Rossana Orlandi “Mein Konzept zu Hause ist es, kein Konzept zu haben“

  24 Oktober 2015    Gelesen: 839
Rossana Orlandi  “Mein Konzept zu Hause ist es, kein Konzept zu haben“
40 Jahre lang entwarf sie Mode, dann eröffnete sie einen Laden für Lieblingsmöbel. Mit uns sprach Rossana Orlandi ein offenes Wort: Unter anderem über unbequeme Stühle und hochnäsige Designer Ein Interview von Anna Kemper und Inga Krieger
Oft ist es ja so, dass man bei Design an Räume denkt, die man zwar gern anschaut, in denen man sich aber nur ungern aufhält – kühl und elegant ist eben auch ungemütlich. Im Hof von Rossana Orlandis Designgalerie in Mailand, wo wir uns mit ihr inmitten von Blumen und bunt zusammengewürfelten Möbeln zum Gespräch treffen, möchte man am liebsten stundenlang beim Kaffee sitzen und plaudern. 2002 hat Orlandi, die eigentlich aus der Modebranche kommt, eine alte Krawattenfabrik in ihren "Spazio Rossana Orlandi" umgewandelt. Inzwischen gilt die zarte 72-Jährige mit der großen Brille als Grande Dame des Mailänder Designs: Sie hat ein Gespür dafür, junge Talente zu entdecken, denen sie in ihrer Galerie eine wichtige Plattform gibt, indem sie deren Werke neben denen von arrivierten Designern ausstellt und verkauft. In ihrem Laden gibt es alles von Kochbüchern bis hin zur Chaiselongue für 30.000 Euro. Es geht familiär zu bei ihr, ihre Tochter kommt vorbei ("ciao amore!"), eine Freundin ("Eine fantastische Frau! Total verrückt. Sie hatte vier Ehemänner!") und der Hund ihrer Enkelkinder. ("Stronzo! Der hässlichste Hund, den ich kenne.") Stolz präsentiert Orlandi das erste Paar Turnschuhe ihres Lebens, sie besitzt es erst seit Kurzem: schwarz mit weißen Tupfen. In ihnen fühle sie sich "wie Mary Poppins".

ZEITmagazin: Frau Orlandi, Sie haben mal gesagt, dass Sie sich als Kind unglaublich gelangweilt hätten. Woran lag das?

Rossana Orlandi: Ich ging auf eine Nonnenschule, die ich nicht mochte. Die Nonnen brachten uns zum Beispiel bei, nicht mit Jungs zu reden: Das sei verboten. Auch meine Eltern waren sehr streng. Wenn wir abends gemeinsam am Esstisch saßen, durfte ich nichts sagen, das gehörte sich damals nicht. Meine drei Geschwister waren viel älter als ich, sie durften mehr, mit mir als Jüngster waren meine Eltern besonders streng. Die Samstage habe ich gehasst: Ich musste nach Mailand zur Klavierstunde fahren, zu einem sehr langweiligen Lehrer. Die Fahrt dahin, der Unterricht und die Fahrt zurück kamen mir vor wie eine Ewigkeit. Und das war mein freier Tag.

ZEITmagazin: Viel Freiheit hatten Sie damals also nicht.

Orlandi: Nein. Das war damals einfach so. Aber im Geiste war ich immer frei. Mein Glück war, dass ich in einem kleinen Dorf aufgewachsen bin, umgeben von Natur. An den Nachmittagen waren meine Eltern nicht zu Hause, meine Familie besaß eine große Textilgarnfabrik, in der sie beide arbeiteten. Und wenn das Wetter schön war, war ich draußen. In der Natur aufzuwachsen war einfach fantastisch.

ZEITmagazin: Und wenn es regnete?

