Hier sollte alles geboten sein, was man für einen Abenteuerurlaub braucht. Die Plattform des Marco Polo bildet mit einer Länge von 5,14 Meter die neue V-Klasse der Stuttgarter. Der Spezialist für den Ausbau von Campingfahrzeugen, Westfalia, hat für das Zubehör gesorgt. Da gibt es einen 40 Liter fassenden Kühlschrank, einen zweiflammigen Gaskocher und ein kleines Abwaschbecken mit Wasserhahn, das sich aus einem Frischwassertank mit 38 Litern Fassungsvermögen bedient. In einem zwei Liter größeren Nutzwassertank wird dann alles wieder aufgefangen. Darunter befinden sich drei Schiebefächer und ein zweietagiges Regalfach. Die schlucken - räumt man sie pfiffig ein - Geschirr, Besteck, Dosen, Gewürze, sowie Töpfe und eine kleine Pfanne. Eben alles, was es braucht, um fern ab von der Zivilisation durch die Lande zu ziehen.
Begrenzter Nutzwert der Schränke
An weitere Schrankeinbauten im Heck des Vans hat Westfalia ebenfalls gedacht. Deren Nutzwert ist allerdings beschränkt und hängt immer davon ab, ob die zweite Sitzreihe in Reise- oder Schlafstellung gebracht wird. Sind die Lehnen aufgerichtet, ist es eher schwierig die Schranktür im Heckbereich zu öffnen und ohne extreme Verrenkungen an deren Inhalt zu gelangen. Das wird zusätzlich von dem Umstand verhindert, dass sich der Kofferraum im Testwagen zweiteilt. Der untere Bereich nimmt in einem extra dafür vorgesehenen Klappfach einen Tisch und zwei Stühle auf - deren Preis von 414 Euro sich auf der Reise durchaus bezahlt machten -, während der obere Bereich einen Teil des Bettes bildet oder während der Fahrt die Ablagefläche für Taschen und Koffer ist. Im zweiten Fall lässt sich - und das ist extrem praktisch - die Heckscheibe separat öffnen, was den Zugriff auf die Utensilien dahinter ausgesprochen leicht macht. Diesen Nutzwert lässt sich Mercedes mit über 486 Euro recht teuer bezahlen.
Auch der Einbau im Heck, unter dem sich die Gasflasche mit 2,8 Kilogramm Fassungsvermögen befindet, ist nur begrenzt nutzbar, denn um den Gashahn vor der Fahrt zu schließen oder vor Gebrauch auf dem Stellplatz zu öffnen, muss das Fach jedesmal ausgeräumt werden. Das alles ist aber weniger ärgerlich als die Verriegelung der Schiebetür der Einbauküche, die bereits auf dem dritten Zeltplatz ihre Arbeit verweigert, sich nach der Reise aber wie von Geisterhand löst. Über 2000 Kilometer rutschte sie so bei jedem Anfahren der Schwerkraft folgend auf und schlug beim Bremsen wieder lautstark zu. Dankbar durfte man sein, wenn die Tür nicht bei Kurvenfahrten offen stand.
Wie man sich bettet, so liegt man
Das Ein- und Ausräumen der Sachen, die abseits der vorgesehenen Stauvorrichtungen mitgeführt werden, stellt auf der 14-tägigen Reise das größte logistische Problem dar. Spätestens wenn beide Liegeflächen - die schon erwähnte untere und die im Ausstelldach von Westfalia für zusätzlich 1750 Euro - benutzt werden, muss jeden Tag das Bettzeug hin und her geräumt werden, was auf Dauer und mit Blick auf die anderen Reiseutensilien wie Schuhe, Taschen etc. ziemlich nervt. Denn auch um Kochstelle, Kühlschrank, Waschbecken und den internen Tisch nutzen zu können, muss die Liegefläche wieder zur Sitzfläche umgewandelt werden. Das lässt sich im Test-Marco-Polo recht leicht bewerkstelligen, denn die Polster bewegen sich elektrisch in die gewünschte Position. Zudem kann die Härte der Liegefläche durch das Ein- und Auslassen von Luft nach den persönlichen Bedürfnissen variiert werden.
