Es ist deshalb schon ein bisschen verständlich, wenn der bekannteste italienische Tennisreporter die Pressekonferenzen ihrer Viertelfinalgegnerin Angelique Kerber dagegen meist ratlos verlässt. Zu wenige Wörter. Das soll alles sein? Diese norddeutsche Kurzform macht ihn fertig.
Roberta Vinci erzählt in diversen Variationen, irgendwas sei anders in New York als bei anderen Turnieren. Selbst wenn es ihr nicht gut gehe, spiele sie bei den US Open immer gut, und die Geschichte hat natürlich nach den Ereignissen des vergangenen Jahres eine ganz andere Dimension. Vor dem Halbfinale gegen Serena Williams, die damals drauf und dran war, Historisches zu leisten und mit einem Titel in Flushing Meadows den Grand Slam zu gewinnen, hatte niemand darüber nachgedacht, dass die Sache ausgerechnet gegen Roberta Vinci schiefgehen könnte. Alle dachten, die Italienerin wäre dem Tempo der Amerikanerin und deren fast wütender Entschlossenheit nicht gewachsen. Aber dann zerschnitt Vinci mit ihrem Rückhand-Slice und ihren Volleys Williams‘ dynamische Ströme und am Ende hatte sich die große Favoritin quasi selbst besiegt. Fast erstarrt und unfähig, unter der Last der eigenen Erwartungen auf dieses ganz andere Spiel zu reagieren.
Roberta Vinci sagt, das sei das Match ihres Lebens gewesen, sie erinnere sich an jede Einzelheit. Seither gibt es kein Turnier, bei dem sie nicht auf den New Yorker Coup angesprochen wird, auch wenn der nun schon ein Jahr zurückliegt, und ein Jahr in diesem Sport voller Ereignisse und Geschichten steckt. Aber dazu trug ja auch der letzte Akt des Turniers bei, das italienische Finale der Freundinnen Vinci und Pennetta, die sprudelnde Freude der beiden und Flavia Pennettas überraschende Erklärung bei der Siegerehrung, das solle es gewesen sein, sie werde ihre Karriere beenden. Vinci sprach damals von einem Wochenende der Wunder, und so sieht es auch rückblickend mit einem Jahr Abstand noch aus. Miracolo.
Angelique Kerber hatte New York damals nach einer Niederlage in der dritten Runde schon eine Woche vorher verlassen. Sie sei überrascht gewesen, ja fast ein bisschen geschockt, als sie von Serena Williams‘ Niederlage im Halbfinale gehört habe, sagt sie. Aber dann habe sie gedacht: So was passiert halt den besten Spielern der Welt. Sie selbst stand zur Zeit der US Open 2015 auf Platz elf der Weltrangliste, und niemand hätte sich ernsthaft vorstellen können, dass sie zwölf Monate später um den Platz an der Spitze dieser Liste spielen würde.
Bunt, turbulent, manchmal einfach mirakulös
Nach Kerbers Sieg im Achtelfinale gegen Petra Kvitova (6:3, 7:6) steht nun fest, dass Serena Williams mindestens das Finale erreichen muss, um die Nummer eins der Tenniswelt zu bleiben. Die Ereignisse des Jahres 2016 haben sich zu einer italienisch anmutenden Folge großer Momente verdichtet – bunt, turbulent, manchmal einfach mirakulös.
Die größte Veränderung ist vielleicht die Selbstverständlichkeit, mit der sich die Kielerin inzwischen in allen Momenten des Spiels bewegt. Breakball? Kein Problem. Sie stellt sich hin, holt aus, und nicht selten macht sie schon mit dem Aufschlag den Punkt. Ausgerechnet mit diesem Aufschlag, der so lange zu ihren Schwächen gehörte und der nach wie vor alles andere als bombig ist. Bundestrainerin Barbara Rittner findet, im effektiven Aufschlag drücke sich die neue Souveränität im Spiel von Angelique Kerber besonders aus, und auch das hätte sich vor einem Jahr keiner vorstellen können.
Roberta Vinci ist darauf und auf alles andere vorbereitet für das Viertelfinale an diesem Dienstag (18 Uhr MESZ). Sie ist nicht ganz fit und konnte in den vergangenen Tagen nicht allzu viel trainieren, aber das hinderte sie nicht daran, viermal zu gewinnen. Darüber berichtete sie dem italienischen Reporter, der von Wörtern nicht genug bekommen kann, in aller Ausführlichkeit; ganz in seinem Element fragte er weiter und weiter. Und weiter. Nichts zu machen, da ist man als deutscher auf-den-Punkt-Bringer einfach überfordert.
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