Orlandi: Dann musste ich zu Hause bleiben. Wenn man sich langweilt, denkt man viel nach. Man wird gezwungen, etwas aus seiner Situation zu machen. Diese Notwendigkeit macht einen kreativer und stärker. Ich habe damals wie eine Verrückte gelesen und viel gemalt. Ich war zwar nicht gut darin, aber es hat mir Spaß gemacht. Ich hatte in meinem Elternhaus auch kein normales Kinderzimmer, sondern mein eigenes kleines Reich auf dem Dachboden. Da waren alle meine Sachen, alles, was ich mochte: Bücher, Zeichnungen, Stifte. Es war sehr bunt, ich habe Farben schon immer geliebt, sie sind sehr wichtig für mich. Meine Eltern haben mein Refugium akzeptiert, solange ich es aufräumte und sauber hielt.

ZEITmagazin: Ihre Galerie sieht so aus, als hätten Sie hier Ihr kleines Reich von früher aufleben lassen: bunt und persönlich. Bevor Sie die Galerie 2002 eröffneten, waren Sie 40 Jahre lang in der Modebranche tätig. Sie führten Ihr eigenes Stricklabel. Wieso haben Sie der Mode damals den Rücken gekehrt?

Orlandi: Die Gründerin von Chloé, Madame Aghion, hat mir einen wichtigen Satz fürs Leben mitgegeben: Gehe immer dann, wenn es am schönsten ist. Deshalb habe ich 2002 die Modewelt verlassen und meine Designgalerie aufgemacht: Ich war sehr gut, aber ich hatte genug.

ZEITmagazin: Die Modewelt gefiel Ihnen nicht mehr?

Orlandi: Ich hasse Mode. Letzte Woche bin ich hier in Mailand an den Schaufenstern der großen Modemarken vorbeigelaufen, und ich habe nicht ein Teil gesehen, das ich haben wollte. Wenn ich mich kleide, möchte ich das Kleid tragen – ich möchte nicht, dass das Kleid mich trägt. Nur für Schuhe kann ich mich noch begeistern: Ich finde sie atemberaubend, sie sind wie Skulpturen. Darin laufen zu können ist natürlich eine ganz andere Geschichte. Wenn man ihre Trägerinnen fragt, beteuern sie immer, wie bequem sie sind – und dann: Bumm, liegen sie am Boden. Ich habe schon die eine oder andere aufgeklaubt.

ZEITmagazin: Sie haben einmal gesagt, Möbeldesigner seien netter als Modedesigner.

Orlandi: Als ich anfing zu arbeiten, waren Modedesigner noch reizende Menschen. Zum Beispiel Karl Lagerfeld, für den ich Strickmode machte, als er für Chloé arbeitete: Er ging ganz bezaubernd mit seinen Mitarbeitern um, war voller Charme, jeder Einzelne, der um ihn herum war, war wichtig, bis hin zu der Frau, die ihm die Stecknadeln anreichte. Ich hatte viele internationale Designer als Freunde, man musste damals nicht erst ihre Sekretärin anrufen, um einen Termin zu vereinbaren. Später haben sich die Modedesigner komplett verändert. Sie fühlten sich als göttliche Wesen. Die Menschen um sie herum waren plötzlich kompliziert und aufgesetzt. Ins Gesicht sagen sie dir, "Darling, du siehst fantastisch aus!", und in der nächsten Sekunde lästern sie über dich. Mich nervte die ganze Attitüde um die Mode herum. Als ich anfing, mich mit Design zu beschäftigen, fühlte ich mich an meine ersten Jahre in der Mode erinnert. Die Designer haben sich eine einfache Herangehensweise bewahrt, sie setzen in der Öffentlichkeit keine Maske auf. Und ich finde, es gibt einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Mode und Design: Mode zieht man an, um nach etwas auszusehen. Design ist intimer. Es geht nicht in erster Linie darum, mit seinen Möbeln ein bestimmtes Bild zu vermitteln und anzugeben. Wohnen ist privat.

ZEITmagazin: Was hat für Sie mehr Wert: gutes Design für die Massen oder ein ganz besonderes Einzelstück?