Letztlich kamen die Reisenden aber nicht umhin, sich eine zusätzliche Auflage zu beschaffen, die die Fläche noch etwas glättet. Mercedes bietet ein solches Teil an, das hervorragend passt, aber auch wieder Stauraum frisst. Das Greenhorn musste sich sogar nach der ersten Nacht eine zusätzliche selbstaufblasende Auflage kaufen, denn trotz Unterlage war es so hart, dass ihm sämtliche Körperteile bis in die Fingerspitzen einschliefen. Danach wurden die Schlafzeiten erholsamer. Wer die Liegefläche im Aufstelldach nutzt, ist hier besser dran. Eine Art Lattenrost und eine Schaumstoffauflage sorgen für wirklich süße Träume. Es soll aber nicht unerwähnt bleiben, dass, egal ob man sich oben oder unten auf einer Breite von 1,40 Meter bettet, die Zuneigung groß oder zumindest das gegenseitige Einvernehmen für die Aufteilung des Platzes gegeben sein muss, um halbwegs angenehm durch die Nacht zu kommen.
Nicht ohne Cupholder
Es darf auch nicht verschwiegen werden, dass eine Freiluftdusche am Heck des Marco Polo die hygienischen Gegebenheiten für die Reisenden deutlich verbessert. Allerdings wurde dieses Gimmick nicht ein einziges Mal benutzt. Warum nicht? Nun, wildes Campen ist - so weit der Autor weiß - nur in Schweden erlaubt. Dieses angestrebte Ziel wurde aber vor Ort verworfen, denn Dauerregen und Temperaturen um die 16 Grad am Tag luden trotz Standheizung im Marco Polo - mit der sich auch das Frischwasser erwärmen lässt - nicht zum längeren Verweilen ein. Also, die Fuhre gewendet und auf nach Italien. 1200 Kilometer an einem Tag. Das, was auf dieser Ochsentour am schmerzlichsten vermisst wurde, waren Cupholder. Tatsächlich gab es im Testwagen - in Ermangelung eines Mitteltunnels - keine Möglichkeit, den heißen Kaffee von der Tanke zu parken. Auch adaptive Assistenten stünden dem Reisemobil gut zu Gesicht. Zwar wartet der Van mit Spurhaltewarner, Tempomat und Bremsassistent auf, aber nichts davon entbindet den Fahrer von seinen Pflichten. Gerade auf der Langstrecke wären ein selbständig arbeitender Stau- und Spurhalteassistent oder ein Abstandstempomat Gold wert.
Letztlich war die Strecke für den Fahrer des Marco Polo aber auch so kein Problem. Befeuert von einem Zwei Liter Reihenvierzylinder Diesel, der 163 PS leistet und 380 Newtonmeter auf die Hinterräder drückt, rauschte der Reise-Schwabe absolut souverän durch die Lande. Selbst wenn die Hütte richtig voll ist und das Leergewicht von 2,4 Tonnen um gut 600 Kilogramm gesteigert wird, beschleunigt der Marco Polo in unter 14 Sekunden auf Tempo 100. Bei glatter Strecke zeigte der Tacho im Eiltempo sogar 200 km/h an, das Datenblatt weist 194 km/h aus.
Geschwindigkeiten, die aber höchst selten gefahren werden, denn als Rennmaschine ist das Reisemobil in keinster Weise geeignet. Auch dann nicht, wenn für 3550 Euro zusätzlich das AMG-Paket gebucht wird und Sportpedalerie und Paddles am Lenkrad dynamische Hochgefühle hervorrufen. Dennoch, selbst mit Bleifuß hält sich der Verbrauch in Grenzen. Wer normal unterwegs ist und die angenehm weich schaltende Siebengangautomatik für zusätzlich 2550 Euro ihre Arbeit verrichten lässt, der kommt mit 7,6 Litern Diesel über 100 Kilometer. Und das sogar, wenn man den Marco Polo bei 16 Prozent Steigung über die Alpen peitscht. Insgesamt reichen die 57 Liter Treibstoff je nach Topographie und Fahrstil für 800 bis 1000 Kilometer Wegstrecke. Ein besonderes Lob verdient das Agility-Control-Fahrwerk. Selbst die sich auf italienischen Brücken stellenweise bösartig absenkenden Querfugen schluckt es so elegant weg, dass nicht mal die Töpfe in den Schränken klappern.
