über der Oberlippe ab.
"Es gibt Zweifel, dass diese Lady eine Frau ist"
Wenn sie dann noch beginnt zu sprechen und eine tiefe Stimme zum Vorschein kommt, fällt es schwer zu glauben, sie sei eine Frau. So ging es auch dem Publikum, der Konkurrenz und den Offiziellen im Berliner Olympiastadion 2009. Damals schlug Semenya bei der WM wie eine Rakete in der Leichtathletik-Welt ein. Mit einer Zeit von 1:55,45 Minuten holte sie sich Gold. Doch auf der anschließenden Pressekonferenz durfte sie schon nicht mehr erscheinen.
Stattdessen erschien der ehemalige IAAF-Generalsekretär Pierre Weiss und posaunte in die Welt hinaus: "Es gibt Zweifel, dass diese Lady eine Frau ist." Für Semenya begann von da an ein Spießroutenlauf durch die Medien und die sportpolitischen Wirren des Weltverbandes. Zunächst folgte ein von der IAAF verordneter Geschlechtstest.
Semenya durfte fortan an keinen Wettbewerben mehr teilnehmen. Elf lange Monate war sie aus dem Verkehr gezogen. Eine klare Linie fand die IAAF dennoch nicht, die Ergebnisse ihrer Tests wurden nie veröffentlicht.
"Ohne meine Familie hätte ich diese Zeit nicht durchgestanden. Ich war Weltmeisterin, aber ich konnte das nie feiern", sagte sie. Ihr Fall zeigt, wie überfordert die Sportverbände mit dem Thema Intersexualität sind. Die Regeln des Sports haben bislang einfach keine Antworten auf diese Frage parat. Die IAAF schuf daher in großer Eile eine neue Regel: Wer als Frau zu viel Testosteron produziert, darf nicht starten oder muss sich einer Therapie unterziehen.
Sportgerichtshof widersprach IAAF
Semenya nahm fortan Mittel zur Reduzierung des Testosteronspiegels, und ihre Leistungen ließen tatsächlich nach. Silber bei den Weltmeisterschaften 2011 und bei den Olympischen Spielen 2012 holte sie dennoch. Aber die Zeiten pendelten sich bis 2015 um die zwei Minuten ein. Der Beweis für ihre Kritiker. Andere machten jedoch Semenyas Lebenswandel dafür verantwortlich. In Südafrika ist sie ein Popstar. Wilde Partynächte mit ihrer Ehefrau Violet Raseboya in der Hauptstadt Pretoria wurden zur Regelmäßigkeit.
Zwei entscheidende Veränderungen sorgten dafür, dass sie im Jahr 2016 wieder all ihren Gegnerinnen davonläuft: Zum einen wechselte sie zu Trainer Jean Vester und zog ins kleine Nest Potchefstroom, nahe Johannesburg, wo sie sich wieder mit vollem Fokus ihrem Training widmen konnte.
Außerdem zog die indische Sprinterin Dutee Chand, bei der Testosteronwerte, wie sie sonst nur Männer haben, festgestellt wurden, im Juli 2015 vor den Internationalen Sportgerichtshof Cas und klagte gegen den Zwang von Hormontherapien.
Der Sportgerichtshof gab ihr recht und setzte die Regelung der IAAF zur Intersexualität aus. Sollten bis Sommer 2017 keine neuen wissenschaftlichen Beweise "für einen Zusammenhang zwischen erhöhten Testosteronwerten und einer gesteigerten Leistungsfähigkeit bei Sportlern" vorliegen, wird die Regelung sogar komplett aufgehoben.
Wessen Gleichbehandlung zählt mehr?
In diesem Jahr dominiert Semenya die Mitteldistanz wie nie zuvor. Drei der vier besten Zeiten des Jahres rannte die 25-Jährige. Ihre Bestzeit, 1:55,33 Minuten gelaufen in Monaco, ist fast eine Sekunde schneller als die ihrer Konkurrentin Francine Niyonsaba aus Burundi. Und es gibt Zweifel, ob nicht noch weitere Läuferinnen intersexuelle Athleten sind, ohne dies bekannt zu machen.
Ende Juli veröffentlichte der "Guardian" einen Artikel zu diesem Thema. Darin deuteten gleich mehrere Experten an, dass es im olympischen 800-Meter-Finale von Rio ein Podium geben werde, das nur von intersexuellen Athletinnen besetzt wird. Nach der respektlosen Bekanntmachung im Falle Semenyas 2009 in Berlin seien jedoch alle Beteiligten darum bemüht, in der Öffentlichkeit sensibel mit dem Thema umzugehen.
Stellt sich die Frage, wem nun mehr Unrecht widerfährt. Einer Athletin, der nicht eindeutig nachgewiesen werden kann, dass sie durch ihre natürlichen Voraussetzungen wirklich bevorzugt ist? Oder den Athletinnen, die gegen jemanden antreten müssen, der möglicherweise von hormonellen Vorteilen profitiert?
Semenyas Ziel: Der Weltrekord
IAAF-Präsident Sebastian Coe kündigte bereits an, die Aussetzung der umstrittenen Testosteronregel vor dem Cas anfechten zu wollen. "Wir schauen uns das Thema noch einmal an und werden irgendwann im nächsten Jahr mit dem Cas darüber sprechen", sagte Coe.
Je verrückter die Zeiten im 800-Meter-Finale, desto besser sieht die IAAF ihre Chancen, die Regel wieder einzuführen. Aus Semenyas Umfeld jedenfalls ist zu hören, dass sie in Rio voll durchlaufen will. Gold und ein neuer Weltrekord seien ihr Ziel. Egal, wie die Reaktionen der Öffentlichkeit ausfallen.
Dann würde auch der 33 Jahre alte Rekord von Jarmila Kratochvilova letztlich fallen. In Läuferkreisen hatte die Tschechin, ob ihres männlichen Aussehens, Zeit ihrer Karriere den Spitznamen "Kratochvilov" – ohne das weibliche "a". Einige Dinge scheinen sich in der Leichtathletik wohl doch nie zu ändern.
Quelle : welt.de
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