Orlandi: Mir ist beides wichtig. Ich bewundere Ikea. Dort konnte man Design von Hella Jongerius kaufen, und zwar für nur 25 Euro! Zur selben Zeit verkaufte ich tolle Stücke von ihr für Tausende Euro. Es ist wichtig, dass Designer ihre Kreativität für einfache, bezahlbare Stücke nutzen. Demokratische Stücke. Ich verkaufe oben im Studio einen Stuhl, den Verner Panton in den neunziger Jahren für Ikea entworfen hat, der Ikea-Aufkleber ist noch drauf. Ikea war eine Revolution! Aber ich liebe eben auch die großen, besonderen Stücke. Manche Kunden, die zu mir kommen, haben lange gespart und sind froh, sich etwas leisten zu können, was sie lieben.

ZEITmagazin: Aber ist es nicht unmoralisch, sich ein Sofa für 30.000 Euro zu kaufen?

Orlandi: Nein, Ich finde es unmoralisch, 50.000 Euro für eine Handtasche auszugeben.

ZEITmagazin: Den meisten Menschen fehlt für beides das Verständnis. Verkommt Design so nicht zum Statussymbol?

Orlandi: Ein Sofa benutzen Sie jeden Tag, und wenn Sie es mögen, ein ganzes Leben lang. Man ahnt oft nicht, wie viel Arbeit in so einem Möbel steckt, wie viel Zeit und Geld es kostet, es herzustellen. In der Mode sind die Gewinnmargen viel, viel höher als im Design.

ZEITmagazin: Warum sind wir bereit, Geld für die Schönheit von Dingen auszugeben statt einfach nur für ihre Funktion?

Orlandi: Erst mal, das ist mir wichtig: Ich glaube keineswegs daran, dass es eine universelle Schönheit gibt. Was der eine schön findet, findet der andere hässlich. Aber es ist uns allen ein Vergnügen, schöne Dinge anzusehen. Wenn ich etwas sehe, was mir gefällt, freue ich mich. Ich fühle mich besser. Für mich ist das Haus der wichtigste Ort überhaupt, der Ort, an dem ich Zeit verbringe. Wenn ich nach Hause komme, liebe ich es, von meinen Dingen umgeben zu sein, Dinge, die ich schön finde und liebe, die ich ein Leben lang gesammelt habe. Die Objekte erzählen eine Geschichte, die über ihre Funktion hinausgeht.

ZEITmagazin: Denken Sie nie: Es ist nur Design, man sollte es nicht zu ernst nehmen?

Orlandi: Nein, Design muss man ernst nehmen. Aber es muss nicht ernst sein. Warum soll es einen nicht zum Lachen bringen? Ohne Humor ist das Leben doch traurig! Diese große, weiße Gorillafigur dort drüben zum Beispiel, die bringt mich jedes Mal zum Lachen, wenn ich sie ansehe. Ich habe auch eine Art Skulptur, die sehr witzig ist: eine schrecklich aussehende Hand mit großen Fingern. Man kann sie anstellen, und dann tippt sie nervös auf den Tisch. Herrlich!

ZEITmagazin: Was ist für Sie gutes Design?

Orlandi: Es muss eine Idee dahinterstecken. Man sollte das Talent des Designers erkennen können. Und dann sind, je nach Produkt, unterschiedliche praktische Eigenschaften wichtig: Ein Stuhl zum Beispiel muss bequem sein. Wenn er nicht bequem ist, ist er entweder Kunst, oder du kannst ihn vergessen. Kennen Sie den Stuhl Superleggera von Gio Ponti? Der hat so eine Querstrebe in der Lehne, die in den Rücken schneidet. Mein Gott, das ist sicher der unbequemste Stuhl, auf dem ich je gesessen habe! Ein Stuhl für sehr höfliche Menschen, die immer kerzengerade auf der Vorderkante der Sitzfläche sitzen.

ZEITmagazin: Bei welchem Designer sehen Sie derzeit all Ihre Kriterien verwirklicht?

Orlandi: Bei dem Niederländer Piet Hein Eek. Seine Dinge kann man zwanzig, dreißig Jahre lang im Haus stehen haben, sie verlieren nichts von ihrer Besonderheit. Sie haben wundervolle Formen, die Proportionen sind perfekt, sie sind zeitlos. Funktional sind seine Sachen auch. Und er benutzt alte Materialien, denen er dann einen neuen Kontext gibt, ich würde es upcycling nennen. Der Tisch dort drüben zum Beispiel ist von ihm, der Unterbau ist aus Rohren aus einer alten Philips-Fabrik gemacht.

