Zeitgleich besucht der Gegenkandidat und Sieger der aufgehobenen Stichwahl, Alexander Van der Bellen, Trachtenveranstaltungen, bei denen Grün-Politiker sonst so rar wie FPÖ-Mandatare beim Wiener Life Ball sind. Aber das Kalkül seiner Strategen ist klar: Die jungen Städter holt er sich ohnehin, nun muss er auf dem Land punkten. Emsig besucht er Almen, Kirtage, Schilcherverkostungen, lässt sich mit Bürgermeistern und ÖVP-Landeshauptleuten fotografieren. Er weiß: Potenzielle Wähler der Volkspartei entscheiden nun über den Sieg. Beide Kandidaten sind nicht deren erste Wahl. Nun geht es darum, ob bei ihnen ein wackerer Himmelsstürmer oder ein sich volksnah gebender Alm-Öhi stärker zieht. Bei essenziellen Themen scheint die Sache entschieden zu sein: Die Angst vor Flüchtlingen und sozialer Unsicherheit hilft Hofer, das Bekenntnis zu Europa und die Ablehnung eines möglichen Austritts aus der EU Van der Bellen.
Interessanterweise gibt es Regierungsmitglieder, die sich hinter vorgehaltener Hand zwar zu Van der Bellen bekennen, dies aber nicht öffentlich machen wollen. Dahinter steckt weniger die edle Absicht, eigene Wähler nicht bevormunden zu wollen, sondern Machtpolitik: Wenn die ÖVP bei der nächsten Nationalratswahl reüssieren will, braucht sie auch Stimmen der FPÖ. Und die Freiheitlichen dürfen als potenzielle Regierungspartner nicht verprellt werden. Das ist demokratiepolitisch keineswegs so verwerflich, wie SPÖ-Politiker gern behaupten. Denn diskret suchen auch sie längst alte und neue Kontakte zur FPÖ. Beiden Koalitionspartnern mangelt es in dieser Frage an Transparenz. Für die ÖVP kommt zudem noch eine äußerst heikle, eine wesentliche Entscheidung hinzu: Wann wird sie ihr Ass ausspielen, wie es Hermann Schützenhöfer formuliert? Wann darf Außenminister Sebastian Kurz aufsteigen und künftig als ÖVP-Obmann einen schwarzen Kern-Effekt auslösen?
Die Tauben innerhalb der ÖVP warnen vor einem allzu schnellen Wechsel: Zu stark sei die FPÖ in allen Meinungsumfragen, zu schnell könne der Glanz des Neuanfangs durch ein neues Gesicht verblassen. Daher sei es doch besser, mit SPÖ-Kanzler Christian Kern, der dieser Tage seine ersten beschwerlichen hundert Tage feiert, konstruktive Sachpolitik zu betreiben. Das ist ein frommer Wunsch. Selbst wenn man anerkennt, dass zum Beispiel der Kompromiss der Koalition, die Bankensteuern mit einer großen einmaligen Zahlung auslaufen zu lassen und damit den Ausbau der Ganztagesschulen zu finanzieren, begrüßenswert war – der Gesamteindruck des Reformstaus bleibt.
Wenn die Regierungsparteien durch die üblichen verdächtigen Heckenschützen (an dieser Stelle der traditionelle Gruß an Reinhold Lopatka) im Herbst weiter auf der Reformbremse stehen und auch noch Hofer bei einem Wahlsieg den starken Mann mimt, werden wir spätestens im kommenden Jahr wählen.
Ehrlich: So viel das auch kosten wird, so unangenehm es für Kleinparteien sein dürfte, in einem Dreikampf zwischen Kern, Kurz und Strache zerrieben zu werden – es wäre eine notwendige Richtungsentscheidung. Österreichs Wähler könnten endlich klären, was sie wirklich wollen: einen FPÖ-Kanzler oder einen aus den Regierungsparteien. Dieser Offenbarungseid ist viel wichtiger als die wiederholte Hofburg-Wahl.
Quelle:diepresse
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