So wie Maria werden wahrscheinlich viele ehemalige Kämpfer der Farc in den nächsten Monaten ihre Angehörigen in die Arme schließen können. Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos und Farc-Chef Rodrigo Londoño Echeverri unterzeichnen den Friedensvertrag um Mitternacht deutscher Zeit in einer Zeremonie in Cartagena - mit einem Kugelschreiber in Form einer Patrone. Die Bedeutung des offiziellen Aktes ist nicht zu unterschätzen; von der noch aktiven, aber wesentlich kleineren ELN abgesehen, geht so der letzte klassische Guerillakrieg mit linken Rebellen zuende. In der Karibikstadt ist deshalb die Welt zu Gast, unter anderen UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon und sein Vorgänger Kofi Annan, Weltbankchef Jim Yong Kim, IWF-Präsidentin Christine Lagarde, etliche Staatschefs Lateinamerikas wie der Vermittler und kubanische Präsident Raúl Castro, und US-Außenminister John Kerry.
Regierung und linke Guerilla haben sich schriftlich darauf geeinigt, dass aus dem Krieg keine Seite als Sieger hervorgeht. Beide machten Zugeständnisse, die helfen sollen, das Land nach Jahrzehnten wieder zu einen. Die Sondergerichte für die Bürgerkriegsverbrechen zielen vor allem auf Versöhnung, harte Strafen sind kaum vorgesehen. Santos` Vorgänger Álvaro Uribe hatte das Ende des Konflikts militärisch erzwingen wollen, scheiterte letztendlich aber. Noch immer wettert er gegen Santos` friedlichen Weg, der den mehr als 50 Jahre andauernden Krieg mit der Bilanz von geschätzt 260.000 Todesopfern und 7 Millionen Vertriebenen beenden soll.
Chancen auf Bildung und Arbeit
Die Übereinkunft Kolumbiens mit der Farc-EP ist die Grundlage für die Entflechtung des Konflikts zwischen politischer Guerilla, Regierung, Paramilitärs und Verbrechensorganisationen. Ein erster Schritt, um auch den gescheiterten "Krieg gegen die Drogen", in dessen Mittelpunkt das Land als größter Kokainproduzent der Welt steht, mit mehr als Waffen bekämpfen zu können. Auch Infrastruktur- und Hilfsprojekte für die Landbevölkerung sind Teil des Abkommens. Damit die Bauern irgendwann nicht mehr auf den Koka-Anbau angewiesen sind.
Die Pläne für die Zeit danach sind ein Signal. Nicht nur für Kolumbien, auch für Lateinamerika, wo Gewalt mit sozialer Ungleichheit häufig Hand in Hand geht. An der Mordrate gemessen befinden sich acht der zehn gefährlichsten Städte der Welt in Lateinamerika. "Ohne den Vertrag wäre es noch schlimmer", sagt Sabine Kurtenbach vom Giga Institut für Lateinamerika-Studien in Hamburg. "Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg. Es geht darum, Brücken zwischen urbaner und ländlicher Bevölkerung zu bauen." Die Chancen auf Bildung, Arbeit und sozialen Aufstieg sind in den Städten wesentlich besser. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung Kolumbiens lebt dort. Das macht es bewaffneten Gruppen im ländlichen Raum leicht, Nachwuchs zu rekrutieren.
Die Farc hat nun 180 Tage Zeit, ihre Waffen unter Aufsicht von 450 UN-Beobachtern in Demobilisierungszonen niederzulegen. "Es heißt nicht Entwaffnung, sondern die Farc legen ihre Waffen nieder. Das ist ein wichtiger Unterschied", betont Kurtenbach. So fühlten sich die Kämpfer nicht als Verlierer. Die Waffen sollen eingeschmolzen und als Denkmäler in Kolumbien, Kuba und New York verwandelt werden. Die Unterzeichnung ist die vorletzte formelle Hürde für den Frieden. Am kommenden Montag entscheiden die Kolumbianer in einer Volksabstimmung darüber, ob sie mit den ausgehandelten Punkten einverstanden sind. Die Chancen für eine Zustimmung stehen sehr gut. Viele Regionen Kolumbiens werden von der Angst vor Gewalt bestimmt.
Friedenseinheiten von Armee und Polizei
Damit Santos` Projekt nicht scheitert, ist der Vertrag vor allem auf die Zeit nach dem Konflikt ausgerichtet. Darin ist etwa geregelt, wie sich die Guerilla zu einer zivilen Partei wandeln soll. Die könnte das konservativ geprägte demokratische Spektrum des Landes nach links öffnen. Es gibt allerdings auch Befürchtungen, dass der Frieden nicht hält: Ein früherer Versuch in den 1980er Jahren scheiterte an der Macht rechtsgerichteter bewaffneter Gruppen. Nach einer Demobilisierung von Farc-Kämpfern und ihrer Gründung der Partei "Unión Patriótica" ermordeten die Paramilitärs systematisch über 3000 Mitglieder. "Die Farc hat dabei ein historisches Trauma davongetragen", sagt Kurtenbach.
Diesmal ist Kolumbien vorbereitet. Die Regierung gründete entsprechend des Friedensvertrages uniformierte Friedenseinheiten. Auf Norden, Osten und Südwesten verteilte 1700 Soldaten und 2500 Polizisten sollen dafür sorgen, dass das Machtvakuum, das die rund 8000 Farc-Kämpfer dort hinterlassen, nicht von anderen bewaffneten Gruppen gefüllt wird. Studien von NGOs sehen ein hohes Risiko, dass sich dort andere Gewaltakteure die neue Situation zunutze machen. Bewaffnete Verbrechersyndikate kontrollieren bereits jetzt den Großteil des Drogenschmuggels und illegalen Bergbaus. Für die Farc indes beginnt mit dem Ende des Krieges der "Kampf der Ideen", wie es der Verhandlungsführer der Guerilla ausdrückte. Ehemalige Bewaffnete erhalten dafür Bildungsprogramme.
Maria lebt heute in Bogotá. "Dass die Guerilla die Waffen niederlegt, beruhigt mich persönlich", sagt sie. Tagsüber lenkt sich die ehemalige Kämpferin ab, damit sie nicht an die Vergangenheit denken muss. Ihre Träume kann sie nicht kontrollieren. "Sie kommen jede Nacht. Häufig sind es Albträume, dass mich die Farc sucht und findet." Maria hat ihr Studium abgeschlossen und arbeitet in der Hauptstadt als Anwältin unter ihrem richtigen Namen, den sie aber nicht in der Presse sehen will. Um ganz sicher zu gehen. Ihr Kind als Opfer ist genug.
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