ZEITmagazin: Viele der Designer, mit denen Sie arbeiten, loben die familiäre Beziehung, die Sie zu ihnen pflegen.

Orlandi: Ja, Piet zum Beispiel nennt mich Mami, zum Glück nicht Großmami, das finde ich sehr nett von ihm. Mein Team und ich arbeiten eng mit den Designern zusammen. Wenn ich etwas kaufe, besuche ich sie in ihrem Studio, will ihre Geschichte hören und sehen, wie sie arbeiten. Ich glaube, dass man ein Gefühl für Design haben muss. Ich verkaufe nichts, was ich nicht liebe. Man kann Design als Business sehen, aber das wäre nicht meins.

ZEITmagazin: Sie gelten als Mentorin für viele junge Designer. Was raten Sie ihnen?

Orlandi: Ich sage ihnen: Mach bloß keine Stühle! Ich habe irgendwo mal gelesen, dass es auf der Welt viel mehr Stühle gibt als Menschen. Und womit beginnen junge Designer? Mit Stühlen! Ich sage ihnen, mach einen runden Tisch, die meisten Tische sind nämlich rechteckig oder quadratisch. Mach einen Nachttisch, mach Möbel für draußen oder, noch besser, welche, die man drinnen und draußen benutzen kann. Ich finde auch, viele junge Designer sind am Anfang schon zu stolz. Sie fühlen sich, als wären sie schon etwas. Das ist ein Fehler. Wenn ich einen jungen Designer frage, was kostet das, sagen sie oft verrückte Preise. Ich finde, man muss am Anfang lernen wollen und bescheiden sein. Dann wirst du Erfolg haben im Leben.

ZEITmagazin: Statistisch gesehen, kaufen Frauen 80 Prozent der Einrichtung eines Hauses oder einer Wohnung. Wie ist das bei Ihren Kunden?

Orlandi: Das kommt auf das Produkt an. Wenn es sehr teuer ist, entscheidet der Mann immer mit. Ich würde sogar sagen, die letzte Entscheidung trifft häufiger der Mann.

ZEITmagazin: Warum ist das so? Weil die Männer mehr Geld verdienen?

Orlandi: Ja, und weil ihre Frauen nett zu ihnen sein wollen. Manchmal überlegen Paare aber auch so lange, dass sie sich scheiden lassen, bevor sie etwas gekauft haben. In Sardinien, wo ich mittlerweile einen Ableger meiner Galerie betreibe, hatte ich mal ein irres Erlebnis. Ein Schwede kam zu mir, schaute sich die Sachen an und sagte: "Ich liebe das und das und das. Ich bringe mal meine Frau mit, weil wir das zusammen entscheiden müssen." Dann kamen sie zu zweit wieder, und ich habe noch nie so einen heftigen Streit erlebt. Sie schrien sich an, mitten in meiner Galerie: Sie schrie NEIN! Und er DOCH! Er schrie: "Ich liebe es!" Und sie: "Ich hasse es!" Dann rannte der Mann raus, die Frau war unglaublich wütend. Am Ende haben sie gar nichts gekauft.

ZEITmagazin: Interessieren sich Frauen und Männer grundsätzlich für verschiedene Dinge, wenn sie zu Ihnen kommen?

Orlandi: Männer schauen sich gern Tische an. Und sie suchen nie das Service aus, das macht immer die Frau.

ZEITmagazin: Die Designerin Monica Förster hat kürzlich einen Bürostuhl nur für Frauen designt. Finden Sie so etwas sinnvoll?

Orlandi: Wie soll denn so ein Stuhl aussehen? Frauen sind dick, dünn, klein, groß ... Schauen Sie, wie klein ich im Vergleich zu Ihnen bin! Ich glaube nicht, dass das sinnvoll ist, sondern Marketing: Frauen sollen den Stuhl kaufen, egal, wie er aussieht, weil er eben für Frauen ist. Nein, danke!

