Auffallend viele Schwule finden Oper toll. Aber sie finden auch Ballett und Comedy toll. Und Chanson. Sie lieben Callas, Abba und Mark Rothko, Winnetou und Manufactum, James Dean und Audrey Hepburn, kurzum, alles was köstlich ist und gut aussieht. Selbstverständlich lieben auch Heteros hübsche Köstlichkeiten. Der einzige Unterschied scheint zu sein, dass sie nicht jedes Mal auf die Knie fallen und einen Kult daraus machen. Alexander Busche, einst Aktentaschenträger von Katharina Wagner, heute Redakteur des schwulen Opernmagazins „Marfa“, bekannte kürzlich im Interview mit dem schwulen Musikjournalisten Kevin Clarke: „Inzwischen finde ich es entspannter, mit Heteros über Oper zu reden. Schwule regen sich so wahnsinnig auf und werden schnell anstrengend.“
Jede ist jeder
Ich weiß nicht, ob das stimmt. Ich bin keine Expertin in Genderfragen, nur Opernkritikerin. Ich kann aber bestätigen, dass homosexuell begabte Mitmenschen aus exakt den gleichen Gründen der Gattung Oper verfallen wie heterosexuell begabte. Denn das Wesen der Oper ist Ambivalenz, sie ist „ein unmögliches Kunstwerk“. Diese Formulierung, aufgeschrieben 1913, eröffnet das bahnbrechende Buch „Die Oper“ von Oscar Bie, sie hallt nach wie ein Urknall bis heute. Sechs immanente Widersprüche wies Bie der Oper nach, die sie von anderen Kunstformen unterscheiden. Der erste betrifft die Musik. Sobald Musik ins Spiel kommt, zum Spiel der Worte, Bilder, Farben oder Gesten, werden alle Gefühle und Gedanken noch einmal gründlich durchgemischt. Alles könnte alles sein. Jede ist jeder. Jede Sopranistin könnte auch ein Kerl sein, der Falsett singt. In jedem samtig-ernsten Sarastro-Bass steckt ein blutiger, gieriger Ochs-Kitschier. „Oper ist der große Kriegsruf der Künste, die wunderbarste Enttäuschung, das ungelöste Problem, ein ewig Werdendes, das im Spiel der Kräfte sich erhält und sich vergnügt.“ Schreibt Oskar Bie. Stimmt alles, stimmt genau. Obgleich sein Buch so leidenschaftlich verschwurbelt geschrieben ist, dass man kaum durchkommt. Man könnte es für schwul halten. Ja, wer weiß, vielleicht war Bie hetero, vielleicht war er beides oder gar nichts, egal, einmal verfolgt reicht. Er war Jude, bekam als solcher 1933 Publikationsverbot.
1993 brachte dann Wayne Koestenbaum mit „The Queen’s Throat“ (hihi) die erste abendfüllende Stoffsammlung zum Thema Operntunte auf den Markt. In deutscher Übersetzung bei Klett-Cotta wählten die Lektoren damals die gut erzogene Überschrift „Königin der Nacht“ (gähn). In diesem Buch, das, von Susan Sontag bis Klaus Geitel, seilschaftsmäßig nur beste Kritiken bekam, stand alles Wichtige drin, von A wie Abbott bis zu Z wie Zeffirelli. Heute ist es vergriffen, antiquarisch kostet die gebundene Ausgabe nur noch einen Euro 36 Cent, was eine Schande ist, denn es handelt sich um ein wirklich gutes, ehrliches und leidenschaftlich verschwurbeltes Buch. Seither sind viele Seminararbeiten und Dissertationen zum Themenfeld Homosexualität und Oper verfasst worden. Sie werden immer spezieller, dickleibiger, dogmatischer und langweiliger. Dies sowie der Preisverfall bei Koestenbaum zeigen an: Das Thema ist durch.
Als Opernexperte, Opernintendant, Opernregisseur, Operndramaturg, Operndirigent und Opernkritiker sind die Homosexuellen heute durchgesetzt. Auch als Kulturpolitiker. Gut so! Nicht so gut ist die neue Spießbürgerlichkeit, die gerade Einzug in die Opernhäuser hält: Ein queeres Justemilieu, homosexuelle Vetterleswirtschaften. Und ganz übel ist es, dass die Sopranistin Tamar Iveri die Desdemona am Opernhaus in Sydney nicht singen durfte, wegen einer angeblich homophoben Bemerkung, die auf ihrer Facebookseite gepostet wurde, und das nicht mal von ihr selbst.
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