Ein Hoch auf die Gemeinschaft
Überhaupt entspricht das Handling des Marco Polo dem einer Limousine. Bei einem Wendekreis von 11,8 Metern und einer Höhe von 1,99 Meter lässt sich der Van auch durch die schmalsten Gassen und in fast jede Tiefgarage europäischer Metropolen steuern. Ein entscheidendes Plus gegenüber einem großen Caravan. Nur an einer Stelle hat der Marco Polo schlappgemacht. Auf einem italienischen Zeltplatz grub sich der Reise-Van gnadenlos in den stellenweise butterweichen Sandboden ein. Hier wurde dem Schwaben der typische Heckantrieb zum Verhängnis. Ohne Sperrdifferenzial schaufelten sich die Hinterräder im Eiltempo bis zur Radnabe ein. Selbst der Versuch des Campingplatzbetreibers, den Wagen mit einem Traktor herauszuziehen, scheiterte an dem losen Untergrund. Das die Reise dennoch fortgesetzt werden konnte, ist sozusagen nur der internationalen Hilfe zu verdanken. Campingfreunde aus der Schweiz, Frankreich, Holland und Deutschland buddelten mit dem Greenhorn die Räder aus, bockten das Teil mit dem Wagenheber auf und schoben Keile und Bretter unter die Antriebsräder. Nach etwa einer Stunde rollte der Marco Polo auf einen befestigten Stellplatz. An dieser Stelle Lob und Dank an die Gemeinschaft, die es in solchen Situationen wohl nur unter Campern gibt. Auch das eine schöne und neue Erfahrung.
Nachdem der Marco Polo wieder fahrbereit ist, lohnt es sich noch einen Blick auf den Arbeitsplatz des Fahrers zu werfen. Der gleicht dem eines Pkw. Um genau zu sein, nutzt Mercedes hier die Interieur-Teile der C-Klasse, was die Atmosphäre noch einmal mehr in Richtung Limousine bringt. Letztlich unterscheidet sich die Fahrt nur durch die hohe Sitzposition. Die gibt es aber auf Polstern, die sich eben auch auf Langstrecken bewähren und den Fahrer frei von Unbill wie Rückenschmerzen halten. Hinzu kommt, dass sich die Stühle von Fahrer und Beifahrer in den Innenraum drehen lassen. Allerdings ist das auch mit etwas Übung etwas fummelig, denn der Drehvorgang wird begleitet von einem ständigen Vor und Zurück des Sitzes, damit nicht versehentlich mit den Laufschienen die Verkleidungen der Tür- oder B-Säulen zerkratzt werden.
Kratzer und Fettflecken dürften für Pedanten im Übrigen ein weiteres Problem sein. Die sind ärgerlicherweise selbst bei vorsichtigem Gebrauch auf den zugesichert kratzfesten Abdeckungen von Kühlschrank, Herd und Waschbecken nicht zu vermeiden. Auch an der Innenverkleidung des Kofferraums waren sie am Ende der Reise zu finden. Unschöne Fettflecken entstehen auf den Einbauschränken und selbst wer täglich fegt und sich beim betreten des Innenraums die Schuhe von den Füßen streift, wird nicht vermeiden können, dass sich die Laufschienen für die Sitz- und Liegefläche in der zweiten Reihe mit Schmutz füllt, der selbst mit dem Staubsauger nur extrem schwer zu entfernen ist. Der optische Luxus hat in jedem Fall seinen Preis.
Fazit: Apropos Preis: Der ist für das Abenteuermobil nicht ohne. Mit knapp 71.000 Euro ist der Test-Marco-Polo kein Schnäppchen. Für das Geld bekommt man einen gut ausgestatteten Caravan. Der hat dann auch noch Toilette und Dusche an Bord, separate Betten und unter Umständen sogar eine Fahrradgarage. Das wäre mehr Luxus, weniger Räumarbeit, aber auch weniger Bewegungsfreiheit. Eine Empfehlung als Für und Wider auszusprechen, fällt hier am Ende extrem schwer. Fakt ist, wer in Europa campen will, braucht angesichts von Zeltplätzen, die mit Pool, entsprechenden Hütten, ja sogar Bespaßungsprogramm aufwarten, kein eigenes Wohnmobil mehr. Wer aber allein oder zu zweit auch mal an einem Wochenende allem Trubel entfliehen will, der könnte sich für den Marco Polo begeistern.
DATENBLATT Mercedes Marco Polo 220d
Abmessungen (Länge/Breite/Höhe) 5,14/ 1,92/ 1,99 m
Radstand 3,20 m
Leergewicht (DIN) 2410 kg
Sitzplätze max. 6
Ladevolumen 670 Liter
Motor Vierzylinder mit 2143 ccm Hubraum
Getriebe 7-G-Tronic-Plus
Leistung 120 kW / 163 PS
Kraftstoffart Diesel
Antrieb Heckantrieb
Höchstgeschwindigkeit 194 km/h
Tankvolumen 57 Liter
max. Drehmoment 380 Nm / 1400–2400 U/min
Beschleunigung 0-100 km/h 12,3 Sekunden
Normverbrauch (außerorts/innerorts/kombiniert) 5,4 / 8,0 / 6,4
Testverbrauch 7,3 l
Effizienzklasse B / EU6
Grundpreis 57.643,00 Euro
Preis des Testwagens 71.244,00 Euro
Tags: