Der Tod eines Gewaltherrschers

  09 September 2016    Gelesen: 442
Der Tod eines Gewaltherrschers
Am 9. September 1976 endet in der Volksrepublik China die Ära von Mao Zedong. Das Riesenreich steigt erst nach seinem Tod zu einem Wirtschaftsgiganten auf. Das moderne China tut sich noch immer schwer mit seinem politischen Erbe.
Der 9. September 1976 ist gerade einmal ein paar Minuten alt, als eine wichtige Nachricht die Welt aufhören lässt. Mao Zedong, der "große Steuermann" der Volksrepublik China, ist tot. Nicht, dass sein Ableben überraschend kommt, denn der zunehmende körperliche Verfall des 82-Jährigen war augenscheinlich. Ausländische Staatsgäste wie US-Präsident Richard Nixon und Bundeskanzler Helmut Schmidt erleben bei ihren Peking-Visiten 1972 beziehungsweise 1975 zwar einen geistig wachen Kommunistenchef, aber Mao, der unter einer fortgeschrittenen Muskellähmung leidet, murmelt nur noch. Verstehen kann ihn lediglich seine Krankenschwester.

Als die Meldung über seinen Tod dann doch verkündet wird, hält die Welt dennoch für ein paar Minuten inne. Denn Mao ist immerhin Führer eines Landes, das zwar noch keine ökonomische Supermacht ist, aber zu dieser Zeit bereits rund 930 Millionen Einwohner zählt und damit das bevölkerungsreichste der Welt ist. China schickt sich an, ein wichtiger Machtfaktor in der Weltpolitik werden. Zu den Atommächten gehört es bereits seit 1964.

Zudem durchlebt die Volksrepublik gerade eine turbulente Zeit. Die von Mao 1966 angezettelte "Kulturrevolution" hat ihren Höhepunkt zwar überschritten, ist aber offiziell noch nicht beendet. Ihr Ende wird erst 1981 vom neuen starken Mann Deng Xiaoping verkündet. Die sogenannte "Viererbande" um seine Witwe Jiang Qing - auch "weißer Dämon" genannt - wird erst einen Monat nach Maos Tod verhaftet. So verstärkt Maos Ableben vorerst noch die innenpolitische Instabilität Chinas. Das Reich der Mitte wird 1976 zudem vom schweren Tangshan-Erdbeben heimgesucht. Das Land trauert außerdem um eine Viertelmillion Menschen, die bei der Naturkatastrophe getötet wurden.

Millionen Menschen auf dem Gewissen

Natürlich sind in den chinesischen Städten Millionen Menschen auf den Straßen, um dem Führer der chinesischen Revolution die Ehre zu erweisen. Aber nicht alle Chinesen trauern, haben ihnen die letzten Jahrzehnte doch viel abverlangt. So vermischt sich die staatlich angeordnete Trauer mit einer großen Erleichterung über den Tod des Despoten, der - je nach Schätzung - 50 bis 70 Millionen Menschen auf dem Gewissen hat und damit Massenmördern wie Adolf Hitler und Josef Stalin in nichts nachsteht.

Mao war ein Gewaltherrscher. "Die politische Macht kommt aus den Gewehrläufen", war sein Credo: "Die Revolution ist kein Festmahl, kein literarisches Schaffen, kein Malen oder keine Feinstickerei. Die Revolution ist ein Gewaltakt, das sind erbarmungslose Aktionen einer Klasse, die die Macht der anderen Klasse stürzt." Entsprechend war sein Handeln. Zynisch war auch eine Äußerung Maos über einen etwaigen Atomkrieg: "Wir haben keine Angst vor Atombomben. Was geschieht, wenn 300 Millionen (Chinesen) getötet werden? Wir haben immer noch viele Menschen. China ist das letzte Land, das im Atomkrieg untergeht", sagte er 1957 einem jugoslawischen Besucher.

Für Mao Zedong war immer nur die Rolle der Massen relevant, das Individuum zählte nichts. Bei seinen Kampagnen ging er über Leichen. Bei der Proklamierung der Volksrepublik am 1. Oktober 1949 feierten die Chinesen Mao, der als Anführer einer Bauernrevolution das Land gewaltsam einte und die Kuomintang-Truppen von Chiang Kai-shek nach Taiwan verjagt hat. Sie ahnten nicht, dass ihnen noch dunkle Jahrzehnte bevorstanden.

"Großer Sprung nach vorn" und "Kulturrevolution"

So forderten Maos Pläne zur Industrialisierung des Riesenreiches, der sogenannte "Großer Sprung nach vorn" (1958-1961) einen hohen Blutzoll. So wurden vom damaligen sowjetischen Verbündeten fertige Fabriken gekauft. Bezahlt wurde mit chinesischem Getreide, das den Bauern gewaltsam entzogen wurde. Der "große Sprung" der China binnen 15 Jahren zu einem starken Industrieland machen sollte, führte zu einem Desaster. Die Nahrungsmittelproduktion brach zusammen, Millionen Menschen verhungerten.

Weil der chinesischen Bevölkerung die katastrophalen Folgen der Kampagne verschwiegen wurden, blieb Maos Nimbus nahezu intakt. Von den Machtkämpfen innerhalb der Kommunistischen Partei Chinas zwischen Pragmatikern, die eine soziale Marktwirtschaft chinesischer Prägung wollten, und den permanenten Klassenkampf propagierenden Maoisten bekamen die Menschen nichts mit. Dabei zog sich Mao, der KP-Chef blieb, für eine geraume Zeit aus dem politischen Tagesgeschäft zurück, um 1966 dann mit der "Kulturrevolution" eine Massenbewegung zu inszenieren, die zum Ziel hatte, innerparteiliche Gegner wie Präsident Liu Shaoqi oder Deng Xiaoping loszuwerden.

Mao mobilisierte die junge Generation. Kinder denunzierten ihre Eltern als "Konterrevolutionäre", Schüler stellten ihre Lehrer öffentlich an den Pranger, Studenten misshandelten ihre Professoren. Die von Mao und seinen Getreuen aufgehetzen Jugendlichen schlossen sich zu sogenannten Roten Garden zusammen, die plünderten, mordeten und auch Bildungs- und Kultureinrichtungen zerstörten. 1968 besaß Mao wieder die vollständige Macht und setzte die Volksarmee gegen die Roten Garden ein. Mit den Nachwehen der "Kulturrevolution" hatte China noch Jahre zu kämpfen.

Nach Ansicht des Freiburger Sinologen Daniel Leese war "eine von Maos Herrschaftsstrategien, dass er sich nie klar geäußert hat, was er wirklich will, sondern aus einem unklaren Zustand versucht hat, Machtgewinn zu schöpfen und daraus unterschiedliche Fraktionen gegeneinander auszuspielen". Im SWR sagte Leese kürzlich: "Was er (Mao - d.V.) allerdings nicht in diesem Maßstab einkalkuliert hat, war, dass sehr viele soziale Gruppen die `Kulturrevolution` genutzt haben, um eigene Probleme, Befindlichkeiten und Schwierigkeiten an die Oberfläche zu bringen. Und von daher ist die Kulturrevolution sehr schwer einheitlich zu bewerten oder in irgendeiner Form in ein Schema zu pressen." Am Ende hinterlässt Mao ein Land, das kurz vor dem Zusammenbruch steht.

Kein völliger Bruch mit Maos Erbe

Heute, 40 Jahre nach Maos Tod, hat die chinesische Führung noch immer ein ambivalentes Verhältnis zum ehemaligen Gewaltherrscher. Sein Kopf schmückt die Geldscheine der mittlerweile zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt. Sein Bildnis hängt weiter überlebensgroß über dem Tor des Himmlischen Friedens in Peking, dem Haupteingang zur Verbotenen Stadt. Noch immer gibt es lange Menschenschlangen vor dem Sarkophag mit Maos einbalsamiertem Leichnam. Der Inhalt der Mao-Bibel mit den "Worten des Vorsitzenden Mao Zedong" gilt seit 1980 als "Weisheit der gesamten Führung".

Andererseits findet in China nach Maos Tod 1976 eine Abkehr von dessen Lehren und Prinzipien statt - allerdings nicht vollständig. Für den alleinigen Machtanspruch der KP Chinas wird Mao noch benötigt. Er steht für die nationale Einheit und Größe Chinas unter kommunistischer Herrschaft. Deshalb scheuen die KP-Größen den völligen Bruch mit dem Erbe Maos.

So ist dessen Schatten nach dem vor 38 Jahren eingeleiteten Kurswechsel unter Deng Xiaoping lang. China wird durch Dengs Reform- und Öffnungspolitik zu einem ökonomischen Riesen, in dem marktwirtschaftliche Elemente dominieren. Politisch beharrt die KP Chinas auf ihre politische Macht und greift notfalls weiter zur Gewalt. Der ökonomische Reformer Deng greift im Juli 1989 bei der Niederschlagung der Studentenproteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking zur Gewalt und lässt Soldaten auf Demonstranten schießen. Noch heute gibt es Repressalien gegen politisch Andersdenkende. Eine ernsthafte Aufarbeitung des Wirkens von Mao Zedong hat in China auch 40 Jahre nach dessen Tod nicht stattgefunden.

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