ZEITmagazin: In Designschulen ist der Anteil von Männern und Frauen ungefähr gleich. Trotzdem ist die Designwelt immer noch männerdominiert. Warum wohl?

Orlandi: Ich sage Ihnen, was ich denke: Mir ist es vollkommen egal, ob ein Designer männlich oder weiblich ist. Ich sehe grundsätzlich absolut keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen. Und im Design interessiert mich nur das Produkt. Aber es stimmt, dass die meisten Designer Männer sind. Ich sehe viele talentierte Frauen, wenn ich Designschulen besuche. Aber als ich zum Beispiel im vergangenen Jahr an der Hochschule für Design in Eindhoven war, gab es unter den Frauen keine, die ein richtig großes Stück gemacht hatte. Ich glaube allerdings, dass sich das ändert. Viele junge Frauen kommen zurzeit nach oben. Und Firmen wie Moroso legen Wert darauf, mit Frauen zusammenzuarbeiten. Trotzdem ist es für Frauen schwieriger. Wenn man zum Beispiel wegen der Kinder pausiert, ist es unheimlich schwer zurückzukommen.

ZEITmagazin: Sie haben zwei erwachsene Kinder. Wie schwierig war es für Sie, als Ihre Kinder klein waren, Arbeit und Familie unter einen Hut zu bekommen?

Orlandi: Es war sehr hart. Mein Mann ist Arzt, er hat viel im Krankenhaus gearbeitet. Und es gab damals ja keine Mobiltelefone, keine Computer, man musste immer überall persönlich hinfahren. Wenn ich geschäftlich unterwegs war, kümmerten sich mein Mann und ein Babysitter um die Kinder. Da habe ich mit ihm schon Glück gehabt.

ZEITmagazin: Gesellschaftlich war das zu der Zeit sicher nicht so akzeptiert ...

Orlandi: Eine Mutter, die arbeitete, war schlecht angesehen. Es gab auch nur ganz wenige arbeitende Mütter. Heute sehe ich es so: Ich hasse Mütter, die ihren Job aufgeben und bei ihren Kindern bleiben, aber das eigentlich gar nicht wollen. Sie fühlen sich dann doch wie im Gefängnis. Ich finde, es ist besser, weniger Zeit mit den Kindern zu verbringen, wenn man dafür die Zeit mit ihnen wirklich genießt. Wenn die Mutter dauernd unglücklich ist, ist das auch für das Kind nicht gut. Aber meine Tochter zum Beispiel hat aufgehört zu arbeiten, sie ist jetzt ganz Mutter. Aber sie liebt es auch, mit ihren Kindern zusammen zu sein.

ZEITmagazin: Haben Sie trotzdem oft ein schlechtes Gewissen gehabt?

Orlandi: Immer. Aber wenn meine Kinder krank waren, bin ich zu Hause geblieben. Wenn sie in der Schule etwas aufgeführt haben, war ich dabei. Arbeit ist schön und gut, aber bei den wichtigen Dingen gehen die Kinder vor.

ZEITmagazin: Wie kam es eigentlich, dass Ihre strengen Eltern Sie mit 18 Jahren fortgehen ließen?

Orlandi: Mein Vater starb, und meine Mutter erlaubte es mir. Dafür bin ich ihr bis heute dankbar. Ich reiste nach England und Irland und lernte Englisch. Für eine junge italienische Frau war das damals sehr ungewöhnlich.

ZEITmagazin: Was wäre der normale Weg gewesen?

Orlandi: Zu heiraten natürlich. Frauen heirateten in Italien damals sehr früh, um ihrer Familie zu entfliehen. Aber mein Ziel war es nicht, aus dem einen Gefängnis auszubrechen, um gleich wieder in einem neuen zu landen. Nach meinem Sprachstudium ging ich zurück nach Italien und studierte Mode am Mailänder Marangoni-Institut. Nach meinem Abschluss begann ich, in der Strickwarenbranche zu arbeiten. Ich produzierte Garne, aus denen dann zum Beispiel Pullover gestrickt wurden. Mir machte es Spaß, an der Maschine zu sitzen, ich liebte die Garne und Farben. Und ich war auch gut darin. Meine Muster präsentierte ich dann den Designern. Issey Miyake kam in mein Studio, die Angestellten von Armani und Kenzo.

ZEITmagazin: Wenn Sie heute auf sich als junge Frau blicken, was sehen Sie dann?

Orlandi: Mit 18 war ich frei. Ich langweilte mich nicht mehr. Ich war unglaublich neugierig – das ist eine Eigenschaft, die ich mir bis heute bewahrt habe. Ich war begeistert, dass ich dann eine Beschäftigung fand, die mir gefiel. Ich durfte reisen, neue Städte und Länder entdecken, das war fabelhaft, aufregend und inspirierend. Ich liebte die Modewelt damals. Prêt-à-Porter kam gerade auf, es war eine neue Welt, die mich in ihren Bann zog.

ZEITmagazin: War es schwierig, sich als Frau in dieser Welt durchzusetzen?

Orlandi: Damals war die Ansicht, dass Männer stärker sind als Frauen, noch sehr verbreitet. Der Mann war der Boss. Aber wenn man beruflich miteinander zu tun hatte und klarstellte, was man kann, wurde man ernst genommen. Im Privaten war es für Frauen viel schwieriger als im Beruflichen: Als junge Frau damals in Italien allein mit dem Zug zu reisen oder im Hotel zu schlafen, das war unangenehm. Zumindest in den ersten zehn Jahren meiner Karriere. Heute habe ich oft das Gefühl, dass Männer sehr verunsichert sind, wenn eine Frau wichtiger oder stärker ist als sie. Aber sie müssen sich wohl daran gewöhnen. Männer helfen ja heute auch im Haushalt viel mehr als zu meiner Zeit. Also, mein Mann war wirklich nett, aber im Haushalt? Wenn ich da war, hat er nicht mal daran gedacht, dass er auch die Windeln wechseln könnte!

ZEITmagazin: Wie wichtig ist es für Sie eigentlich, dass Ihr Mann als Arzt in einer vollkommen anderen Branche arbeitet?

Orlandi: Sehr wichtig. Meine Eltern haben ja zusammengearbeitet, sie haben immerzu nur von Arbeit gesprochen, alles drehte sich um die Firma. Das wollte ich für meine Kinder nicht. Es ist interessanter, das Leben aus zwei Perspektiven zu sehen, mal aus der Designwelt rauszukommen, über andere Dinge zu reden. Ich nenne meinen Mann übrigens Treccani, weil er alles weiß. Das ist der Name einer italienischen Enzyklopädie. Ein fantastischer Mann.

ZEITmagazin: Ganz ehrlich: Durfte dieser fantastische Mann bei der Einrichtung Ihres Hauses mitreden?

Orlandi: Unglücklicherweise ja. Mein Mann, müssen Sie wissen, hat seinen ganz eigenen Geschmack, der völlig anders ist als meiner. Wir müssen immer einen Kompromiss finden. Er ist viel konservativer, und er denkt eher praktisch. Er will immer eine Lampe an der Wand hinter dem Sofa haben, weil er dort sitzt und liest. Aber wir haben es ganz gut hingekriegt. Ein Haus, finde ich, sollte die Geschichte eines Lebens erzählen. Wir haben zum Beispiel einen Kinderstuhl von einem Schüler von Alvar Aalto, in dem meine Kinder gesessen haben und in dem jetzt meine Enkel sitzen. Der Stuhl ist 36 Jahre alt. Mein Konzept zu Hause ist es, kein Konzept zu haben. Ich stelle einfach alles in mein Haus, was mir gefällt.

ZEITmagazin: Und welches ist Ihr Lieblingszimmer?

Orlandi: Das Badezimmer. Weil es das einzige Zimmer ist, in dem mein Mann mir das Rauchen erlaubt.

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